Vergessene Zirkusrevolution
„Monsieur Chocolat“ brilliert mit zauberhaftem Charme.
Beim Wort „Zirkus“ denkt man sofort an seine Kindheit zurück: an ein großes Zelt auf einer Wiese, an runde Manegen, dressierte Löwen und im Kreis rennende Pferde. Aber auch die Akrobaten gehören dazu, die Jongleure und Trapezkünstler – und die Clowns.
Dass es im 19. Jahrhundert in Paris einen Clown gab, der vor allem wegen seiner Hautfarbe Berühmtheit erlangte, weiß heutzutage kaum noch jemand. Nicht zuletzt deswegen erzählt „Monsieur Chocolat“ die wahre Geschichte vom Aufstieg und Fall des Clowns Raphaël Padilla, der unter dem Namen „Chocolat“ als erster schwarzer Künstler auf einer französischen Bühne zu großem Ruhm und Reichtum gelangte. Die Handlung beginnt im kleinen Wanderzirkus „Delvaux“, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Nicht einmal einen dressierten Bären kann sich der Zirkusdirektor leisten. Auch der Clown George Footit (James Thierrée, „Love Battles“) überzeugt ihn schon lange nicht mehr mit seinen Auftritten. Das Publikum möchte etwas Neues sehen, etwas Spektakuläres. Neben Attraktionen wie dem stärkstem Mann, der dickster Frau und den Schlangenmenschen ist im Cirque Delvaux nur der „Negerkönig“ Kananga (Omar Sy, „Ziemlich beste Freunde“) einzigartig: Mit furchterregender Miene und Knochenkette stolpert dieses „Bindeglied zwischen Mensch und Primat“ durch das Zelt und erschreckt Kinder und Dorfbesucher gleichermaßen. In ihm sieht Footit die Chance, seine eigene Clownsnummer aufzubessern. Die beiden Außenseiter freunden sich an und entwickeln eine gemeinsame Bühnenshow, die schnell zu einem großen Zuschauermagneten wird: die berühmte Duo-Nummer mit weißem Clown und dummem August. Auftritte in den größten Zirkushäusern von Paris machen Footit und Chocolat schließlich landesweit bekannt. Doch der große Erfolg treibt einen Keil in die Freundschaft der beiden und zieht darüber hinaus die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich. Chocolat muss feststellen, dass er viele Feinde hat, die den Erfolg eines schwarzen Künstlers nicht dulden wollen.
Jede Sekunde von „Monsieur Chocolat“ zeigt das Herzblut, das in ihm steckt: Die Schönheit der Szenenbilder, der Kostüme, das uneitle Spiel der Darsteller und die Freundschaft der beiden Clowns, die so „verschieden, aber untrennbar“ sind, wie Footit nicht müde wird, zu wiederholen.
Oft schmerzvoll-traurig dargestellt ist auch der Willen und der Stolz von Chocolat: Vom schäbigen Wanderzirkus, wo er der „primitive Wilde“ war, kämpfte er sich hoch zum Pariser „Palais des Pantomimes“ mit goldener Fassade und privater Garderobe, wo Ruhm und Reichtum nicht lange auf sich warten lassen. Doch der Unmut der anderen Clowns und seine entwürdigende Opferrolle als „braver Neger, der lachend Fußtritte kassiert“ belasten ihn. Und auch Footit hat mit eigenen Problemen zu kämpfen: er fühlt sich einsam und leidet unter einem Geheimnis, das er mit niemandem teilen kann. James Thierrée (der neben der Schauspielerei auch für Zirkusartistik berühmt ist) spielt ihn wunderbar, den schroffen und verschlossenen George, der nur in der Manege aufzublühen scheint und seine Ängste durch Arbeit, Leistungsbesessenheit und übersteigerten Anspruch an sich selbst bekämpft.
Mit imposanten Bildern erweckt Regisseur Roschdy Zem („Tage des Ruhms“) das Paris der Belle Époque auf der großen Leinwand wieder zum Leben und widmet es dem außergewöhnlichen, in Vergessenheit geratenen Schicksal des Clowns Chocolat. Seit 2009 planten die Produzenten die Verfilmung, doch fehlte ihnen ein farbiger Schauspieler ausreichender Berühmtheit, um das Projekt finanziert zu bekommen. Als Omar Sy im Jahr 2011 mit „Ziemlich beste Freunde“ seine Karriere in Schwung brachte und sich sofort für den Stoff interessierte, war die Besetzung von Chocolat perfekt: Sy hat ein begeisterungsfähiges Naturell und Lust am Lachen – Eigenschaften, die er mit dem schwarzen Clown teilt. Wie sehr ihm die Rolle am Herzen liegt, zeigte er im Januar in einem Interview: „Nach dem Erfolg von „Ziemlich Beste Freunde“ und als man mir den César verliehen hat, habe ich oft gehört, ich sei der erste schwarze Künstler in Frankreich, der so berühmt geworden ist. Um die Dinge richtig zu stellen, hätte ich gerne, dass man sich daran erinnert: Vor mir hat es Chocolat gegeben.“
Seit 19. Mai in Deutschland in den Kinos.
Fotos: DCM
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.