„Ich habe Sehnsuchtsattacken – fünfmal am Tag“
Die Band Wanda macht Pop mit Amore und Wiener Schmäh. Heute sind sie in Leipzig.
Die Wiener Band Wanda singt im Dialekt morbide Texte über Liebe und Alkohol. Im letzten Jahr veröffentlichten sie ihr erstes Album „Amore“ und stiegen mit eingängigen Melodien rasant vom Geheimtipp des Austropop in die obigen Texte aller deutschsprachigen Charts und dem Headliner des Leipziger Campusfestes am 11.6.15 auf. Im Anschluss an das Konzert sprach student!-Redakteurin Sophia Neukirchner mit Frontsänger Marco über Sehnsuchtsstädte, Zierpenschnaps, Hemingway und Texte, die klüger sind als ihr Autor.
student!: Zum Einstieg gleich mal eine provokante Frage, warum tust du das hier?
Marco: Ich wüsste nicht, was ich machen würde, wenn ich das hier nicht machen würde. Ich glaub, ich habe urst viele Talente gehabt. Aber ich musste mich für eins entscheiden. Ich hab so eine Wettlauf gehabt in mir selbst. Werd ich zuerst Maler, Schreiftsteller, Vollidiot oder Musiker. Und dann bin ich Musiker am Schluss geworden.
student!: Du singst in einem eurer Lieder „Luzia“: „Ich bin ein einfacher Typ ohne viel Hirn“. Bist du Musiker mit viel oder ohne viel Hirn?
Marco: Mit viel Hirn und mit viel Herz. Und sehr viel ohne Hirn.
student!: Hast du das selbe Gefühl bei eurem Publikum? Du hast vorhin auf der Bühne angekündigt, dass euer zweites Album, was im Herbst erscheint, niemand kaufen wird, weil es keiner versteht.
Marco: Das nennt man eigentlich „Wiener Schmäh“. Scheinbar weiß hier keiner, was das ist. Ich bekomm in Deutschland immer zu hören, dass immer, wenn ich was Ernstes sage, sei das Wiener Schmäh und wenn ich etwas Lustiges sage, wirke das ernst. Das ist kompliziert.
student!: Könnte man das vielleicht mit Ironie beschreiben?
Marco: Ironie? Hemingway sagt: Ironie und Mitleid, das muss ein Künstler mit den Menschen haben. Insofern hab ich sicher auch Ironie, aber mehr Mitleid.
student!: Ihr singt von „stehengelassenen Weinflaschen“, du forderst während eurer Bühnenshow lautstark „Ich will Schnaps!“ und die Weinflasche, die du währenddessen getrunken hast, hälst du immernoch in den Händen. Bist du auch manchmal nüchtern?
Marco: Ja, viel öfter als betrunken. Aber wenn ich trinke, dann immer Weißwein. Und angesetzten Zierpenschnaps. Gibts das hier in Deutschland? Das ist eine Art Rinde und daraus wird dieser Schnaps gemacht. Sehr lecker und am liebsten pur. Außerdem mag ich „Whiskey sour“ sehr gern. Aber ich trink auch nicht um zu genießen, sondern um besoffen zu werden, muss ich ehrlich sagen.
student!: Die Vorbildfunktion kann man also abhaken. Aber dennoch hast du dir Freunde unter den Lokalpatrioten im Publikum gemacht, als du „Leipzsch“ richtig ausgesprochen hast. Fühlst du dich selbst sehr verbunden zu deiner Heimatstadt, Wien?
Marco: Gute Frage, ich habs eigentlich lange Zeit gehasst, aber ich glaub weil ich die Umstände meines Lebens gehasst habe. Ich kann es nicht der Stadt in die Schuhe schieben. Aber mittlerweile mag ich Wien sehr gerne. Und wenn ich was anderes sage, ist es wieder ein Wiener Schmäh. Meistens geht’s mir nicht gut, aber jetzt schon. Ich hab jetzt eine größere Wohnung und mehr Geld.
student!: Andere Städte wie „Bologna“ und „Rom“ spielen in euren Texten und Videos eine große Rolle. Wieviel Italien steckt in euch?
