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  • „Wir wollten die Uni zum Tanzen bringen“

    Peer Pasternack, Professor für Soziologie und Direktor des Instituts für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle, erfand den Stura.

    Die Studierendenvertretung an der Uni Leipzig war die erste ihrer Art in Ostdeutschland und feierte dieses Jahr 25. Geburtstag. Student!-Redakteure Annina Häfemeier und Julian Friesinger sprachen mit ihm über die Anfänge des Stura und die damaligen Herausforderungen.

    student!: Herr Pasternack, in den Medien war in den vergangenen Wochen zu lesen, dass Studierende heute viel unpolitischer seien. Richtig oder falsch?

    Pasternack: Aus dem neuesten Studentensurvey, der von der Universität Konstanz für das Bundesministerium für Bildung und Forschung durchgeführt wird, hat man diese Hauptmeldung gemacht, dass Studierenden heute unpolitischer seien. Ich denke, dahinter steckt eine ganz normale Entwicklung. Wenn immer mehr Anteile einer Altersgruppe an die Uni strömen, nimmt die Heterogenität der Studierenden zu. Dazu gehört, dass an der Uni auch mehr Menschen vertreten sind, die sich weniger für Politik interessieren, als das früher anteilmäßig der Fall war. Auch das politische Interesse allgemein in der Gesellschaft ist nicht gerade groß. Deshalb ist diese Erkenntnis wenig überraschend für mich.

    student!: Vor 25 Jahren muss das Interesse an Politik noch größer gewesen sein. In der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, der Montagsdemonstrationen, wurde die erste studentische Vertretung, der Studentenrat, an der Universität Leipzig gegründet. Wie kam es zur Gründung des Stura?

    Pasternack: Vor den Toren der Uni wurde demonstriert. Merkwürdig war, dass sich an der Uni gar nichts tat, als ob die Uni diese Entwicklungen gar nichts angingen. Unter den Studierenden herrschte  aber auch eine Unzufriedenheit mit der politischen Situation. Bei einem Treffen im Studentenclub der Theologen, mit Vertretern ganz verschiedener Sektionen, beschlossen wir, dass wir etwas tun müssen. Da war zunächst die große Politik im Fokus, da noch nicht den war noch nicht den  Schwerpunkt darauf gelegt, die Universität verändern zu wollen.

    Dann stellten wir uns die Frage: Können Studenten diejenigen sein, die sich eine besondere Rolle anmaßen im Prozess der Kritik des SED-Regimes? Das verneinten wir. Wir wollten erst einmal die Uni zum Tanzen bringen. Das schloss zwar nicht aus, dass wir an den Montagsdemos teilnahmen, aber wir konzentrierten uns auf die Uni.

    student!: Zum Tanzen bringen?

    Pasternack: Ja, denn ein Missstand, der die Studierenden betraf, war, dass es keine unabhängige Selbstorganisation der Studierenden gab. Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) gab vor, alle Studierenden zu vertreten. Doch stand in deren Statut, dass sie die Kampfreserve der Partei sei. Das passte nicht zusammen mit dem Anspruch, eine Vertretung der Studierenden zu sein. Wir formulierten dann als konkretes Projekt, eine andere Form der Vertretung für Studenten zu gründen. Damit konnte man uns nicht vorwerfen, dass wir uns in etwas einmischten, was uns nichts anginge. Es betraf ja unsere ureigensten Interessen. Die Entwicklungen in der Zeit damals waren hochgradig unabsehbar, in der DDR konnte immer noch alles aus dem Ruder laufen. Deshalb agierten wir mit einer gewissen Vorsicht. Dazu gehörte, dass wir uns auf dieses Projekt der studentischen Vertretung konzentriert haben.

    student!: Was genau haben Sie denn dann angestoßen?

    Pasternack: Zuerst haben wir eine Seminargruppensprechervollversammlung einberufen. Seminargruppen waren damals so etwas wie Schulklassen an der Uni, davon gab es etwa 500. Pro Seminargruppe mussten zwei Sprecher gewählt werden. Das war ein irrer logistischer Aufwand, innerhalb einer Woche organisierten wir die Wahlen. Es haben nicht alle Seminargruppen gewählt, aber es waren etwa 700 Teilnehmer bei der Vollversammlung anwesend. Es wurde viel diskutiert, wie ein Modell aussehen könnte. Die westdeutschen Modelle des Allgemeinen Studentenausschusses (Asta) und Studentenparlaments (Stupa) kannten wir damals nicht. Da es die große Zeit der Räte war – überall wurden Räte gegründet, Soldatenräte, Arbeiterräte, etc. – wollten wir auch einen Rat gründen, den Studentenrat. Dieser sollte möglichst stark basisdemokratisch verankert sein. Letztendlich konnte der Stura dann auch gegen das Ansinnen, Asta und Stupa an den Ostunis einzuführen, verteidigt werden. Wir hatten dagegen etwas, weil dabei über Listenwahlen Vertreter gewählt und dann Parlamentarismus gespielt wird.

