Zwischen Hörsaal und Wickeltisch
Eine Studentin entscheidet sich bewusst für ein Kind im Studium.
In dem dunklen Blumenkleid der jungen Frau spiegelt sich der Charme ihrer Wohnung wieder: stilsicher und verspielt zugleich. Ein Schlafzimmer mit Nähmaschine, ein rustikaler Balkon, ein großer Flur mit einer Schallplattensammlung und alten Landkarten an der Wand. Alles ist im Vintage-Stil eingerichtet. Und dann ist da noch das Büro, das dank geschickter Raumteilung jetzt viel mehr ist: das Kinderzimmer eines einjährigen Mädchens. Cathleen Wolf schaut auf das Bettchen ihrer Tochter, über welchem ein selbst genähtes Mobile seine Kreise zieht. Die kleine Charlotte ist der ganze Stolz der 26-Jährigen und ihres Freundes Danny, mit dem sie seit über sechs Jahren zusammen ist. Beide haben sich bewusst für ein Kind während des Studiums entschieden: „Wir wollten immer mit jungen Jahren Eltern werden“, sagt sie.
Der Grundsatzdiskussion um finanzielle Schwierigkeiten und schlechtere Noten im Studium sei sie dank verständnisvollen Eltern entkommen, sie hätten sich einfach nur gefreut. Auch von Freunden und Kommilitonen gab es nur positive Reaktionen. Sie selbst habe viele Vorteile gesehen, von denen die Möglichkeit der freien Zeiteinteilung nur einer ist. Ihre eigene Mutter ist nur 21 Jahre älter, den geringen Altersunterschied und die Gelassen- und Unbeschwertheit ihrer Eltern fand Cathleen schon immer toll. „Auch sind unsere Eltern jetzt jung und mobil, sie können noch viel Zeit mit ihrem Enkelkind verbringen.“
„Es gibt viel Unterstützung“
Der Angst vor möglichen finanziellen Engpässen begegnet die Betriebswirtschafts-Studentin mit Unverständnis: „Es gibt viel Unterstützung, wenn man sie nur annimmt.“ Viele Behördengänge und Gespräche waren für diese Einsicht nötig: Ab der 13. Schwangerschaftswoche kann im Jobcenter ein Mehrbedarf beantragt werden, zudem das Geld für die Erstausstattung. „Bafög“ inklusive Kinderbetreuungszuschlag gibt es weiterhin für eingeschriebene Studenten, die sich nicht im Urlaubssemester befinden. Wer vor der Schwangerschaft gearbeitet hat, bekommt zusätzlich Mutterschaftsgeld. Als Charlotte auf die Welt kam, waren beide Eltern noch Studenten, inzwischen arbeitet ihr Freund als Bauingenieur. Zusätzlich zu seinem Gehalt bekommen sie nun Kinder- und Elterngeld vom Jugendamt, eine Zeitlang auch Arbeitslosengeld II. In der Sozialberatung des Studentenwerkes Leipzig werden Studierende mit Kindern informiert und beraten, auch über mögliche Finanzierungshilfen oder dem speziellen Wohnraum für studentische Familien.
Die Beratungsgespräche hatten Cathleen beruhigt und sie zu einem entspannten und unbesorgten Umgang mit auftretenden Probleme geführt – ein Verhalten, das ihre Tochter geerbt zu haben scheint. „Sie ist ein ruhiges und liebes Kind, das Meiste klappt viel besser, als ich es vorher gedacht hätte.“
Es klingt alles so leicht und unkompliziert, wenn Cathleen von ihrem Leben erzählt. Doch Vollzeitstudium, Nebenjob, Haushalt, Familie und Sozialleben zu koordinieren, ist in jeder Hinsicht eine Mehrfachbelastung, die guter Organisation bedarf. Worauf sie niemals verzichten könnte, sind die Freunde, die unaufgefordert helfen und ihre Eltern, welche die junge Familie trotz 80 Kilometer Entfernung und eigener Berufstätigkeit unterstützen, wo sie nur können.
Es ist 14 Uhr und Zeit, Charlotte aus der Krippe abzuholen. Mit dem Fahrrad dauert der Weg etwa fünf Minuten. Unterwegs erzählt Cathleen von ihrem Studium: viele Wahlmodule und ein reines Online-Seminar erlauben ihr, in diesem Semester nicht allzu viel zu verpassen. Auch die meisten Professoren und Kommilitonen hätten Verständnis für ihre Situation und dafür, dass sie lieber mit der Arbeitsgruppe skypt als extra zur Uni zu kommen. „Trotzdem fallen manche Vorlesungszeiten ungünstig und Blockseminare oder Veranstaltungen nach 16 Uhr kann ich nicht wahrnehmen.“ Da sie keinen Platz in Leipzig bekam, pendelt sie zurzeit nach Dresden, wo sie an der Technischen Universität im dritten Master-Semester studiert.
