Kaum zu ertragende Ehrlichkeit
Der erste Tag auf dem Leipziger DOK Festival: „A Baptism of Fire“ und „The Black Flag.
Seit er das in Syrien erlebt hat, glaubt Jérôme Clément-Wilz, nicht sterben zu können. Das sagt der junge Mann im rot-karierten Hemd zumindest, als er nach seinem Dokumentarfilm „A Baptism of Fire“ vor die Zuschauer tritt, die lange applaudieren. Nach der Eröffnung am Montag ist es der erste volle Tag des DOK Filmfestivals in Leipzig, und dieser Film ist gleich wie ein Schlag ins Gesicht.
„A Baptism of Fire“ – Die Kamera als Waffe des Journalisten
Sie fängt vermeintlich harmlos an, die Dokumentation über den Alltag junger Kriegsreporter, die als freie Journalisten in Krisengebiete ziehen und dort ihr Geld verdienen wollen. Der Protagonist ist ein französischer Fotograf, 29 Jahre alt, schwarze Locken, dunkle Augen. Es ist 2011, er ist in Kairo und dokumentiert den Arabischen Frühling. Die Szenen springen zwischen den Protesten – Gasmasken, Schüsse, Tränengas, blutende Menschen – und der Unterkunft, die der junge Mann mit anderen französischen Journalisten teilt.
Er steht im Türrahmen des Badezimmers, lässig nur ein weißes Handtuch um die Hüften, reißt einer Freundin die Gasmaske aus der Hand, die sie gerade ausprobiert, und posiert damit in der Badewanne. Doch Übermut wechselt sich mit Vernunft ab. In einer der nächsten Szenen umwickelt eine der jungen Reporterinnen ihren Schritt mit zig Schichten Gaffer Tape und zieht doppelte Hosen an. Sie hat von einer Massenvergewaltigung auf dem Tahrir-Platz gelesen und will sich schützen.
Die Waffen der Journalisten sind ihre Kameras. Ihr Schutz ein Helm und eine kugelsichere Weste. In Libyen, an der Front, wo aufgebrachte Rebellen eine abgerissene Hand und blutige Fetzen in die Kamera halten, scheint das erbärmlich wenig. Regisseur Jérôme Clément-Wilz hat sich bei dieser Dokumentation in die gleiche Gefahr gebracht, in der die Protagonisten schwebten. „Ich wollte auch betonen, dass man diesen Job nicht zum Spaß machen kann“, sagt er. Am Anfang seien die Reporter sehr unbeschwert gewesen, das habe sich mit den Erfahrungen verändert. Eine junge Frau sagt nach dem Tod eines Kollegen, der mit 28 Jahren in Homs bei einer Granatenexplosion starb: „Plötzlich realisierst du, dass das du selbst sein könntest.“
„The Black Flag“ – schonungsloser IS Terror auf der Leinwand
Während die Zuschauer im vollbesetzten „Wintereck“ in den Passage Kinos noch den ersten Film verdauen müssen, bricht der zweite über sie herein, mit dem andauernden Staccato der Maschinengewehre und brutal schlicht präsentierter Gewalt. „The Black Flag“, vom iranischen Regisseur Majed Neisi, dokumentiert den Angriff schiitischer Milizen auf eine Kleinstadt im Südirak, die von Terroristen des Islamischen Staates (IS) besetzt ist.
„Wir haben keine Angst vor euren Selbstmord-Bomben“ singen die Dutzenden Männer der Miliz, allesamt haben dunkle Augen unter ihren langen Wimpern und dichte schwarze Bärte. Sie tanzen, rufen und stampfen mit in die Luft gestreckten Waffen. Sie folgen der „Fatwa“, dem Rechtsgutachten eines islamischen Rechtsgelehrtem, das festlegt, ob eine Handlung mit den Grundsätzen des islamischen Rechts vereinbar ist. Sie halten Kriegsrat auf einem ausgeblichenen Teppich und knien in Tarnanzügen um eine Karte des Gebiets herum. „Ihr Bastarde, wir haben keine Angst“, ruft ein Kämpfer nachts über den Erdhügel, der sie von den Terroristen des IS trennt.
Als eine Operation auf feindlichem Gebiet beginnt, ist der Film kaum noch zu ertragen. Das Tackern der Maschinengewehre wechselt mit dem dumpfen Knall größerer Geschosse. Die Männer schlagen sich durch einen dichten Palmenhain, ein junger Kämpfer gräbt mit bloßen Händen eine Mine für Fahrzeuge aus dem Boden aus und trägt sie beiseite. In dieser Szene fängt eine Frau im Saal an zu weinen und geht hinaus.
Während des zweiten Films verlassen etwa zehn Leute den Saal, in Kombination mit dem vorangegangenen Film ist er tatsächlich erschütternd, kaum auszuhalten. Die Kamera folgt immer, lässt keine Szene aus, unerbittlich, absolut ehrlich. Erst der Abspann verschafft dem Zuschauer Linderung. Die Stadt ist vom IS zurückerobert, die Männer haben die schweren kugelsicheren Westen abgelegt und feiern den Sieg. Weiß auf schwarzem Grund laufen die Buchstaben und es ist still. Nur ein leises Rauschen und Vogelgezwitscher.
Beide Filme laufen noch einmal am Donnerstag, dem 29. Oktober, um 19.15 Uhr in den Passage Kinos und am Samstag, dem 31 Oktober, um 14 Uhr in der Cinématheque
Fotos: „The Black Flag“ – Majed Neisi, „A Baptism of Fire“ – Jérôme Clément-Wilz
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