Marco: Meine Großmutter war Italienerin. Ich hab sogar Anspruch auf den italienischen Pass, weil meine Mama ihn hat. Das heißt ich bin in gewisser Weise Italiener. Aber ich sprech die Sprache sehr schlecht, aber dafür versteh ich sie sehr gut. Und Zuhören ist meist viel besser als selber reden.
student!: Ich hab das Gefühl, du redest mindestens genauso gern wie du trinkst. Und du teilst den Wein, zumindest auf der Bühne, nicht mit deinen Bandkollegen.
Marco: Normaler Weise tu ich das. Wir beschenken die Menschen, die zu unseren Konzerten kommen eigentlich immer mit lauter Bierdosen. Das haben wir hier ja auch versucht, aber hier gabs keinen Alkohol. Wir konnten hier nicht Robin Hood spielen. Sehr traurig.
student!: Hast du das Gefühl, dass Leipzig eine sehr traurige Stadt ist, weil ihr keinen Alkohol für eure Bühnenshow bekamt?
Marco: Mir kommts schon so vor, als wenn in Leipzig so ein bisschen das echte Leben ist. Kann das sein? So ein bisschen Armut hier und da. Nicht so die reiche Medienstadt, wie angegeben. Aber ich habe auch noch nicht soviel von der Stadt gesehen. Wir sind jetzt zum dritten mal hier und es war immer nur Bühnen und Hotel. Und sollten wir durch die Straßen gezogen sein, kann ich mich nicht erinnern. Wie keinmal. Mein Bandkollege meinte, ihm kämen die Häuser vor wie in Wien. Bis wir hier angekommen sind, hab ich geschlafen und das war auch die letzten zwei Male so. Aber ich muss mal hinschauen. Ich finde die meisten deutschen Städte sehr schön. Und ich mag die Menschen vom Land, in jedem Land. Meine Eltern wohnen jetzt da. Haben erst in Wien gewohnt, aber sind geflüchtet. Nur für mich gibt es „kein Haus am Land“:
student!: Diese Textzeile aus „Schick mir die Post“ ergibt also wirklich Sinn. Andere Zeilen sind weitaus kryptischer. Erklär mir bitte, was du meinst, wenn du in dem Lied „Bologna“ singst: „Ich möchte gern mit meiner Cousine schlafen, aber ich trau mich nicht.“
Marco: Das ist ganz einfach: Ein Werk ist immer intelligenter als der Autor. Das heißt ich wusste eigentlich gar nicht, was das bedeutet bis vor kurzem. Aber jetzt weiß ich, was das heißt: Ich glaube das ist etwas sehr Europäisches oder überhaupt etwas ganz Weltliches, nämlich Heimatlosigkeit. Also ich glaube in dieser Zeile drückt sich vielmehr die Sehnsucht nach einer Cousine und die Sehnsucht nach einer Familie und die Sehnsucht nach einer Zugehörigkeit aus. Deshalb auch der Refrain mit Bologna und so. Wir kriegen jetzt auch Videos zugeschickt von Leuten, die das Lied aufnehmen und das Bologna ersetzten mit Hamburg oder Paris – eben durch ihre Sehnsuchtsstädte. Ich schätze, in dem Lied geht es ausschließlich um Sehnsucht.
student!: Hast du eine Sehnsucht?
Marco: Ständig, ja. Andere Menschen haben Panikattacken. Das hab ich nicht, ich hab Sehnsuchtsattacken. Von einem Moment auf den anderen hab ich Sehnsucht nach Dingen, die es nicht gibt. Das hab ich sehr oft, fünfmal am Tag. Aber ich kann es nicht einmal benennen. Das ist einfach blanke Sehnsucht. So schrecklich und schön. Aber ich weiß nicht was es ist. Viele Dinge sind schrecklich und schön, glaub ich. Eigentlich alle.
student!: Ich finde eure Videos schrecklich schön. In dem Clip zu „Auseinandergehen ist schwer“ schüttet ihr Fässerweise Kunstblut und Rotwein durch einen Gang. Wollt ihr mit euren grotesken Videos etwas ausdrücken?
Marco: Wir wollten den Leuten so kleine Träume ermöglichen. Wir haben uns sehr viele Gedanken gemacht vorher, aber es dann wieder vergessen. Gott sei Dank. Damit wir nicht belastet sind. Ich glaub so ist es auch in unseren Texten. Ich glaub wirklich das alles was bedeutet. Ich weiß es nur meistens nicht. Es hat wahrscheinlich wirklich viel mit Sehnsucht und auch ein wenig mit Freiheit zu tun und auch mit Gewalt irgendwie.
student!: Wie in dem Lied „Schickt mir die Post“: „Besucht die Mutter wenn sie schläft – schlag ihr für mich den Schädel ein“?
