Von der Wandlung der katholischen Kirche
Die Bilanz des 100. Katholikentages in Leipzig
Das „Katholikentagsfeeling“ hätte einen gepackt. So fasst der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, die Stimmung der vergangenen drei Tage auf dem Kirchentag zusammen. Seit Mittwochabend sei Leipzig von einer „gelassenen und friedlichen Fröhlichkeit“ erfüllt, sodass die „Entscheidung, nach Leipzig zu gehen, gut war“, findet Sternberg.
Die abschließende Bilanz der Verantwortlichen des 100. deutschen Katholikentages fiel überaus positiv aus. Nicht nur die steigende Besucherzahl von mittlerweile rund 40.000 Gästen, sondern auch die Nachfrage nach dem inhaltlichen Angebot des christlichen Großevents hätten gezeigt, dass „wir Christen bereit sind zum Engagement“, so Vorsitzender Sternberg.
Dieses Engagement kommt auf unterschiedlichen Ebenen zum Tragen. Inhalte, wie die aktuelle Flüchtlingsbewegung, der Dialog mit Homosexuellen, oder auch ein mögliches Diakonat Diakonat (geistliches Amt) der Frau beschäftigen die soziale und auch ökologische Frage. Diese Fragen weiterzuentwickeln, zu analysieren und Antworten zu finden, hätte auf der Agenda dieses Katholikentages und der 99 vorherigen gestanden, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Reinhard Marx auf der gestrigen Abschlusskonferenz. Genauso gehören der Dialog mit anderen Religionen, vor allem dem Islam, wie auch Aufgaben des Klimaschutzes zum christlichen Verantwortungsbereich. Marx bekundet: „Es gehört dazu, streitlustig und zugleich friedfertig zu sein.“
Kritische Stimmen sind bei dem Katholikentag in Leipzig nicht zu kurz gekommen, prägten diesen sogar. Podiumsdiskussionen, kleine Gesprächsrunden, alternative Stadtrundgänge oder auch der Dialog an den Ständen der „Kirchenmeile“ waren gezeichnet von Diskurs und Toleranz.
Das Angebot war vielseitig. Veranstaltungen im biblisch-christlichen Bereich, kulturelle Highlights wie etwa ein palästinensischer Mädchenchor aus Ost-Jerusalem, bis hin zum gesellschaftlichen Dialog national und international, dessen Verantwortung sich auch die katholische Kirche bewusst ist, konnten besucht werden.
„Scheitert die europäische Idee an den Europäern?“ fragte sich am gestrigen Samstagnachmittag eine Gesprächsrunde mit Vertretern aus Politik und Gesellschaft. Während die polnische Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Rosa Gräfin von Thun und Hohenstein, sich gegen ihre nationale Regierung stellte und ungefiltert bekannte: „Von Estland bis Portugal müssen wir fähig sein, in einen Dialog zu kommen“, wiederholte die Bundestagsabgeordnete der CSU, Andrea Lindholz, ihre Parteiideologie von einem geordneten und koordinierten Europa — vor allem in der sogenannten Flüchtlingskrise. Eine Diskussion, die emotional werden musste. Die Beteiligung des Publikums fand in entsprechenden Ausrufen oder mit Applaus Ausdruck. Einig waren sich die vier Podiumsgäste darin, dass es neben der Verantwortung der Kirchen, am Ende die Bürger Europas seien, die diese Frage beantworten müssen.
Besonders die Anliegen der katholischen Frau sollen gehört werden
In diesem politisch und gesellschaftlich geprägten Katholikentag haben sich auch die Frauen einen Raum geschaffen. Immer noch ist die Stellung der Frau in der katholischen Kirche „traditionell“ verstanden und findet wenig Anerkennung. Die „Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands“ (kfd) macht sich das zur Aufgabe scheut dafür den kritischen Dialog nicht. Neben einem großen Zelt auf der „Kirchenmeile“, versuchte die bundesweite Frauengemeinschaft auch in Veranstaltungen sich ein Ohr zu verschaffen. Immer noch standen dabei die Gleichstellung von Frau und Mann in Beruf und Gesellschaft im Fokus.
