Freundschaft im Hörsaal (Gastartikel)
Eine gute Idee für die Integration. - Gastartikel der hastuzeit (Unizeitung Halle)
Seit diesem Wintersemester können Flüchtlinge an der Martin-Luther-Universität Halle als Gasthörer Veranstaltungen besuchen. Als Tandempartner helfen Studierende ihnen nicht nur durch den Uni-Alltag.
Die beiden Löwen auf dem Uniplatz sind in Sonnenlicht getaucht. Es ist vielleicht der letzte lauwarme Tag im Jahr. Eine kleine Menschentraube hat sich vor dem Löwengebäude gebildet. Auf den Treppenstufen sitzen eine Frau und ein Mann, ihre Köpfe auf die Beine gelegt und die Augen geschlossen. Der 20-jährige Khaled stammt aus Syrien. Er ist einer von 51 Flüchtlingen, die sich dieses Wintersemester als Gasthörer an der Uni eingeschrieben haben. Neben ihm sitzt die Geographiestudentin Isabell Klipper, die Khaleds Tandempartnerin ist und ihn durch den Unialltag begleitet. Khaled, der vor dem Krieg in Syrien geflohen ist, hat durch einen Freund von dem Projekt erfahren und besucht jetzt Kurse in Wirtschaftsgeschichte und Medienwissenschaften.
Das Gasthörerprogramm für Flüchtlinge an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg läuft seit über vier Wochen – die Vorbereitungen begannen schon im Sommer. In ganz Deutschland schießen derzeit universitäre Initiativen aus dem Boden, die Flüchtlingen den Zugang zur Hochschule ermöglichen wollen. Meistens sind es Studierende, die sich für Flüchtlinge einsetzen – so auch in Halle.
„Bildung ist ein Schlüssel zur Integration, der Flüchtlingen bisher verwehrt wurde, obwohl manche sogar schon in ihren Heimatländern studiert haben“, sagt Anika Zorn, Organisatorin des Projekts. Diese Situation wollten sie und andere Studierende der Hochschulgruppe der Linken, dem SDS, nicht hinnehmen und haben die Initiative auch im Hinblick der sich häufenden fremdenfeindlichen Übergriffe gestartet. Sie sind mit der Verwaltung und der Uni-Leitung in Kontakt getreten, um Flüchtlingen ein kostenloses Gasthörerprogramm zu ermöglichen. Das Rektorat der Uni hat diesem Anliegen auf einer Rektoratssitzung Ende Juli zugestimmt. Auch der Studierendenrat unterstützt die Initiative, die inzwischen zu einem dauerhaften Arbeitskreis geworden ist.
Nach dem Rektoratsbeschluss folgte eine Menge Arbeit für die ehrenamtlichen Helfer. Das Projekt wurde durch mehrere Infoveranstaltungen in den Unterkünften unter den Flüchtlingen bekannt gemacht. Gasthöreranträge mussten ausgefüllt werden, was bei sprachlichen Barrieren nicht immer einfach war. Auf diese Barriere stoßen einige Gasthörer auch in den Uni-Veranstaltungen. Kaum ein Seminar oder eine Vorlesung wird in Englisch angeboten. Vordergründig gehe es jedoch darum, „dass die Flüchtlinge Anschluss an die Gesellschaft finden und Deutsch lernen“, erklärt Zorn.
Zum Semesterstart wurde ein großer Aufruf an die gesamte Studierendenschaft gerichtet, um Tandempartner zu finden. Etwa 150 Studierende erklärten sich bereit, zu helfen. „Wir waren von dem Ansturm positiv überrascht. Es waren so viele, dass sich noch Leute gefunden haben, die künftig einen Deutschkurs anbieten, gemeinsame Kochabende und andere Sachen organisieren“, so Zorn. Auch die 23-jährige Isabell wollte helfen: „Warum nicht aktiv werden und einen Beitrag zur Integration leisten, wenn es so einfach ist?“
Sogar das Landesministerium für Wissenschaft und Wirtschaft ist von dem Projekt angetan. „Die Gasthörerschaft bietet studieninteressierten Flüchtlingen eine sehr gute Möglichkeit, einen ersten Schritt in Richtung einer akademischen Ausbildung in Deutschland zu unternehmen“, so Robin Baake, stellvertretender Pressesprecher des Ministeriums. Der Idee, AsylbewerberInnenn ein reguläres Studium zu ermöglichen, steht das Ministerium offen gegenüber: „Das Ministerium begleitet und unterstützt diesen Prozess“, erklärt Baake. Das freut auch die Initiatoren des Projektes: „Wir wollen, dass Flüchtlinge künftig auch ein reguläres Studium an der Universität beginnen können“, sagt Zorn. Unrealistisch ist das nicht. An der Hochschule Magdeburg-Stendal haben seit diesem Wintersemester erstmals Geflüchtete ein reguläres Studium begonnen und vom Wissenschaftsministerium auf Bundesebene wurden 100 Millionen Euro für den Zugang von Flüchtlingen zu den Hochschulen zugesagt.
Khaled und Isabell sitzen immer noch vor dem Löwengebäude, die Augen ganz klein. „Mir gefällt das Projekt sehr gut und ich lerne viel“, erzählt Khaled. Durch den Kontakt mit anderen Menschen lerne er schneller. Mit Isabell und seinem zweiten Tandempartner Florian trifft Khaled sich auch gerne in seiner Freizeit, dann kochen und feiern sie zusammen. Bei der Frage, warum die beiden so müde aussehen, müssen sie lachen. „Wir waren gestern zusammen feiern und sind ein bisschen verkatert“, erklärt Isabell.
Vincent Streichhahn
Artikelfoto: Katja Elena Karras
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