Marco: Zum Beispiel: Da haben wir gleich Sehnsucht, Gewalt und was auch immer ich vorhin gesagt habe.
student!: Auf jedem Foto, was es von dir oder der Band gibt und zu jedem Auftritt trägst du das weiße Hemd und die braune Lederjacke – jetzt auch. Verbindest du damit etwas?
Marco: Ich hab wenig Kleider und die Jacke ist jetzt auch schon fast kaputt. Aber es gibt schon so Kleidungsstücke, die kann man ein leben lang behalten, wenn man es drauf anlegt. Ich glaub ich hab mal was damit verbunden aber das ist jetzt ausgetauscht mit dem, was ich jetzt damit verbinde: ungefähr 200 Konzerte. Das Outfit trage ich auch gar nicht mehr privat oder sehr selten. Jetzt ist es ein Kostüm und ich zieh es nur noch auf der Bühne an. Das gibt mir Sicherheit. Weil so ganz leicht ist es nicht, da hoch zu steigen und irgendwas von sich preis zugeben. Aber ich finde, wir haben ein nettes Publikum.
student!: Hast du das Gefühl, dass das Publikum hier gut mitsingen konnte, dass ihr bekannt seid?
Marco: Ich glaub in Leipzig kennen uns noch nicht so viele Leute. Überall sonst schon. Aber in Deutschland läuft es sehr, sehr gut. In Berlin, Hamburg oder auf den Drfern. Aber bis Ende des Jahres kennen es dann alle und jene, die es mögen werden damit machen, was sie wollen und die andern werden es ablehnen, was aber auch völlig ok ist. Man muss ja nicht überall ein Star sein. In Österreich sind wir es aber längst.
student!: Woran machst du diese optimistische Einschätzung fest?
Unser Album „Amore“ jetzt 32 Wochen in den Charts und Gold auch schon. Wir haben das Album für 900 Euro bei einer Plattenfirma aufgenommen, die ihren Sitz im Wohnzimmer eines Freundes hatte. Da hätten wir nie gedacht, dass das so hoch hinaus geht. Das ist großartig. Wichtig ist vor allem, dass es den Leuten macht. Vielleicht gefällt es den Menschen, wenn man lacht. Kann sein, dass wir deshalb so groß geworden sind.
student!: Das hab ich auch gemerkt: Wenn man jemand anlacht, dann lacht er meistens zurück.
Marco: Ja, absolut. Und wenn jemand stinkt, dann stinkt der andere zurück.
student!: Ihr habt euch nach Wiens einzigem weiblichen Zuhälter, Wanda Kuchwalek, benannt. Berühmt ist sie, aber auch kontrovers: Sie schien sehr cholerisch gewesen zu sein und wurde mehrmals wegen gewalttätiger Übergriffe verurteilt. Könnt ihr euch denn mit diesem Charakter identifizieren?
Marco: Ja, ich fand sie irgendwie sehr aufregend, weil es solche Figuren fast nicht mehr gibt. Alle Menschen ähneln sich jetzt. Und alle Menschen haben gleich viel Angst. Ich glaub die war eine grässliche, aber auch eine mutige Frau. Hat sich in der Untergrundwelt gegen männliche Gangster durchgesetzt und das ist schon bemerkenswert. Kennengelernt haben wir sie jedoch nicht. Aber die Tante unseres Gitarristen war in den 60er Jahren mit ihr in der Schule. Da gibt es sogar eine Verbindung.
student!: Möchtest du noch was sagen?
Marco: Give Peace a chance. Das ist mir ganz wichtig. Davon kann man heute was mitnehmen.
Titelbild: Marco, der Frontsänger, lässt sich im Juni auf dem Campusfest feiern. Foto: Jessica Steinberg
Bild links: Albumcover „Amore“, erschienen im Oktober 2014. Foto: Flo Senekowitsch und Wolfgang Seehofer
Bild rechts: Auftritt in Bielefeld. Foto: Sascha Uding, alternative-design.com
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.