„Das Wort Inklusion mag ich gar nicht“
Der Leipziger Triathlet Martin Schulz tritt bei den Paralympics an.
In diesem Jahr finden die 15. Paralympics vom 7. bis zum 18. September in Rio de Janeiro statt. student!-Redakteurin Theresia Lutz hat mit Martin Schulz, dem einzigen sächsischen Olympioniken für Triathlon, über seine Qualifikation, sein Handicap und eine mögliche Gold-Medaille gesprochen.
student!: Herr Schulz, sind Sie in Form?
Schulz: Ja, ich bin in Form. Im Winter lief das Training zwar nicht so wie man es sich vorstellt, wenn man eine Olympiasaison vor sich hat. Die letzten Wettkämpfe waren aber alle recht gut und meine Höchstform möchte ich dann natürlich in diesem Jahr im September abrufen.
student!: Wie läuft eine Qualifikation in Ihrer Sportart ab?
Schulz: Es gibt eine Weltrangliste und zusätzlich dazu ein Paralympisches Ranking, zu dem man sich über ein Jahr hinweg, qualifizieren kann. In diesem Zeitraum gibt es verschiedene Weltcups, kontinentale und Weltmeisterschaften. Davon können drei Rennen in das Ranking eingebracht werden.
Durch meinen Sieg bei den diesjährigen Europameisterschaften und dem zweiten Platz bei der Weltmeisterschaft 2015 bin ich in der Ranking-Liste sogar auf Platz 1 gerutscht. Auf der Liste für Rio waren knapp 60 Athleten, von denen jedoch nur etwa die zehn bis 15 Besten der Welt letztendlich an den Start gehen können.
student!: Sie leiden unter Dysemlie. Ihnen fehlt der linke Unterarm. Wie kam es dazu, dass Sie eine sportliche Karriere anstrebten ?
Schulz: In meinem Freundeskreis war ich zwar immer der Einzige mit Handicap, wollte aber trotzdem auf Bäume klettern und habe es auch im Sportunterricht nie auf den Arm geschoben, wenn etwas nicht funktionierte. Meine Eltern meldeten mich relativ früh im Schwimmverein an. Ich war sogar der Erste, der das Seepferdchen-Abzeichen gemacht hat. Beim Schwimmen habe ich oft gar nicht das Gefühl, dass mein Unterarm fehlt. Mit 14 Jahren bin ich schließlich in Leipzig auf das Sportinternat gegangen. Die Paralympics waren schon immer mein Ziel und als 2010 bekannt wurde, dass Triathlon in das paralympische Programm aufgenommen wird, war mir klar, dass ich als Schwimmer nach London gehe, aber in Rio als Triathlet antreten möchte.
student!: Inwiefern unterscheidet sich der paralympische vom olympischen Triathlon?
Schulz: Es ist ein Kurzdistanz-Triathlon, das heißt es sind 750 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Rad fahren und fünf Kilometer Laufen. Ein Unterschied ist, dass im paralympischen Bereich nicht das Windschattenfahren erlaubt ist, sondern nur ein Einzelzeitfahren. Außerdem gibt es fünf Startklassen, in denen man je nach Behinderungsgrad antritt. Meine Startklasse ist PT4, das heißt, ich habe bis auf eine unterstützende Halterung am Rad keine technischen Hilfsmittel.
student!: Was müsste sich für mehr internationale Resonanz für die Paralympics ändern?
Schulz: Besonders sollte für die Paralympics die mediale Spannung erhalten bleiben, damit es als gleichgestelltes Event gesehen wird. Vor allem in Bezug auf die finanzielle Sportförderung muss noch einiges getan werden. Besonders der Deutsche Behindertensportverband möchte, dass der Behindertensport überall inkludiert wird. Das Wort Inklusion mag ich eigentlich gar nicht. Oft wird nur versucht, alle behinderten Sportler auf Zwang in den nicht-behinderten Bereich zu integrieren, aber anders herum ist es oft nicht möglich. Da sollte man sich an Kanada orientieren. Ob behindert oder nicht – dort bist du einfach Athlet Punkt.
student!: Welche Wege siehst du, besonders Kinder und Jugendliche mit Behinderung für den Sport zu begeistern. Was muss noch getan werden?
Schulz: Die Integration in den normalen Sportvereinen ist, denke ich besonders wichtig. Noch wichtiger ist aber, dass noch mehr medial repräsentiert wird, um einen besseren Einblick bekommen zu können. Die Menschen denken immer, dass sind nur Behinderte, die einfach nur Sport machen. Aber es wird nicht gesehen, welche Leistung da dahinter steht. Denn um Gold zu gewinnen, muss man genau so viel trainieren wie Nicht-Behinderte. In diesem Bereich werden ebenfalls extrem gute Leistungen erbracht.
student!: Welche Rolle spielt der Leistungssport in Ihrem Leben?
Schulz: Momentan bestimmt der Leistungssport auf jeden Fall meinen Alltag und alles andere ist darauf abgestimmt. Nach meinem Abitur habe ich bei den Stadtwerken Leipzig eine Ausbildung zum Bürokaufmann gemacht, wo ich jetzt eine Teilzeitstelle habe. Bisher kann ich vom Triathlonsport allein noch nicht leben.
student!: Wie sieht die Trainingssituation am Sportstandort Leipzig aus?
Schulz: Deutschlandweit ist Paratriathlon nicht sehr gut gefördert. Es gibt extra keinen Trainingsstützpunkt. Wir sind alle eher Einzelkämpfer. In meinen Jahren als Schwimmer in Leipzig habe ich mir gewissermaßen eine Infrastruktur aufgebaut, die ich heute als Triathlet nutzen kann. Triathlon ist im olympischen Bereich in Leipzig zwar keine Schwerpunktsportart, jedoch kann das Lauf- und Radtraining auf relativ flexiblen Sportstätten abgehalten werden.
student!: Bei den Spielen in Rio gehört der Paratriathlon zum ersten Mal mit den zu den paralympischen Sportarten. Inwiefern unterscheidet sich der paralympische vom olympischen Triathlon?
Schulz: Es ist ein Kurzdistanz-Triathlon, das heißt es sind 750 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Rad fahren und fünf Kilometer Laufen. Ein Unterschied ist, dass im paralympischen Bereich nicht das Windschattenfahren erlaubt ist, sondern nur ein Einzelzeitfahren. Dadurch zählt die individuelle Stärke im Radfahren mehr und es ist technisch nicht so anspruchsvoll. Außerdem gibt es fünf Startklassen, in denen man je nach Behinderungsgrad antritt. Meine Startklasse ist PT4, das heißt ich habe bis auf eine unterstützende Halterung am Rad keine technischen Hilfsmittel.
student!: Wie rechnen Sie sich Ihre Chancen in Rio aus? Ist eine Medaille drin?
Schulz: Mein stärkster Konkurrent ist ein Kanadier und ich denke schon, dass der Wettkampf letztlich zwischen uns beiden entschieden wird. Zeiten sind beim Triathlon eher zweitrangig, aber für ein gutes Ergebnis spielen natürlich auch Faktoren wie Wind oder Temperaturen eine Rolle. Und klar fahre ich nach Rio, um eine Gold-Medaille zu gewinnen.
Fotos: DTU/Jo Kleindl
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