    student!: Aha,  „Parlamentarismus gespielt”. In welcher Hinsicht unterscheidet sich denn das Stura-Modell von Stupa und Asta?

    Pasternack: Stupa und Asta haben den Nachteil, dass dort ein starkes parteipolitisches Element existiert. Es ist sozusagen ein Übungsfeld für den politischen Nachwuchs. Die individuelle Profilierung einzelner Kandidaten steht im Vordergrund anstelle des Gedankens einer Interessenvertretung aller Studierenden.

    student!: Gab es noch andere Modelle, die damals Ende 1989 in Betracht gezogen wurden?

    Pasternack: Es gab z.B. noch den Vorschlag eines Studentenverbands, also mit freiwilliger und individueller Mitgliedschaft der Studierenden. Dass alle Studierenden vertreten werden, weil sie immatrikuliert sind, sah jedoch nur das Stura-Modell vor. Die FDJ hatte auch ihren eigenen Vorschlag: Sie wollte sich öffnen und ihre Satzung ändern, also den Abschnitt mit der Führungsrolle der Partei herausnehmen. Sie wäre dann eine Art Studentengewerkschaft gewesen. Es gab dann noch einige andere Modelle, die dem Stura-Modell ähnlich, aber total kompliziert waren. Die beinhalteten viele bürokratische Strukturen, und ihre Autoren hatten große Mühe, das Modell an der Tafel halbwegs verständlich anzumalen.

    student!: Wie wurde der Vorschlag umgesetzt?

    Pasternack: Der Fachschaftsvorschlag der Politik und Soziologie wurde angenommen. Wir wählten dann Fachschaftssprecher und hatten am 9. November unsere konstituierende Sitzung. An demselben Tag fand sich in der Leipziger Volkszeitung ein Aufruf der SED zu einer Demo, die explizit als SED-Basisdemo gegen die Montagsdemo aufgestellt werden sollte. Unter den anwesenden Studierenden gab es aufgeheizte Diskussionen, denn wir dachten, dass, wenn die Staatspartei zur Demo aufruft, sich der friedliche Charakter der Demos wohl erledigt hätte. Während der Sitzung platzte jemand herein mit der Meldung:  „Die Mauer ist offen!” Und wir erwiderten:  „Ja ja, darum können wir uns jetzt nicht kümmern, wir haben Wichtigeres zu tun.” In der Zeit gab es täglich Falschmeldungen, daher nahmen wir das nicht ganz so ernst. Dann haben wir die Sturasprecher gewählt, die alle vier Wochen rotieren sollten. Das hat sich als nicht praktikabel erwiesen und wurde dann später geändert. Die Sitzung wurde offiziell für beendet erklärt und wir debattierten darüber, wie wir die Demo verhindern können. Wir zogen dann vors Rathaus, sprachen mit dem Diensthabenden, konnten nichts erreichen und gingen daher zum SED-Bezirksbüro in der Karl-Liebknecht-Straße. Zudem haben wir den Rektor aus dem Bett geklingelt, konnten aber mit all dem nichts erreichen. Um Mitternacht gingen wir nach Hause und sahen im Fernsehen, was in Berlin geschehen war.

    student!: Gab es für den Stura auch Probleme?

    Pasternack: Die Durchsetzung der Vertretung war dann auch noch mal sehr arbeitsintensiv. Wir waren da bis zum Exzess formalistisch, weil wir und immer darauf achten mussten, Akzeptanz für unser Vorhaben zu schaffen. Denn es gab ja auch Widerstand, viele hingen noch dem FDJ-Modell an. Sie meinten, das alte Modell könne man transformieren. Wir hatten dann unsere konstituierende Sitzung, alles war selbstorganisiert. Die Abläufe, die Wahlurnen und alles, was dazu gehört, waren bei vollem  Lehrbetrieb  zu organisieren, und das war alles sehr verschult und bot wenig Freiräume. Es war auch schwierig, alle Studierenden zu versammeln, da die eine Hälfte von 7.30 Uhr bis 14 Uhr und die andere von 14 Uhr bis 19 20 Uhr Veranstaltungen hatte. De facto konnten wir uns dann immer erst nach 20 Uhr treffen.

    student!: Was kam nach der konstituierenden Sitzung?

