Leipzig is(s)t fantastisch
Ein Erlebnisbericht vom Gourmetfestival im Hotel Fürstenhof
„Kein Genuss ist vorübergehend, denn der Eindruck, den er zurücklässt, ist bleibend“, soll Johann Wolfgang von Goethe einmal gesagt haben. Schade, dass Goethe Leipzig schon 1768 verlassen hat. Wäre er noch zwei Jahre länger geblieben, hätte er Löhr’s Palais, das heutige Hotel Fürstenhof genießen können. Dort, wo normalerweise der Lions Club oder die Rotarier dinieren, fand an diesem Wochenende zum 13. Mal das Gourmetfestival statt. Motto: „Leipzig is(s)t fantastisch“, der Eintritt ist frei.
„Gourmet“ kenne ich eigentlich nur von Erzählungen oder aus dem Fernsehen. Jetzt müssen mich die hier versammelten Sterneköche also erst mal überzeugen, dass es da noch etwas besseres, als Mamas heißgeliebte Bolognese geben soll.
Als ich an diesem sommerlichen Samstagabend den Hofgarten des Fürstenhofs betrete, bemerke ich zu allererst die Gerüche. Es riecht anders als in anderen Innenhöfen, irgendwie ungewohnt. Eine Note frischer Fisch schwebt in der Luft, ein bisschen Schweinebraten strömt an mir vorbei, weiter hinten kann ich Käse erahnen und dazwischen viele mir fremde Gerüche. Es könnten Blumen sein, oder wenigstens frisches Obst, vielleicht ist es auch ein bisschen Parfüm. Die wohlgekleideten Damen und Herren, die bereits an den Tischen speisen haben wahrscheinlich gutes Odeur aufgelegt.
Ich habe den kulinarischen Guide der Veranstaltung in die Hand bekommen, damit sollte ich die Ursprünge der verschiedenen Aromen schnell nachvollziehen können. Bereits im Foyer des Hotels ist ein Buffet aus Käse und Austernspezialitäten aufgebaut. Weiter geht es mit Wein, Brandy und draußen Champagner. Im Innenhof sind vier große weiße Zeltdächer aufgestellt, unter denen emsig gekocht, gebraten und vor allem garniert wird. Jeder Stand bietet zwei bis drei verschiedene Gerichte an, die hintereinander gereiht ein sehr exquisites Menü ergeben.
Da wäre als erstes das Restaurant Villers mit Chef de Cuisine Hannes Schlegel. Er serviert gerade Duroc Schwein aus Bad Langensalza, weiße Bohnen, Ducca (eine äthiopische Gewürzmischung) und Zwetschge. Vor den Augen des Besuchers wird das Gericht auf dem Teller arrangiert. „Live Cooking“ nennt die Pressesprecherin Sophie Wojtyschak das. Und wirklich, auf einem kleinen mobilen Ceranfeld köcheln im Hintergrund Gemüse und Soße vor sich hin. „Hier draußen ist es besonders schön, weil man direkten Kontakt zum Gast hat, es macht Spaß und man kann viel lernen“, sagt Schlegel, der Gastgeber des Events ist.
Mich treibt es weiter zum nächsten Zelt. Hier präsentiert sich das Stelzenhaus aus Plagwitz. Geschmorte Backe von der deutschen Färse und Sellerie-Butter-Püree mit Paprikaschaum gibt es hier. Die deutsche Färse ist nicht etwa ein Schreibfehler am hinteren Ende meines Fußes, sondern eine jungfräuliche Kuh aus dem geografischen Gebiet unserer Bundesrepublik. So langsam dämmert mir, dass „Gourmet“ womöglich schon lange vor dem Geschmack anfängt.
Am dritten Stand kann man mir eine Erklärung geben, was „Gourmet“ sein könnte. „Wo genau Gourmet beginnt, kann man nicht sagen. Die Übergänge sind fließend“, sagt der Dresdner Sternekoch Benjamin Biedlingmaier vom Restaurant Caroussel. Wichtig sei, dass man mit Liebe am Produkt arbeitet. Bei ihm gibt es heute einen Ausschnitt aus seinem Dresdner Programm: Aal, Apfel mit Balsamico und Lorbeer. Das will ich probieren.
