• Menü
  • Leipzig
  • Kultur
  • Film
  • Verlust, Trauer und Einsamkeit

    Der zweite Tag auf dem Leipziger DOK-Festival: „Last Day of Freedom“, „Pervert Park“ und „Heritage“.

    Es sind keine Filme mit Einhörnern und Happy Ends. Sie handeln von Demut, Schmerz und Tod. Und sie lassen die Zuschauer mit einer unendlichen Traurigkeit zurück. Mit „Last Day of Freedom“, „Pervert Park“ und „Heritage“ boten die Passage Kinos heute keine leicht verdauliche Kost.

    „Last Day of Freedom“ – Eine tragische Familiengeschichte 

    Schon der Titel verheißt nichts Gutes: „Last Day of Freedom“ ist ein amerikanischer Dokumentationsfilm. Für die verschiedenen Montageverfahren und Animationen haben sich die Regisseure Dee Hibbert-Jones und Nomi Talisman bewusst entschieden. „Es wäre sonst nicht möglich gewesen, Billys Schmerz zu ertragen“ sagte Hibbert-Jones nach dem Film. Da hat sie wohl Recht. Selbst wenn sein Gesicht nur durch ein paar schwarze Striche auf weißem Grund dargestellt wird, ist Billys Verzweiflung deutlich spürbar, als er die Geschichte seines Bruders und von seiner eigenen Schuld, diesen verraten zu haben, erzählt.

    Mit schockierenden Bilder – oder vielmehr animierten „Stop-Motions“ – enthüllt sich nach und nach eine tragische Familiengeschichte. Billys Bruder Manny diente mehrere Jahre lang im Vietnamkrieg. Er kam schwer traumatisiert wieder zurück. Doch niemand merkte es. Er wurde ausfallend, aggressiv und „finally did something terrible“. Für den Mord an einer älteren Frau muss er sich verantworten, obwohl er sich nicht einmal mehr an die Nacht erinnern kann, in der die Tat geschah.

    Mit den feinen Strichen der gezeichneten Animationen kommt eine pseudo-demokratische Gesellschaft zutage, in der Menschen durch alle sozialen Netze fallen. Es wird das Versagen der Politik gezeigt, die ihre eigenen Soldaten nach deren Pflichterfüllung vergisst. Es wird ein Gerichtssystem gezeigt, in dem es die Verteidigung versäumt, einen Kriegsveteranen auf posttraumatischen Stress untersuchen zu lassen und damit ein Todesurteil unterschreibt, das ganze Familien zerstören wird. Es ist ein Film, der lange haften bleibt. Die Pause zum Durchatmen, die man eigentlich nach diese Doku bräuchte, wird einem jedoch nicht gewährt. Und es geht nicht minder intensiv weiter.

    „Pervert Park“ – Ein nicht endender Kreislauf von Opfern, die zu Tätern werden 

    Die schwedische Dokumentation „Pervert Park“ von Frida und Lasse Barkfors knüpft nämlich an ebenjenes Thema an: das Versagen der Politik und das individuelle Scheitern des Einzelnen. Gezeigt wird ein Sozialprojekt in Florida, in dem Sexualstraftäter nach ihrer Haft leben und ins Leben zurückfinden sollen. In ruhigen Bildern wird der Alltag in dieser Häuseranlage eingefangen. 120 Männer und Frauen leben hier, manche seit Jahren. Einige von ihnen werden mit der Kamera begleitet und erzählen offen und aufrichtig von ihren Straftaten und Vergangenheiten. Was sich dabei offenbart, sind erschütternde Lebensgeschichten, die einem den Atmen nehmen.

    pervertpark1-e1445047617947Sicherlich zählen Sexualstraftaten zu den schlimmsten Dingen, die Menschen einander antun können, und deswegen stellt „Pervert Park“ die Schuldfrage auch nicht zur Diskussion. Aber die Geschichten hinter diesen Tätern, die auf so viele verschiedene Arten ebenfalls auch irgendwie Opfer sind, wühlen auf und sind zugleich schmerzhaft und unglaublich traurig.

