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    Locationtest: Lesung und Konzert im Felsenkeller – Was geht?

    „Als wir hier ankamen, war es schrecklich. Aber als die Menschen kamen, war es wunderschön!“, mit diesen Worten beschrieb der Frontsänger der Trashpunkband Bonaparte, Tobias Jundt, seinen Auftritt im Felsenkeller am Donnerstag, den 8.10.15. Vielleicht ist dieser Eindruck angesichts der vorangegangenen total eskalierten Bühnenshow, nicht mehr ganz ernst zu nehmen. Mit Blick auf den 1700 Menschen fassenden Ballsaal der Plagwitzer Location aber auch nachvollziehbar: unter dem Balkon an einem Ende findet sich die Bar mit dem großen Tresen, der vor langem Anstehen bewahrt. Am anderen Ende befindet sich die relativ kleine Bühne; dazwischen eine riesige Tanzfläche umrahmt von einer flachen Tribüne mit Arkaden, welche die gebogene Decke tragen. Die Offenheit des Raumes, die nur von den herunterhängenden Kronleuchtern unterbrochen wird, bietet eine weite Projektionsfläche für allerhand Lichtspiel und eine schön-barocke Kulisse. Diese Leere muss allerdings erstmal gefüllt werden, bevor Atmosphäre aufkommen kann: „Ich würde denken, dass 700 Menschen in etwa die Größenordnung sind, vor der Bonaparte normalerweise auftreten. Für den Felsenkeller ist aber noch Luft nach oben“, meint Oliver Schröter, Pressesprecher und Teil der Betreiber GmbH. Die Tribünen an den Seiten erlauben beste Sicht von überall im Raum auf die ekstatische und nackte Bühnenshow und freies Bewegen. Sie verlocken die Menge jedoch auch, sich zu vereinzeln, was spätestens beim Crowdsurfing des Frontsängers der schwitzenden Handvoll Menschen vor der Bühne Schwierigkeiten bereitet. Das meint auch Steffi, eine Zuschauerin, die heute mit Löwenmütze der Veranstaltung beiwohnt: „Ich habe Bonaparte schon einmal im Werk 2 gesehen, da fand ich es schöner, weil es nicht so groß war.“ Dafür macht die flache Bühne ohne Absperrung es den Fans möglich, ihrem Idol quasi die Füße zu küssen – oder ihm einen schnellen Besuch auf der Bühne abzustatten. Näher geht nicht. In Räumlichkeiten, in denen vor rund 100 Jahren Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die Leipziger Arbeiterbewegung angeheizt haben passt eine Band, die in ihrem Lied „Wrygdwylife?“ singt

    „Say what, what am I gonna do with my time?

    I could be your enemy and you could be mine.

    Or I could steal a car. Or I could ride my bike.

    Or I could start to work. But maybe I will only strike.“

    aber allein schon thematisch bestens rein.

    Frontsänger_Bonaparte_mit_gewohnt_nackter_Performerin[1]

    Der Frontsänger von Bonaparte neben nackter Performance (V. Kramp) 

    Der Raum ist außerdem wunderbar wandelbar: Eine Stunde zuvor versammelten sich noch auf 800 dicht platzierten Stühlen das Auditorium von Michael Nast. Der Blogger und Autor aus Berlin, der angeblich die Generation Y am besten in Worte fassen kann („Die einen lachen, weil sie es lustig finden, die anderen, weil sie sich wieder erkennen.“), las im Rahmen der „Unter Freunden Tour“ aus seinem Erstlingswerk „Ist das Liebe oder kann das weg?“. „Michael hat Leipzig wohl gefressen“, meint Schröter. 800 verkaufte Karten sind Rekord für seine Auftrittsreihe, die über Hamburg und Berlin ging und in Leipzig endete. Bonaparte war jedes Mal dabei und das nicht nur im Anschluss sondern auch als Teil der Lesung. Hinter einer Maske verkörperte der Sänger „jeden weiblichen Gesprächspartner, der im Buch auftauchte“. Da die Lesung schon nach wenigen Tagen ausverkauft war, kommt Nast eine Woche später noch einmal allein und im Februar nach Erscheinen seines nächsten Buches schon wieder in den Felsenkeller. Schröter sagt dazu: „Wir sind begeistert von der Resonanz. Michael war echt aufgeregt, vor so vielen Menschen zu lesen.“ Aber auch hier gilt wieder: schöne Kulisse, aber fast schon zu groß, um persönlich zu werden. „Ich versuche hier gerade eine Atmosphäre aufzubauen“, ruft Nast belehrend in den Backstage, als er mehrmals von einer Fahrradhupe unterbrochen wird. Auch wenn das in diesem Fall gewollt war, ist der angesprochene Versuch allgemeingültig. „Meine letzte Lesung habe ich im Neuen Schauspiel erlebt, das war viel gemütlicher, weil kleiner. Aber es hat mir dennoch gefallen.“, merkt eine Besucherin an, die sich auf der Treppe niedergelassen hat.

    Michael_Nast_(links),_daneben_Bonapartesänger_Jondt_als_Gesprächspartnerin[1]

    Lesung von Michael Nast und Tobias Jundt (v.l.n.r.; V. Kramp)

    Das zeigt auch, dass im Felsenkeller alles schön ungezwungen ist: Es ist auch kein Problem, sich Nasts Worten „.Ich fick dich auch mit kleinen Titten“ in einer Ecke der Tribüne liegen hinzugeben. Besenkammer oder Großraumdisco? Das obliegt wohl der eigenen Präferenz. Im Anschluss an die Lesung ließ sich Nast, der sich gerade noch über Generation Smartphone aufgeregt hatte, übrigens noch mit seinem Megapublikum im Hintergrund ablichten mit den Worten: „Wir müssen noch ein Selfie machen. Ach nein, ist ja kein Selfie, ist ein Foto. Ich hasse ja Selfies.“ Natürlich.

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