Mein erstes Gourmetessen also von einem richtigen Sternekoch. Natürlich verweile ich zunächst einige Momente vor dem kleinen Kunstwerk auf meinem Teller und bewundere andächtig die Formensprache des Gerichtes. Auf einem viereckigen Sockel aus zart verarbeitetem Apfel liegt das Aalstück, garniert mit einer gelben Soße und einem kleinen Blättchen obendrauf. „Der erste Gabelstich muss sitzen“, denke ich und zerstöre doch mit einer ungeschickten Bewegung das kunstvolle Gebilde. Ich fühle mich wie ein dummer Tölpel, der mit dreckigen Gummistiefeln voll über die frisch gebohnerten Dielen gelatscht ist. Doch die Empfindung in meinem Mund wiegelt alles wieder auf. So etwas habe ich noch nie geschmeckt. Es ist süß, aber doch sauer und salzig zugleich. Die Konsistenz ist zuerst ungewöhnlich weich, dann aber verstehe ich, dass es so gewollt und perfekt ist. Jeder Bissen ist anders, als der Vorige. Ich frage mich, ob ich bisher vielleicht einfach nur nie genug auf das geachtet habe, was ich esse. Ob wohl bei „Pommes rot-weiß“ auch jeder Happen eine neue Geschmacksexplosion in meinem Gaumen auslöst? Und ob das dann überhaupt gewollt wäre?
Bevor ich aus meiner Trance erwache, hat ein Kellner bereits meinen Teller abgeräumt.
Im vierten Zelt wird heute von Alexander Lehwald vom Restaurant Weinbeißerei aus Markkleeberg serviert. Er präsentiert getrüffelte Pasta aus dem Parmesanlaib. Das sieht spektakulär aus beim Zubereiten, denn die Nudeln werden buchstäblich im Parmesanlaib zubereitet. Sobald sie fertig gekocht sind, kommen sie in eine Kule in einem großen runden Käse und werden dort verfeinert. Im Laufe des Abends wird die Kule immer tiefer. Lehwald lobt die Atmosphäre des Festivals. „Es ist ein ungezwungenes und lockeres Flair, das ist das Besondere an diesem Gourmetfestival“, sagt er.
Entspannt klingt Saxofonmusik über die Szenerie im Innenhof. Obwohl die Pressesprecherin des Hotels oft betont hat, dass das Gourmetfestival gerade auch für fachfremdes Publikum gedacht sei, sehe ich kaum einen Herr im T-Shirt oder eine Dame in Jeans. In meiner kurzen Hose falle ich hier definitiv auf. Ich komme ins Gespräch mit einer jungen Leipzigerin, die dieses Jahr zum ersten Mal das Festival besucht. Was ihr am besten gefallen hat? Das Duroc Schwein vom Restaurant Villers. Wenn es nach ihr ginge, könnte es das Gourmetfestival ruhig öfters geben.
Eine Kleinigkeit habe ich noch nicht erwähnt: Gezahlt wurde das Essen mit sogenannten „Gourmets“. Pokerchip-ähnliche Marken, die man für 1,50 Euro erwerben kann. Für drei dieser Marken bekommt man ein Gericht, eine Auster schon für eine.
Mir wird mein erstes Gourmeterlebnis bestimmt noch lange in Erinnerung bleiben. Goethe hatte recht und es ist in Ordnung, wenn die Portionen klein sind, denn geschmeckt hat es.
Bis ich mal das Geld zusammen habe, ein reguläres Gourmetessen im Restaurant zu genießen, werd ich wohl noch viele Reportagen schreiben müssen. Vielleicht ist es besser so, denn dann bleibt Gourmet etwas Seltenes und Besonderes für mich.
Fotos: Hotel Fürstenhof, Leipzig; Fotograf: Swen Reichhold
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