Highfield-Tagebuch: Ein Wochenende ohne Alltagsnormen
Mit Krawall und Remmidemmi unterm rosenroten Maskottchen
Die Anreise zum Highfied Festival war für die Leipziger ein Klacks. Der Shuttlebus fährt quasi ständig zwischen Hauptbahnhof und Störmthaler See hin und her. Ich erzählte der unbekannten, Nicht-Leipzigerin neben mir beim Vorbeifahren an der Oper, dass dort ein totaler „Pokémon Go-Hotspot“ ist. Später beim Betreten des Festival-Geländes ist mir sofort aufgefallen, dass das weit verbreitete Pokémon-Fieber auch vor dem Highfield nicht halt gemacht hat. Pokémon Accessoires waren absoluter Trend. Generell nutzen ja viele Leute die Festivals um klamottentechnisch mal so richtig die Sau raus zulassen. Anfänger setzen klassisch auf Glitzer im Gesicht, eine ausgefallene Sonnenbrille oder Kopfbedeckung und einen witzig bedruckten Turnbeutel, während Fortgeschrittene sich an Ganzkörperkostüme à la Tier-Einteiler wagen. Profis stehen über allen Accessoires und beschränken sich auf einen Borat-Badeanzug. Da kann man sich dann auch gleich den Regenponcho im Gepäck sparen – praktisch.
Die gute Nachricht: Beim Highfield Festival ist es nicht soweit gekommen, dass man mit einem Kanu über den Campingplatz fahren konnte. Es ist sogar weitgehend trocken geblieben, was meine Erwartungen in Anbetracht des bisherigen Sommers weit übertroffen hatte. Nur Rammstein konnten während ihres Konzertes in der Nacht von Samstag auf Sonntag einige kleine Schauer verbuchen. Bei der Wahnsinns-Pyroshow die da abgeliefert wurde, war aber sowieso alles andere egal.
Madsen war die Band, auf die ich mich am meisten gefreut hatte. In der Hoffnung einen Erste-Reihe-Platz zu ergattern bin ich schon extra früh am Sonntag vor die Bühne gegangen und hatte dann das Glück, dass direkt vor mir zwei Leute die Poleposition aufgegeben haben. Noch nie stand ich bei einem Konzert ganz vorne. Man hat das Gefühl, direkt und ganz persönlich von den Bandmitgliedern für jeden Applaus angelächelt zu werden. Die Stimmung war durchgehend bombastisch und spätestens am Ende hatte jeder im Publikum Lust mit Madsen Nachtbaden zu gehen. Mitten im Konzert flog ein riesiger aufblasbarer Penis von hinten zwischen Publikum und Bühne. Ich konnte mich vor Lachen fast nicht mehr halten, als die Security-Leute daraufhin abwechselnd damit hin und her gerannt sind. Das hatte ich den sonst eher grimmig wirkenden Schränken gar nicht zugetraut. Leider konnte ich davon kein Erinnerungsfoto schießen, denn Security-Leute dürfen nicht fotografiert werden.
Wie bei jedem Festival gab es auch hier ein buntes Rahmenprogramm, teilweise von Sponsoren angeboten. Besonders gut gefallen hat mir der Spielplatz mit Tischtennis und Hüpfburg. Ein bisschen krass fand ich das Bunjee-Jumping. Ich meine, das wird schon alles gesichert sein, sonst wäre es nicht erlaubt, aber ist es nicht auch ein bisschen fies den Alkoholpegel der Besucher auszunutzen, der sie dazu bringt Sachen zu tun, die sie sonst nicht tun würden? Gleiches gilt für die Piercing Stände. Richtig. Plural. Davon gab es nicht nur einen. Fairerweise muss ich hinzufügen, dass ich nicht gefragt habe, ob man vorher auf Alkohol getestet wird und ob es da irgendwelche Beschränkungen gibt.
Es ist nicht weit hergeholt, davon auszugehen, dass Festivalbesucher viel Alkohol trinken. Bei einigen weckt das die kreative Ader und eine Giraffe aus leeren Dosen entsteht. Mein Camp war diesbezüglich nicht ganz so künstlerisch drauf und hat die Pfanddosen in einem Müllsack gesammelt. Der war aber anscheinend noch begehrter als die Giraffe, denn er wurde geklaut.
Das literweise getrunkene Bier möchte den Körper aber auch irgendwann wieder verlassen und dann stand so mancher nichtsahnender Festivalbesucher in der Dixie-Schlange auf dem Festivalgelände und ist zufällig auf die „Baden-Württemberg-Toilette“ gegangen, die sich von außen nicht von den anderen unterschieden hat. Aber von innen mit Keramiktoilette, –Waschbecken und W-Lan ausgestattet war. Alle lieben positive Überraschungen.
Zum Schluss noch zwei „Funfacts“, aus dem „Factsheet“, den die Organisatoren des Festivals für die Presse vorbereitet haben: Das Publikum soll fünf Tonnen Kartoffeln auf dem Festivalgelände verspeist haben. Klingt viel, aber Pommes gab es dort wirklich an jeder Ecke in allen Variationen.
Der nächste Fact ist etwas verwirrend. Angeblich betrug der Stromverbrauch auf der Mainstage 20.000 Ampere. Das kann aber nicht sein, denn Ampere ist die Maßeinheit für Stromstärke. Vielleicht meinten sie 20.000 Kilowattstunden. Zum Vergleich: 20.000 Ampere ist die Stromstärke eines durchschnittlichen Blitzes und 20.000 Kilowattstunden verbraucht ein Zweipersonenhaushalt in zehn bis 15 Jahren. Könnte aber auch sein, dass durch die riesigen Licht- und Soundanlagen bei voller Kraft wirklich Stromstärke eines Blitzes gebraucht wird.
Allerdings weiß ich nicht, welche der beiden Bühnen mit „Mainstage“ gemeint ist. Auf mich haben sie einen sehr gleichberechtigten Eindruck gemacht, sowohl was Genre, als auch Bekanntheitsgrad der Künstler betrifft. Die wohl bekanntesten Bands neben Rammstein und Madsen: Deichkind, Limp Bizkit, AnnenMayKantereit, Scooter, Heaven shall burn, Joris und Wanda.
Nach drei Tagen auf zwei Bühnen mit 34.999 anderen begeisterten Festivalbesuchern (einige davon frisch gepierct), 2.500 Crewmitgliedern (die insgesamt 15.000 Mahlzeiten verspeist haben), 282 Duschen, 744 Toiletten (eine mit W-Lan), 2.350 Mülltonnen (und einer weiteren Tonne Müll auf dem Gelände verteilt), mindestens einer Dosengiraffe, vielen Pikachus, 5 Tonnen Kartoffeln, einer Hüpfburg und 42 aufgetretenen Bands ist das Festival dann auch schon vorbei.
Jetzt ist Zeit zum Regenerieren und Ausschlafen, außer natürlich man schreibt gerade seine Abschlussarbeit. Ein verschobenes Party-Schlaf-Verhältnis sieht das Studienbüro vermutlich nicht als Grund den Abgabetermin nach hinten zu verschieben.
Fotos: adz
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.