    Gewalt und Missbrauch hat fast ein jeder von ihnen erlebt, und auch den Kampf um Anerkennung und Respekt, sowie die ewige Frage nach Schuld und Gewissen. Am intensivsten scheint die Geschichte von Tracy. Sie ist eine der wenigen Frauen in dem Projekt, sie ist stämmig und vielleicht Mitte dreißig. Als Kind wurde sie von ihrem Vater und seinen Kollegen missbraucht, wieder und wieder. Sie kam häufig mit inneren Blutungen ins Krankenhaus, mit 11 Jahren hatte sie ihre erste Abtreibung. Als Teenager schlief sie mit älteren Männer, mit 16 wurde sie wieder schwanger. Diesmal trug sie das Kind aus. Von ihrem Freund misshandelt und geschlagen, zog sie mit ihrem Sohn zurück in die alte Wohnung – zu ihrem eigenen Vater. Die Hölle begann von Neuem. Und im Folgenden kommt es noch viel, viel schlimmer.

    „Heritage“ – Die große Liebe eines Vaters für seinen Sohn 

    Als ich den Kinosaal verlasse, wische ich mir die Tränen aus den Augenwinkeln. Ich hätte es auch lassen können. Denn der norwegische Film „Heritage“ von Charlotte Thiis-Evensen beschäftigt sich mit dem Tod und der Frage, was von einem bleibt, wenn man geht. Das ist anfangs noch nicht so erkennbar. Die Dokumentation beginnt mit einem Babyvideo. In der typischen euphorischen Art frisch gebackener Väter hält der stolze Papa die Kamera auf den kleinen Philip, der das süßeste Lächeln zeigt, das die Kinowelt je gesehen hat. Ein paar Monate alt ist der Kleine. Er wird seinen Vater nie richtig kennen lernen. Denn Christian Flatlie hat Krebs.

    Ein Freund will ihm helfen und überredet eine Filmemacherin, den jungen Vater zu interviewen. Diese Videos sollen Philip gezeigt werden, wenn er älter ist. Herausgekommen ist neben zehn Stunden Material für den Kleinen dieser 20minütiger Film, der nicht nur mich zu Tränen rührt.

    Neben den Interviews, in denen Christian viel über sich und sein Leben erzählt, werden Animationen eingeblendet, dazu die Zitate kleiner Jungs. Sie sprechen über ihre Väter, was sie gemeinsam machen, was den Papa so besonders macht. Und was ihnen fehlen würde, wäre er nicht mehr da. Philip wird auch eine Lücke in seinem Herzen tragen, wenn er älter wird. Aber er hat Videos von seinem Vater, in denen er ihm Ratschläge gibt und ihm sagt, dass er ihn lieb hat.

    „Heritage“ ist eine ganz besondere Liebeserklärung an die Liebe. Denn während wir Christian dabei zusehen, wie sein Haar immer dünner und sein Gesicht immer eingefallener wird, verliert er nie die Hoffnung. Auch wenn er über eine Zukunft spricht, die er mit seinem Kind nicht teilen wird. Er rät seinem Sohn, kochen zu lernen und viel zu lesen. Und auch: „Wenn Mama mich vermissen sollte, und das wird sie bestimmt, dann rede mit ihr. Frage sie, wie ich gewesen bin. Ich glaube, das wird ihr helfen. Und dir bestimmt auch.“

    „Last Day of Freedom“ erneut am Donnerstag 19:30 Uhr 
    und Freitag, 22:00 Uhr (jeweils Passage Kinos) und am 
    Sonntag, 17:30 Uhr (Cinémathèque)

    „Pervert Park“ erneut am Freitag, 22:00 Uhr (Passage Kinos) und 
    Sonntag, 17:30 Uhr (Cinémathèque) 

    „Heritage“ erneut am Samstag, 20:00 Uhr (Cinémathèque) 

    Fotos: „Last Day of Freedom“ – Dee Hibbert-Jones und Nomi Talisman, „Pervert Park“ – Frida und Lasse Barkfors

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.