Etwa 120 junge und auch ältere Frauen diskutierten am Freitagabend beim „Frauenmahl“ über diese Themen: Warum gibt es immer noch „typische“ Männer- und Frauenberufe? Warum ist eine Professorin in der Fakultät für Maschinenbau mit 12 Prozent in Deutschland so unterrepräsentiert, während in der Türkei oder China dieser Wert bei rund 30 Prozent liegt?
Die beruflichen Möglichkeiten für Frauen in der katholischen Kirche standen für die Frauen aber auf dem ersten Punkt ihrer Agenda. In vielen Jahren haben es sich die Mitglieder des kfd zur Aufgabe gemacht, das anzusprechen, wo sie sich als gläubige Katholikinnen vernachlässigt fühlen. Jetzt hat der Papst eine Kommission in Auftrag gegeben, die das der Frau prüfen soll. Ein Lichtblick für die vielen Frauen, die sich für die katholische Kirche berufen fühlen. Doch ob diese kleine Flamme aufflammen kann, das wird bei den Frauen der kfd skeptisch gesehen. ZdK-Präsident Sternberg ist beim Abschlussgottesdienst jedoch zuversichtlich und fordert: „Wir wollen das Diakonat der Frau.“
Zum ersten Mal im Programm war an diesem Katholikentag der Themenbereich „Leben mit und ohne Gott“. Als „Katholikentag in der Diaspora“, mit nur 4 Prozent Katholiken in Leipzig, sei es wichtig gewesen, den Kontakt und das Gespräch mit den Menschen zu suchen, die keinen Glauben haben. Neben vielen Veranstaltungen in der Stadtbibliothek, konnten Interessierte auch die offenen Begegnungscafés in der Innenstadt eintrittsfrei besuchen. Viele Angebote machten es sich zur Aufgabe, christliche Werte, Symbole oder Themen, in „nicht-christliche“ Sprache zu übersetzen. „Der Imperativ ist hier aber falsch“, meint der Kölner Theologe Prof.Dr. Hans-Joachim Höhn auf der Veranstaltung „Glaubenserfahrung ohne Religion?“. Druck auf Religionslose auszuüben, sei falsch. Die Frage sei jedoch: „Wie kann man eine Gesellschaft mit Gott erfüllen, die ohne Gott gedacht werden will?“
Das christliche Event verläuft friedlich — aber mit Gegenveranstaltungen
Zwar verlief der Katholikentag friedlich und ohne größere Vorkommnisse, darüber waren alle Verantwortlichen dankbar. Jedoch bleibt ungewiss, ob viele der Leipziger das offene Angebot der katholischen Veranstaltungen wahrnahmen, oder die Veranstaltungen der „Säkularen Tage zum Katholikentag Leipzig“ besuchten und den vereinzelten Demonstrationen, etwa gegen das Freihandelsabkommen „TTIP“ am Samstagmittag, anschlossen.
Leipzig repräsentierte sich wiederholt als freundliche und weltoffene Stadt, in der sich die Gäste wohlfühlen konnten. Der Katholikentag war an den vier Tagen mit Ständen, Musik und Bannern vor allem in der Innenstadt präsent. Mit den vielseitigen Programmpunkten wollte die katholische Kirche die Klischees, Katholiken seien altmodisch, nicht diskussionsbereit und verstaubt beseitigen.
Die Rückmeldungen sind positiv. Immer wieder wurde auch auf die friedliche Revolution 1989/90 aufmerksam gemacht und mit welcher Verantwortung die Christen heute gegen Fremdenfeindlichkeit eintreten müssen. „Aus Fremden müssten Freunde werden“, lautete das Motto. Der Terminus Dialog war das Schlagwort des 100. deutschen Katholikentages. Doch ein Bestandteil wurde ausgespart, oder mit den Worten Sternbergs „einfach nur nicht eingeladen“: die AfD. Ob diese Entscheidung richtig war, ist in Frage zu stellen. Denn gehört es nicht gerade zum christlichen Verständnis den fairen und offenen Diskurs mit allen zu suchen?
Fotos: Elisabeth Platzer
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