Fehlerhaftes Leben
Sarah Kuttners viel diskutierter Debutroman "Mängelexemplar" läuft morgen in den Kinos an.
Für Karo (Claudia Eisinger) läuft gerade alles ein bisschen beschissen. Sie verliert ihren Job und gleich darauf auch noch ihren Freund. Der war aber eh ein unsensibler Klotz für sie, deshalb wäre dieser Verlust wohl noch zu verkraften gewesen. Da aber auch Karos beste Freundin Anna (Laura Tonke) sauer auf sie ist und Karo deswegen niemanden zum Reden findet, beginnt sie kurzerhand eine Therapie.
Die Psychologin (Maren Kroymann) empfiehlt ihr, auf keinen Fall sofort ihr ganzes Leben umzukrempeln. Als sie natürlich genau das tut, bricht ihr Dasein aus den nicht besonders festen Fugen. Schon vor Beginn der Therapie war Karo extrem emotional, unausgeglichen und vom Alltag überfordert, was sie unter anderem auch ihren Job gekostet hat. Nun brechen ihre vergangenen und aktuellen Probleme mit einer riesigen Welle über der Mittzwanzigerin zusammen.
Basierend auf dem viel diskutierten, 2009 erschienenen gleichnamigen Debütroman von Sarah Kuttner, setzt Regisseurin Laura Lackmann starke eigene Akzente in ihrem ersten Langfilm. So bekommt die hipsterhassende die beste Freundin von Karo, Kneipenbesitzerin Anna, eine deutlich größere Rolle als im Buch und auch der anstrengende Sprachstil der Protagonistin fällt auf der Leinwand deutlich gefälliger aus. Außerdem bekommt das Innere Kind – eigentlich ja nur ein Sinnbild – seine eigene Rolle in der Tragikomödie. Es wurde jedoch nicht viel daran geändert, dass Karo im Buch wie im Film eine unsympathische und anstrengende Persönlichkeit hat.
Besonders zu Beginn des Films kann man sich bei allen guten Absichten um Verständnis nicht der Frage erwehren, was eigentlich das Problem der Hauptfigur ist. Dann werden aus den aufgesetzten hysterischen Anfällen jedoch plötzlich ernsthafte Panikattacken. Dem Zusammenspiel von Regisseurin und Hauptdarstellerin ist es zu verdanken, dass Karos Versinken in der Depression hier eine beinahe erschreckend greifbare Realität erhält. Die kreisenden Gedanken Karos um Angst und Einsamkeit, die als Voiceover häufig gleich in mehreren Spuren laufen, kann sie ihrem Umfeld doch nicht vermitteln, welches wiederum mit Unverständnis reagiert.
Die Protagonistin hat zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit umzukehren und einfach wieder „normal“ zu sein. Das wird vor allem deutlich, als sie ihre Medikamente absetzt, weil es „doch auch ohne gehen müsse“ und dadurch in ein Loch fällt, das so tief ist, dass es sie beinahe vernichtet. Trotzdem mangelt es Karo an der entscheidenden Einsicht, nämlich dass sie nicht ein Problem hat, sondern dass sie selbst das Problem ist.
Dass sie sich zur Ablenkung in Berliner Kneipen herumtreibt, die so „Hipster“ sind, dass die Männer nur aus ironischen Vollbärten bestehen und die Bedienung kein Deutsch versteht, macht die Sache nicht besser. Auch eine Affäre mit ihrem eigentlich sehr netten ehemaligen Arbeitskollegen macht alles nur noch schlimmer. Auf ihrer Suche nach Halt wird sie zu einer Zumutung für jeden, der in ihren Gefühlsstrudel hineingezogen wird. Die fürsorgliche Oma (Barbara Schöne), die pragmatische Mutter (Katja Riemann), mit der sich Karo erst wieder versöhnen muss und die routinierte Therapeutin bemühen sich, jede auf ihre Weise, die junge Frau aus ihrem Loch zu holen. Dabei entstehen einige anrührende Szenen, gespickt mit liebevollen Details.
Regisseurin Lackmann nimmt das Thema Depression ernst und das merkt man dem Film auch an. Auch wenn der Drahtseilakt hier und da ein wenig ins Wanken gerät, ist der Regisseurin mit ihrer Version von „Mängelexemplar“ doch ein überzeugendes Zeugnis der heutigen Zeit und so mancher ihrer Probleme gelungen.
Bilder: X-Verleih
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