Platz schaffen
Am 5. Oktober starten zwei sehr unterschiedliche Einführungswochen an der Uni Leipzig.
Wenn am nächsten Montag zum Zentralen Einführungstag der Universität Leipzig den Erstsemestern erklärt wird, wie sie ihren Bibliotheksausweis validieren oder welche Veranstaltung wie viele Creditpoints bringt, startet parallel eine Einführungswoche, die sich auch an ältere Semester richtet. Die „Kritischen Einführungswochen“ finden vom 5.-23.10. statt und ergänzen mit Vorträgen zu Kapitalismuskritik, Wohnraumpolitik oder queerfeministischen Denken die Orientierungstage. Als deutliches sichtbares Zeichen, dass diese Veranstaltungsreihe zum Beginn des Wintersemesters in die dritte Runde geht, wird am Campus Augustusplatz wie im Vorjahr ein Pavillon aufgestellt sein. Dieses „Couchcafe“ wird als zentraler Anlaufpunkt mit Sofas zum Chillen in den Pausen zwischen den Veranstaltungen einladen. Hier kann man ins Gespräch kommen mit älteren Studenten und sich über die Veranstaltungen und beteiligten Gruppierungen informieren. Auch wird es fairen Kaffee und Kuchen geben.
Eigeninitiative
Im aktuellen Bildungssystem stehe die Leistung im Vordergrund, um das Studium möglichst schnell zu beenden verliere man den Blick und die Zeit für politisches oder gesellschaftliches Engagement, meint Oliver*, der sich an der Organisation der „Kritischen Einführungswoche“ beteiligt: „Gerade als Student sollte man den Luxus, nicht voll arbeiten gehen zu müssen, nutzen, um sich vielfältig weiterzubilden.“ Die Einsicht von Studenten verschiedener Fachrichtungen, dass der Lehrplan nicht alle Inhalte abdecken will oder kann, kanalisieren die Organisatoren in drei Wochen mit ihrem eigenen Lehrplan. Sie wollen zudem eine Plattform zum Austausch bieten und Partizipationsmöglichkeiten aufzeigen.
Engmaschige Lehrpläne in jeder Fachrichtung
Immer wieder stellen Studenten in den unterschiedlichsten Fachrichtungen fest, dass Ihnen im vorgeschriebenen Lehrplan Inhalte fehlen. In lockeren Zusammenschlüssen versuchen Sie diese Lücken gemeinsam selbst zu erarbeiten. So gibt es zum Beispiel die „kritischen JuristInnen“ oder das „autonome kontroverse Seminar“ innerhalb der Psychologie. In diesem versucht Hanna* mit Kommilitonen Inhalte zu erarbeiten, die ihrer Meinung nach im Psychologiestudium ausgespart bleiben. „Ich bin auf Inhalte gestoßen, die aus der Lehre verdrängt worden und wollte mehr darüber erfahren.“ Ihr Angebot wollte sie eigentlich nur im Programm der Kritischen Einführungswoche unterbringen und ist nun selbst Teil des Orga-Teams geworden. Dieses Prinzip soll auch die zentrale Nachricht der Wochen sein: Eigeninitiative ist möglich und wichtig.
Jeder könne sein Studium selbst gestalten: „Ich begreife mein Studium der Politikwissenschaft als Verbindung aus Wissensaneignung und Teilnahme an politischen Prozessen in der Gesellschaft.“
So kam Oliver über die Teilnahme an den Gegenprotesten zu Legida-Demonstrationen zur politischen Arbeit. Den Beginn in Leipzig machte er an der physikalischen Fakultät, dort habe er leider überhaupt nichts von der letztjährigen Kritischen Einführungswoche mitbekommen. Er habe es schwer gehabt, Leute kennen zu lernen, die seine Ansichten teilen. Deshalb lag ihm viel daran, dass die kritischen Einführungswochen ein weiteres Mal stattfinden können.
„Jeder, den ein Thema interessiert, ist eingeladen, sich das anzuhören. Es besteht keine Pflicht, sich zu partizipieren“, stellt Oliver klar und Hanna ergänzt: „Die inhaltliche Auseinandersetzung mit aktuellen Themen wie Sexismus oder Rassismus ist für alle lohnenswert.“
Vielfältiges Programm deutschlandweit
Das Format „Kritische Uni“ zum Beginn eines Semesters gibt es auch in anderen deutschen Städten, wie Kassel, Berlin oder Rostock. Zwar gebe es Bestrebungen sich zu vernetzen, dennoch sind all diese Veranstaltungen individuell entstanden. Es gibt keine übergeordnete Gruppe und keine Partei dahinter. Eine inhomogene Gruppe von Menschen aus den unterschiedlichsten Bündnissen, die sich unter dem Namen „kritische Uni Leipzig“ zusammengefunden hat, steht hinter der Organisation des Leipziger Ablegers. Das lockere Bündnis hatte sich aus der Organisation der letztjährigen kritischen Einführungswochen gebildet. Als dauerhafter Zusammenschluss hat sie das Ziel auch über das Semester ergänzende Veranstaltungen zu den genormten Lehrveranstaltungen zu bieten. Das Programm wird dadurch gefüllt, dass sich die meisten studentischen Organisatoren gleichzeitig in weiteren, zum Beispiel feministischen oder antirassistischen Arbeitskreisen engagieren und deren Inhalte einbringen. Aber auch die Linken Landtagsabgeordnete Juliane Nagel oder der Politikwissenschaftler Prof. Martin Saar leisten ihren Beitrag.