Zusätzlich zur Kollision mit dem Studentenalltag kommen noch die Probleme, mit denen sich auch alle anderen frisch gebackenen Eltern herumschlagen müssen, wie die ersten Kinderkrankheiten und die neuen Herausforderungen für die Partnerschaft. „Das erste Jahr ist schwierig und streitintensiv. Man muss sich als Paar erst wieder zusammenfinden, mit jemandem zwischen einem, der die ganze Liebe und Aufmerksamkeit fordert“, sagt die Studentin und schiebt ihr Fahrrad in den Hof des Kindergartens.
Durch die Kita-Not in Leipzig war die Suche nach einem Platz eine der größten Herausforderungen. „Wir haben lange gebraucht, bis es hier geklappt hat“, sagt sie, während sie die Eingangstür aufdrückt. Es ist ein städtischer Kindergarten mit Öffnungszeiten von 6 bis 18 Uhr, was der jungen Familie eine flexible Abgabezeit ermöglicht.
Eine gewisse Routine hat sich schon eingestellt: Danny bringt die Kleine hin, Cathleen holt sie nachmittags wieder ab.
Betreuung durch die Universität
Als Studentin in Dresden kann sie zwar Beratungsangebote, nicht aber die Betreuungseinrichtungen von Universität und Studentenwerk in Leipzig nutzen. Und davon gibt es mehrere, unter anderem den Kinderladen am Hauptcampus, wo die Kinder stundenweise abgegeben werden können. Auch der Verein „Studentische Eltern Leipzig e.V.“, der sich für die Interessen studentischer Eltern einsetzt, bietet neben Beratungsangeboten und Veranstaltungen das Betreuungsprojekt „Zappelkiste“.
Als Cathleen den Kopf durch die Tür des Spielzimmers steckt, kann man ihre Tochter am strahlenden Lächeln erkennen. Mit bunt bedrucktem Shirt und Ringelhose winkt sie ihrer Mutter entgegen. Heute ergänzen Babybauch- und Krabbelfotos Cathleens Instagram-Seite, die kunterbunt und Zeugnis ihrer Abenteuerlust und Lebensfreude ist: Partybilder, Festivals, Snowboarden, Nachmittage am See. Und zahlreiche Urlaubsfotos – Griechenland, Amsterdam, Bali, Malaysia.
Open-Air und Babyphone
Diesem Lebensstil ist sie treu geblieben: Der Empfang des Babyphones reicht bis zu einer Ecke des Parks, wo Cathleen sich abends gerne mit Freunden trifft. Auch auf Elektro-Open-Air-Konzerte geht sie mit ihrem Freund noch immer – Charlotte ist mit Kopfhörern auf den Ohren dabei. „Diese Freiheit ist uns beiden sehr wichtig, wir wollen trotz Kind abends weggehen können“. Auch an der Reiselust der beiden hat ihre Tochter nichts verändert: Schon kurz nach der Geburt besuchten sie zu dritt Krakau, auch im Baskenland und in Kopenhagen war die Kleine schon. Cathleen nimmt die Babymütze aus dem Fach mit der Maus drauf und setzt sie ihrem „Babywölfchen“ auf. Sie findet es schade, dass nicht mehr Frauen ein Kind im Studium in Erwägung ziehen. Es sei das alte Schema in den Köpfen: Ausbildung oder Studium, Arbeit, Kind. „Dabei gibt es sowieso keinen perfekten Zeitpunkt“, sagt sie und schnallt ihre Tochter im Fahrradanhänger an. Der weiße Kinderhelm passt perfekt zu den vier kleinen Zähnchen, die bei jedem Lachen in Charlottes Mund aufblitzen. Es ist nicht schwer zu sehen, warum sie „ein Sonnenschein im Kindergarten ist“, wie ihre Mutter stolz erzählt.
Regelstudienzeit ade
Dass sie durch die Mutterschutz- und Elternzeit über die Regelstudienzeit hinaus studiert, hat Cathleen nie gestört. Die gemeinsame Zeit mit ihrem Kind sei ihr wichtiger.
Erst vor einigen Monaten kam sie auf die Idee, ihre Erlebnisse als Studentin mit Kind im Internet zu teilen und begann den Blog „madame_robolotti“.
„Du hast uns gezeigt, dass unsere Prioritäten sich mit dir ganz schnell verändern. Und diese Momente des unbeschreiblichen Glücks, wo du uns anlächelst, neu gelernte Dinge vorführst oder uns durch deine unbeholfene Art zum Lachen bringst“, schreibt sie in einem der ersten Einträge, einem „Liebesbrief an dich, mein Kind“.
Während sie nach Hause radelt, fängt es an zu regnen. Den Sonnenschein hat sie im Anhänger mitgenommen.
Titelfoto: privat
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