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  • „Menschen sind keine Güter“

    Daniel Schmidt ist Mitglied im Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung. Im Interview spricht er über die Rolle der Universität in der Gesellschaft und über ein Weltbürgertum.

    Dieses Interview ist der zweite Teil eines zweiteiligen Gesprächs, das zuerst mit Jurist Prof. Thomas Rauscher und dann mit Politologe Dr. Daniel Schmidt geführt wurde. Das Interview mit Thomas Rauscher gibt es hier.

    Doktor Daniel Schmidt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte in Leipzig. Er ist Mitglied im Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung.

    Daniel Schmidt Foto: privat

    Daniel Schmidt Foto: privat

    student!: Herr Schmidt, was ist für Sie Rassismus?
    Schmidt: Rassismus ist eine Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlich­keit. Grundannahme ist, dass es unmöglich ist, eine angeborene Rassen­zugehörigkeit abzulegen. Außerdem nimmt Rassismus an, dass zwischen den einzelnen Rassen qualitative Unterschiede bestünden und gewisse Rassen bestimmt seien, andere zu dominieren. Die modernste Form des Rassismus ist der sogenannte Kulturrassismus, bei dem nicht die menschlichen Gene entscheidend sind, sondern die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis.

    student!: Welche Rolle spielt die Universität für die Meinungsbildung in unserer Gesellschaft?
    Schmidt: Universitäten sind Orte des Austausches und der Meinungsbildung im weitesten Sinn. Ob durch studentisches Engagement, Demontrationen oder Podiumsdiskussionen, Uni­­­­versitäten sind Teil der emanzipatorischen, demokratischen Gesellschaft. Außerdem fungieren Wissenschaftler oft als Experten im politischen Geschäft. So wirken sie beispielsweise bei Untersuchungs­kom­mis­sionen mit und haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf unsere Gesellschaft.

    student!: Darf eine Universität eine politische Meinung vertreten, oder hat sie vielleicht sogar die Aufgabe, das zu tun?
    Schmidt: Eine Universität hat natürlich (als Körperschaft des öffentlichen Rechts) eine gewisse parteipolitische und weltan­schauliche Neutralitätspflicht. Aber sie steht nicht im außerpolitischen Raum, und sie hat Gremien, die in Fragen wie dem Flüchtlingsproblem oder Kürzungsplänen politische Positionen entwickeln und nach außen tragen können – und meines Erachtens auch sollten. Die Universität Leipzig hat das in der Vergangenheizt immer wieder getan.

    student!: Sind der Wohlstand oder die Demokratie in Deutschland durch Flüchtlinge gefährdet?
    Schmidt: Nein, das sehe ich nicht so. Natürlich werden kommunale Haushalte plötzlich belastet, aber Deutschland ist eins der reichsten Länder der Welt. Es gibt viel ärmere Länder, die mehr Flüchtlinge aufgenommen haben als wir. Die öffentlichen Debatten sind meiner Meinung nach stark verkürzt. Menschen sind keine Güter. Sie haben Wünsche und Ziele und sollten nicht als verschiebbare Masse verstanden werden. Mich als Politikwissenschaftler stört es, dass diese Thematik oft nur so reduziert diskutiert wird.
    Auch die Demokratie gerät meiner Meinung nach nicht in Gefahr. Zwar bekommen rechts­populistische Parteien mo­men­tan durch die Flücht­lingskrise Oberwasser, aber man sollte sich die Parteiprogramme ganz genau anschauen. Auch die AfD sieht sich als Partei insgesamt nicht als demokratiefeindlich. Allerdings be­reitet es mir Sorge, dass das Niveau der Debatte häufig sehr niedrig ist. Die Grenzen des Sagbaren werden immer mehr strapaziert.

    student!: Deutschland wird von einer Partei regiert, die das Christentum im Namen trägt. Können Sie sich eine muslimische Partei in Deutschland vorstellen?
    Schmidt: Ja, ich könnte mir das vorstellen. Warum nicht? Allerdings sind Parteien, die sich ausdrücklich auf ein bestimmtes religiöses Wertesystem beziehen, in unserer Gesellschaft durchaus etwas anachronistisch.

    student!: Wie stehen Sie zu der Idee eines gelebten Weltbürgertums?
    Schmidt: Es kommt auf die eigene Identität an. Die Frage ist, ob man sich seine Identität selber sucht, oder von außen aufgedrückt bekommt. Menschen, die in vielen Ländern unterwegs sind, oder sogar mehrere Staatsbürgerschaften besitzen, verstehen sich möglicherweise als Weltbürger. Dagegen ist meiner Meinung nach nichts einzuwenden. Auch national eingestellte Menschen sind nicht von Grund auf falsch. Es sei denn, es passiert eine Hierarchisierung, wie sie der Rassismus beinhaltet. Niemand darf von seiner persönlichen Identität auf andere schließen.

    student!: Twittern Sie?
    Schmidt: Nein. Ich besitze kein Smartphone. Twitter finde ich eigentlich nur dann sinnvoll, wenn es um aktuelle Dynamiken geht. Zum Beispiel bei den Legida-Kundgebungen konnte ich die Stimmung durch Twitter sehr gut einfangen. Weniger sinnvoll finde ich, wenn Politiker irgendwelche schnellen Nach­richten oder Meinungen durchgeben. Gerade Bundesminister sollten da vielleicht lieber auf ihre PR-Abteilung zurückgreifen.

     

    Artikelfoto: Luise Bottin
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    Teil 1 der Interviewreihe: Thomas Rauscher

     

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