In den ersten beiden Wochen gibt es einen theoretischen Input, anschließend stellen sich die beteiligten Bündnisse vor. Stadtführungen zeigen Orte alternativen Denkens und Workshops holen Interessenten aus der Passivität des Zuhörens. „Dieses Wissen, was es in Leipzig gibt, muss man sich sonst lang erarbeiten, so kann man direkt dort einsteigen, wo man sich wiederfindet“, erklärt Oliver den Vorteil des Angebots.
„Es gibt keinen Raum für freies Lernen an der Uni Leipzig“
Eine Metapher, die die existierende Raumknappheit an der Universität überein bringt mit der von Oliver und Hanna empfundenen Engstirnigkeit der Lehre. Bis auf die „Pausenhallen“ im Hörsaalgebäude gibt es keine frei verfügbaren Orte am Campus.
Jeder Student hat aber zu jeder Zeit die Möglichkeit, bei der Raumverwaltung im Seminargebäude einen Antrag zu stellen, um Räume der Universität kostenlos zu nutzen. Ob dem stattgegeben wird, hängt nur davon ab, ob gerade ein Zimmer ungenutzt ist. Um den bürokratischen Prozess zu umgehen, wäre ein fester Raum, der für eigen initiativ und unabhängig organisierte studentische Lehre genutzt werden könnte, schön. Diesen zur Verfügung zu stellen, fällt der Universität jedoch nicht leicht: „Alle verfügbaren Räume werden besonders in den ersten Semesterwochen von
früh bis spät für Lehre und Studium genutzt“, meint Carsten Heckmann, Pressesprecher der Uni, und weiter: „Es ist nicht so, dass wir ungenutzte Räumlichkeiten haben, die wir frei zur Verfügung stellen können.“
Im Frühjahr 2013 besetzten Studenten den Seminarraum 101, um auf die Raumknappheit aufmerksam zu machen. Melanie Faust, eine von den damaligen Aktivisten, sagte in diesem Zusammenhang: „Das Rektorat der Uni Leipzig hätte nach dem Neubau am Campus Augustusplatz die Möglichkeit gehabt, solch einen Raum zur Verfügung zu stellen. Stattdessen wurde sich für einen Merchandise-Shop entschieden, der neben der Sparkasse bereits das zweite private und kommerzielle Unternehmen innerhalb des Campus darstellt.“
Einen Raum der regulären Universitätsverwaltung zu entziehen, sieht Heckmann kritisch. Die Schließzeiten des Campus am Abend und am Wochenende sind ein Grund, der eine uneingeschränkte Nutzung von Räumlichkeiten durch Studenten erschwert. Wenn Studenten Lehrinhalte in den Vorlesungen vermissen, wäre der Dozent der erste Ansprechpartner, meint Heckmann.
Oliver und Hanna empfehlen in diesem Fall außerdem, sich an den Fachschaftsrat oder die „kritische Uni Leipzig“ zu wenden. Diese könnten die Informationen geben, ob es beispielsweise schon autodidaktische Initiativen in der jeweiligen Fachrichtung gibt.
Auch der Stura kann Hilfestellung geben. Marcel Wodniock, der Geschäftsführer, sagt dazu; „Wir versuchen, den Kontakt mit der Betriebstechnik zu vermitteln oder auch zum Rektorat. Wir helfen bei solchen Gesprächen dann in der Vor- und Nachbereitung und geben zumeist hilfreiche Hinweise, wie man am besten vorgeht und welche Informationen dabei benötigt werden.“
Sophia Neukirchner
*Eine inhomogene Gruppe von Menschen aus den unterschiedlichsten Bündnissen steht hinter der Organisation des Leipziger Ablegers. Die Anzahl der Mitwirkenden sei nicht genau überschaubar, weshalb sich die beiden Gesprächspartner nicht mit Namensnennung in den Vordergrund rücken wollen.
Das Programm der diesjährigen „Kritischen Einführungswoche“ findet ihr unter http://kritischeunileipzig.blogsport.de/programm-15/
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