Zug um Zug
Im Leipziger Hauptbahnhof traten Laien und Großmeister im Simultanschach an.
Der russische Schachweltmeister, eine große Kapazität auf dem Gebiet des Blind-Simultan-Schachspiels, Alexander Aljechin, ließ in einem seiner vielen Bonmots über das Spiel der Könige keine Ausreden gelten: „Die Tatsache, dass ein Schachspieler in Zeitnot war, sollte ebensowenig als Entschuldigung gewertet werden, wie die Aussage eines Gesetzesbrechers, er wäre zur Tatzeit betrunken gewesen.“ Für einen geübten Schachspieler darf Mangel an Zeit keine unüberwindbare Schwierigkeit darstellen. Am 25.9. stellten sich im Hauptbahnhof Mitglieder verschiedener Vereine dieser Herausforderung. Der Sächsische Schachverband lud zu einem Simultanschachturnier ein.
Die Zeit war jedoch nicht der einzige Gegner der über 30 Kombattanten. Sie spielten in Gruppen von acht bis zwölf Personen gegen vier deutsche Schachgroßmeister. Der Titel des Großmeisters wird seit 1950 vom Weltschachbund (FIDE) an Turnierschachspieler vergeben. Zum Jubiläumsturnier im Hauptbahnhof trafen die Großmeister Klaus Bischoff, Uwe Bönsch, Lothar Voigt und Raj Tischbierek auf die schachbegeisterten Laien. Die drei erstgenannten sind erfolgreiche Nationalspieler und Teilnehmer der Mannschaftseuropameisterschaften. Tischbierek nahm 1990 an der Schacholympiade in Novi Sad teil und ist Chefredakteur der Zeitschrift „Schach“.
Der Ehrenpräsident des Schachverbandes Gerhard Schmidt konstatierte im Rahmen der Jubiläumsfeier, dass auch die Schachverbände in den Wendejahren mit Problemen zu kämpfen hatten und den Aderlass an Mitgliedern bis heute nicht wieder ausgleichen konnten. Ein Grund von vielen ist seiner Meinung nach, dass der Schachsport in der DDR vor allem in Betriebssportgemeinschaften ausgeübt wurde und diese im Zuge der deutschen Einheit schließen mussten. „Dabei waren neue Möglichkeiten der Finanzierung zu suchen. Meist war das die Eigenfinanzierung durch Mitgliederbeiträge. Deshalb gab es eine starke Fluktuation. Viele Schachsektionen verschwanden ganz. Andere bildeten sich in eigen finanzierte Vereine meist mit neuem Namen um“, schreibt Schmidt auf der Verbandshomepage.
Unabhängig von den strukturellen Problemen der Vereine, trifft das Turnier auf positive Resonanz. Das Teilnehmerfeld umfasst alle Altersklassen, wobei Frauen deutlich in der Minderheit sind. Die Großmeister nehmen die Partien sehr ernst, wirken aber dennoch entspannt, während die Amateure die Blicke kaum vom Schachfeld wenden können. Nach jedem Zug wird die Schachuhr gedrückt. Die Großmeister erkennen an blinkenden Lämpchen, an welchen Brettern sie am Zuge sind. Jeder Spieler hat eine Stunde für eine Partie zur Verfügung. Ein etwa 50-jähriger Spieler liefert sich mit Bischoff eine regelgerechte Schlacht im Zentrum des Spielfeldes und zieht auch die Blicke seiner Sitznachbarn auf sich. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte noch keiner gegen die Koryphäen gewinnen können. Ihm fehlten nur noch zwei Züge mit dem Bauern, um ihn gegen eine Dame eintauschen zu können, als Bischoff ihn Matt setzt: „Man hat immer eine kleine Chance gegen einen Großmeister zu gewinnen. Eigentlich hat mir nicht viel gefehlt, aber Spaß gemacht hat es trotzdem“, meinte der Besiegte etwas enttäuscht.
Schließlich gibt es doch noch die ersten Remis. Auch einen Gewinner: Ein etwa achtjähriger Junge. Alle die nicht verloren haben, können sich ein Schachbuch als Präsent aussuchen. Die meisten Unterlegenen gehen jedoch erhobenen Hauptes nach Hause, denn schon die österreichische Schriftstellerin Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach wusste: „Eine stolz getragene Niederlage ist auch ein Sieg.“
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