    Pasternack: Mit der konstituierenden Sitzung hatten wir in der Uni Eindruck gemacht und bekamen einen kleinen Raum zugesprochen. Der damalige Rektor Hennig hat nicht blockierend gewirkt, sondern dann auch entschieden, dass der Stura die Verfügungsgewalt über das „Konto Junger Sozialisten“ bekommen sollte. Mit diesen Geldern aus dem Unihaushalt hatte sich die Kreisleitung der FDJ finanziert. Dadurch konnten wir dann Plakate drucken und auch einen Kopierer kaufen und aktiv werden, denn es gab ja keine Beiträge der Studierenden, wie es heute der Fall ist.

    Dann gab es eine Urabstimmung mit einer Wahlbeteiligung von über 70 Prozent und mit über 90prozentiger Zustimmung für das Modell des Stura. Solche Werte wurden später nie wieder erreicht.

    student!: Thema Wahlbeteiligung – diese ist an Unis im Westen wie auch im Osten, egal ob Asta-Modell oder Stura-Modell überwiegend gering. Worin besteht dann überhaupt die Legitimität der studentischen Vertretungen, wenn diese so wenig Beachtung und Teilnahme erfahren?

    Pasternack: Hier muss man unterscheiden zwischen Popularität und Legitimität. Alle Studierenden können an der Wahl teilnehmen, und zum Wahlrecht gehört auch das Recht, nicht zur Wahl zu gehen. Man ist also frei in der Entscheidung, ob man wählt oder nicht. Entscheidend ist, dass jeder an dem demokratischen System teilnehmen kann.

    Die geringe Wahlbeteiligung spiegelt wohl eher den Grad der Popularität wider. Für die meisten Studierenden wird die studentische Vertretung wichtig, wenn es ein Problem im Alltag gibt. Im Regelfall gibt es ja nicht so viele Probleme im Leben eines Studierenden, zumindest was den Unialltag betrifft. Es ist also für sie zum Zeitpunkt der Wahl nicht so wichtig, welche Personen da nun konkret gewählt werden.

    student!: Die Studierenden sind also größtenteils mit der Studiensituation zufrieden?

    Pasternack: Jedenfalls ist die Unzufriedenheit nicht so groß, dass man sagen würde, der Stura muss durch ganz hohe Abstimmungsbeteiligungen viel größere Durchschlagskraft erreichen. Ich finde, da sollte man eine eher pragmatische Sicht auf die Dinge haben. Denn der Regelfall ist ja gerade nicht, dass ständig demonstriert wird. Wenn es jedoch darauf ankommt, leisten die Studierendenräte schon eine gute Öffentlichkeitsarbeit, organisieren Busfahrten zum Landtag oder sonstige Demo-Unterstützung. Im Vergleich zum Asta-Modell wirkt sich vielleicht eher nachteilig aus, dass das Stura-Modell weniger politisch ist. Ob der Stura auch politisch wird, hängt immer von einzelnen Akteuren des Stura ab, wie sehr diese es für angemessen halten, auch Themen wie den Umgang mit Flüchtlingen oder dergleichen zu behandeln. Aber insgesamt hat das Stura-Modell Akzeptanz gefunden, und zwar bei allen Studierenden, egal wo sie herkommen. Es ist insofern kein Ost-Modell mehr.

    student!: Gibt es noch etwas, was sie dem Stura für die nächsten 25 Jahre mit auf den Weg geben möchten?

    Pasternack: Studierendenvertretungen sollten ganz allgemein keinen verbissenen Eindruck machen, sondern schon den Eindruck vermitteln, dass sie eine lebenslustige Gruppe vertreten. Sie sollten deutlich machen, dass sie offen für Neues sind und selbstironisch sein können – denn vor allem das zeigt, dass man souverän ist. Zudem sollte sie die Problematik des Erfahrungstransfers besser lösen, bisher geht mit jeder neuen Generation im Stura viel erworbenes Wissen verloren.

    Bildquelle: Pressestelle Uni Leipzig/Jan Woitas

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