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  • Nicht einfach Held oder Verräter, sondern Mensch

    Oliver Stones' „Snowden“ zeigt mehr als nur den Whistleblower Edward Snowden

    Vor etwas mehr als drei Jahren, im Sommer 2013, blickte die ganze Welt nach Hongkong: Dort, in einem Zimmer des Mira Hotels trafen die Journalisten Laura Poitras, Glenn Greenwald und Ewen MacAskill am 1. Juni erstmals auf den National Security Agency, kurz NSA, -Mitarbeiter Edward Snowden. Was sich in den folgenden Tagen, Wochen und Monaten ereignete sorgte weltweit für Schlagzeilen. Der damals 29-jährige Snowden machte zahlreiche Abhörpraktiken der NSA öffentlich, gab Einblick in die grenzwertige Arbeitsweise der amerikanischen Geheimdienste und übergab vertrauliche Informationen über Abhörprogramme an die Journalisten. Über Nacht wurde er mit seinen Enthüllungen weltbekannt. Er wurde zum Whistleblower.  Inzwischen hat Snowden in Moskau politisches Asyl gefunden, bei einer Wiedereinreise in die USA drohen ihm bis zu 30 Jahren Haft. Aktuell versuchen Menschenrechtsorganisationen erneut eine Begnadigung für Snowden in den USA zu erwirken. Besonders aussichtsreich ist der Versuch jedoch nicht. Die erneute mediale Präsenz des Falls Snowden kommt allerdings zu einem denkbar günstigen Zeitpunkt, nämlich zum Filmstart von Oliver Stones‘ „Snowden“ – dem ersten Spielfilm über die Enthüllungsgeschichte überhaupt.

    „Snowden“ ist jedoch mehr als eine reine Dokumentation der Ereignisse ruSnowden2nd um die Affäre. Er versucht nicht nur einen Einblick in die Abläufe der Treffen in dem Hotelzimmer zu geben, sondern beleuchtet auch das Leben Snowdens, seinen Werdegang und seine Motive. Mit Hilfe von einigen Flashbacks und dem Überspringen anderer Zeitfenster, porträtiert der preisgekrönte Regisseur Stone („Wall Street“, „Platoon“) einen ehemaligen Geheimdienst-Mitarbeiter, den sein Gewissen nie ganz los lässt, bis er irgendwann beschließt diesem zu folgen und danach zu handeln. Ed Snowden (gespielt von einem fantastischen Joseph  Gorden-Levitt) ist Anfang 20, überzeugt von der konservativen Bush-Regierung und ein Patriot, der unbedingt seinem Land dienen will. Als er sich nach einem Unfall bei der Armee im Irak beide Beine bricht, muss er sich einen neuen Job suchen. Er versucht sein Glück daraufhin bei der CIA, wird angenommen und steigt dank seines Talents schnell auf. Trotz seiner steilen Karriere und seiner Beliebtheit bei Kollegen und Vorgesetzten, kommen Ed schon frühzeitig Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Arbeit. „Ich erkannte, dass ich Teil von etwas geworden war, das viel mehr Schaden anrichtete als Nutzen brachte“, sagte er später.

    Doch trotz der Zweifel und vielleicht auch wegen seines sicheren, guten Einkommens bleibt Ed zunächst im Dienste der CIA, wird später Mitarbeiter der NSA auf Hawaii. Gemeinsam mit seiner Freundin Lindsay (Shailene Woodley) Snowden3fiebert er der Präsidentschaftswahl 2009 entgegen – und hofft auf eine Umwälzung der NSA-Arbeitsweise durch die Wahl von Barack Obama. Doch obwohl dieser eine schärfere Kontrolle der Geheimdienste verspricht, geschieht nichts dergleichen. Ed wird langsam aber stetig paranoid, als ihm die Dimension der Überwachung mehr und mehr bewusst wird. Er lässt sich nicht mehr fotografieren, klebt die Web-Kamera seines Laptops ab und verschwindet aus sämtlichen sozialen Netzwerken. Über seine Zweifel redet er dennoch mit niemandem – auch nicht mit seiner Freundin. Die Beziehung der beiden leidet unter der Geheimniskrämerei und Ed’s innerer Zerrissenheit. Es ist der Moment, in dem Ed realisiert, dass selbst seine eigene Freundin abgehört wird, als er beschließt seine Informationen nicht mehr länger für sich zu behalten. Er lässt Job und Freundin auf  Hawaii zurück und fliegt nach Hongkong. Was nun geschieht ist bekannt. Nachdem er die vertraulichen Informationen an die amerikanische Filmemacherin Poitras (Melissa Leo) und die britischen Journalisten Greenwald (Zachary Quinto) und MacAskill (Tom Wilkinson) vom Guardian weitergegeben hat, veröffentlicht die beiden zunächst ohne Angaben von Quellen eine Enthüllungsstory. Am 9. Juni offenbart sich Edward Snowden in einem Videointerview der Öffentlichkeit. Sein Gesicht und seine Geschichte flimmern über die Fernsehkanäle der ganzen Welt. Seines Aufenthaltsortes und seiner Identität enttarnt, muss er fliehen.

    Obwohl diese ganze Geschichte einem bereits bekannt ist, schafft es der Film bis zur letzten Sekunde die Spannung aufrecht zu erhalten. Dies liegt zu einem großen Teil an der herausragenden Schauspielleistung von JosephGorden-Levitt, dem man die Entwicklung von einem unscheinbaren, vaterlandstreuen Computernerd hin zu einem mutigen US-Bürger, der sich in der Pflicht sieht die Öffentlichkeit über die Verbrechen der eigenen Regierung zu informieren, absolut abnimmt. „Snowden war klar, dass er ein Verbrechen begeht, um ein viel größeres Verbrechen offenzulegen“, sagt Regisseur Stone selbst über seinen Protagonisten. Diese innere Zerrissenheit wirkt bei Levitt ebenso authentisch wie seine Darstellung von Snowdens aufrichtiger Liebe zu seinem Heimatland, von dessen Idealen er tief überzeugt ist und dennoch enttäuscht wird. Als optimale Schauspielpartnerin fungiert neben Levitt Shootingstar Shailene Woodley („The Fault in our stars“, „Divergent“), die als die extrovertierte und lebenslustige Künstlerin Lindsay wieder einmal ihr Facettenreichtum unter Beweis stellt. Und am Ende erscheint sogar der echte Edward Snowden selbst auf der Kinoleinwand.  Indem  Stone so am Ende filmische Fiktion mit realen Ereignissen vermischt kommt es einem so vor,  als wäre das alles grade erst geschehen. Mit „Snowden“ zeigt Oliver Stone nicht nur den Whistleblower Edward Snowden, den Helden oder den Verräter – er zeigt vor allem den Menschen Edward Snowden und was dieser geopfert hat, um der Öffentlichkeit zu zeigen, was in dem Land, das er selbst so liebt, so unglaublich falsch läuft.

    Kinostart: 22. September

    Bilder: Universum Film GmbH

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