Schicksale
Tag fünf des DOK-Festivals birgt überraschende Einblicke
Im Gegensatz zum Dokumentationsfilmmarathon am Mittwoch, startet der Filmfreitag für mich ganz gemütlich erst um 12:30 Uhr. Mit „Die Heilige Familie“, „Behind the Stone Wall“ und „Kokolampy“ habe ich mir drei sehr unterschiedliche Filmreihen und Filme ausgesucht, von denen es im Nachhinein jeder Part geschafft hat, eine ganz eigene Faszination auf mich auszuüben.
Hinter der Filmreihe „Die Heilige Familie (Polen, 1976, 1999, 2007) verbergen sich drei einzelne Filme, die im Programm „Retrospektive“ laufen. „Holiday“, der erste in dem Programm, ist ein Kurzfilm, der auf gänzlich „abgefahrene“ Art und Weise einen typischen Familiensonntag in Polen zeigt. Der zehnminütige Film zeigt zwar normale Filmaufnahmen, diese wurden aber in leuchtend bunten Farben eingefärbt, sie werden in Loops abgespielt und mit Comic-Schriften im Bild versehen. Man könnte meinen, Regisseur Zbigniew Rybczynski habe bereits 1976 „Instagram Stories“ vorausgesehen. Der zweite Kurzfilm – „Such a Nice Boy I Gave Birth to“ – zeigt, wie die Mutter des Filmemachers selbigen und dessen Vater 25 Minuten lang annörgelt und so ziemlich jede Entscheidung der beiden Männer in ihrem Leben in Frage stellt. Definitiv ein ganz einzigartiger Filmansatz. Der dritte Film im Bunde heißt „I Love Poland“ und zeigt die Aktivitäten der „Allpolnischen Jugend“, eine Organisation die man der religiösen Rechten zuordnen kann und die vor allem gegen Homosexualität in Polen vorgehen wollen. In ihrem Denken glauben die jungen Polen durch eine umfassende Umsetzung des Familienideals Vater, Mutter, Kind und dem Hochhalten katholischer Werte Polen zur „großartigen“ Nation erheben zu können.
Der zweite Filmblock, beginnend um 15:30 Uhr, besteht ebenfalls aus drei Filmen. „Fortgang“ (Schweiz, 4 Minuten) kombiniert für jede Einstellung mehrere ganz normale Fotografien des immer gleichen Ortes zu surrealen Szenen. Der Film zeigt Bilder aus dem Schweizerischen Luzern; dabei aber vor allem das Haus, in dem Filmemacher Otto Alder selbst lebte, dessen Dekonstruktion und die Errichtung eines modernen neuen Gebäudekomplexes. Anlass für den zweiten Film „Some Will Forget“ (UK, 15 Minuten) war die Schließung einer der letzten Kohleminen in South Yorkshire 30 Jahre nach dem großen „Miners Strike“. Der Film ist eine bewegende kleine Dokumentation über die Menschen, die die Schließung der Mine in dem kleinen Ort zurücklässt, aber vor allem auch die allumfassende Verzweiflung der jungen Männer, die im ländlichen Raum (Englands) keine Chance auf eine Arbeit bekommen können. „Behind the Stone Wall“ (Frankreich, 59 Minuten) schließlich zeigt die letzten Tage einer kleinen Kartonagefabrik, die jahrzehntelang beinahe unbemerkt von ihrer Umgebung mitten in Paris Aufbewahrungsboxen herstellte. Der Film ist ein bebilderter Abschied von dieser Firma, die in dem aufstrebenden Viertel teuren Wohnungen weichen sollte. Die Doku konzentriert sich fast ausschließlich auf die Arbeiter und ihre Maschinen. Dabei erfährt der Zuschauer manche spannende Geschichte über die nach Frankreich eingewanderten Fabrikarbeiter. Da ist der Mann, der in Algerien eine eigene Druckerei hatte; der vietnamesische Mann, der seine ebenfalls in der Fabrik arbeitende Frau an Brustkrebs verloren hat; der Sohn eines Mannes, der 40 Jahre lang an genau der Maschine gearbeitet hat, an der der Interviewte jetzt Kartonteile ausstanzt.
Mein persönliches DOK-Jahr endet mit „Kokolampy“ (Deutschland, 83 Minuten) um 19 Uhr. Hinter dem leicht obskuren Titel verbirgt sich eine Reise in die Vergangenheit, auf der Suche nach einem Elefantenvogelei. Dieses Ei hatte Menko Schomerus, Onkel des Filmemachers Hajo Schomerus, besessen. Menko Schomerus hatte 40 Jahre lang auf Madagaskar gelebt und war irgendwann unter ungeklärten Umständen nach Deutschland zurückgekehrt. In den 1980ern, nach dem Tod des Onkels, verliert sich seine Spur. Da die bis zu 40 Zentimeter großen fossilen Eier nicht nur selten sind, sondern für den Regisseur auch ganz persönlich etwas besonderes sind, macht sich Schomerus auf die Suche nach dem Objekt. Dazu besucht er Museen, Sammlungen, eine Botanische Sammlung sowie Experten zum Thema Madagaskar und scheint dabei auf eine größere Verschwörung zu stoßen. Was haben das Elefantenvogelei, medizinische Forschungen und Kraftlinien miteinander zu tun? Und haben tatsächlich die Kokolampy – madagassische Kobolde – ihre Finger im Spiel? Der Dokumentarfilm ist ein wenig wie ein Krimi aufgezogen und obwohl er es mit den Verschwörungstheorien an manchen Stellen ein wenig übertreibt, bietet er dem Zuschauer auf jeden Fall einige interessante Einblicke in die koloniale Geschichte und Artenvielfalt Madagaskars.
Nachdem ich insgesamt sieben Mal die Huftierherde habe auf der Leinwand vorbeistapfen sehen – der diesjährige Trailer des Festivals – fahre ich zufrieden nach Hause und freue mich schon jetzt auf das 60. DOK im nächsten Jahr.
Der sechse Tag des DOK-Festivals
Der dritte Tag des DOK-Festivals
Artikelfoto: DOK Leipzig/Susann Jehnichen
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