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  • Von Cheerleading bis Zucchini

    Tag sechs auf dem DOK zeigt Schicksale im tristen Alltag

    Die letzten Tage des diesjährigen DOK-Festivals bieten nochmals die ganze Bandbreite an Filmen und es verwundert nicht, dass gerade das Wochenende die Besucher in die Kinos zieht. Und so langsam lassen sich auch die Favoriten der Kinobesucher erkennen. Eine Karte für die Neo Rauch-Dokumentation zu bekommen, ist so gut wie unmöglich.

    Dennoch ist das Programm so dicht und vielseitig, dass ich am liebsten in alle Vorführungen gegangen wäre. Am Ende haben es vier Filme in meine engere Auswahl geschafft. Sie alle vereint die Thematik vom Schicksal im ganz und gar tristen Alltag. So unterschiedlich sie doch sind, so verschieden ihre Ursprünge, so individuell ihre Akteure – ich habe bei jedem Film im Kinosessel gebangt, einen Schock bekommen und konnte am Ende doch (teilweise) erleichtert den Saal verlassen.

    Den Anfang machte ein französischer Animationsfilm von Claude Barras (Frankreich/Schweiz, 66 min): „My Life As Courgette“. Der Titel rief zunächst bei mir Assoziationen hervor, die von einer Dokumentation über gesunde Ernährung bis hin zu einem Zeichentrickzucchino reichte, der sein wohl eher kurzes Dasein visuell festgehalten hat. Aber nein, man kann beim DOK immer wieder mit positiven Überraschungen   rechnen. Der Film ist vorrangig für Kinder und bereits nach den ersten Minuten, fühlte auch ich mich in meine Kindheit zurückversetzt. Der Stil und die an Knetfiguren erinnernden Hauptdarsteller sind eine Hommage an alte Kinderserien meiner unbeschwerten Jahre. Icare, oder eben Courgette, ist ein kleiner Junge, dessen Welt aus den Fugen geraten ist. Sein Familienleben ist quasi nicht existent und die einzig ihm verbleibende Bezugsperson, seine Mutter, ist eine notorische Alkoholikerin. Courgette findet sich in einem Heim wieder, das alle Charaktere bereithält, die man eben für eine gelumein-leben-als-zucchini (1)ngene Kindergeschichte braucht: die etwas streng dreinblickende Heimleiterin, der sich prügelnde Giftzwerg und das Mädchen aus den Träumen eines Zucchino. So hangelt sich die Erzählung zwischen gefühlsbetonter Tiefs und spannungsreichen Hochs entlang. Was jedoch wirklich beeindruckend ist, ist die Art, wie der Film die einzelnen Leidensgeschichten der Kinder für andere Kinder vor der Leinwand aufarbeitet. Neben dem Witz und der niedlichen Art der Darstellung bewältigen die Heimkinder realwirkende Probleme. So bleibt nicht verborgen, dass Courgettes Weggenossen ebenso mit ihren Eltern zu kämpfen haben wie er selbst. Besonders interessant ist die Veränderung, die Courgette selbst durchmacht, bis es am Ende ein Happy End gibt, das bei mir die Tränen herausgelockt hat.

    Sind die Tränen getrocknet, kann es weiter zum nächsten Film gehen. In der Sonderreihe Meister-Schülerinnen wurden drei Filme russischer Cinematrographerinnen gezeigt. Der erste Beitrag „Shrove Sunday“ (Russland, 32 min) beginnt mit einer etwas langatmigen Einstellung von zwei alten Herren, die in ein Gebet vertieft sind. Dann der Szenenwechsel, und immer noch keine Klarheit darüber, ob es eher ein Kunstfilm oder ein Film mit informativer Botschaft ist. Was jedoch von der ersten Sekunde erschrickt, ist die Umgebung – russische Zustände. Dina Barinova beschreibt teilweise schon schamlos das Leben von drei Geschwistern, die alle blind geboren wurden und nun ihren tristen Alltag in einem Land bewältigen müssen, das keine Sicherheiten oder Zugeständnisse bietet. 

    Bei dem zweiten Film von Anna Moiseenko, „S.P.A.R.T.A. – The Territory of Happiness“ (Russland, 56 min), schwingt gleich von Beginn eine komische, absurde Note mit. Sie begleitet eine Gruppe, die ihr Lebensglück in mathematische Gleichungen übersetzt haben. Den Dialogen zu folgen und diese logisch nachvollziehen zu können, habe ich bereits nach den ersten zehn Minuten aufgegeben. Auch die
    Theory of Happiness ist mir noch immer ein Mysteriuimage (2)m, z.B. Besagt das Regelwerk, das jedes Mitglied Verse schreiben muss, um Punkte zu akkumulieren, die dann mit dem individuellen Glückskoeffizienten in eben das Glück umgewandelt werden können. Eindrucksvoll beschreibt Moiseenko diese Lebenswelt von einem Mitglied. Diese junge Frau heroisiert die Bewegung, scheint fanatisch und doch bröckelt die Fassade im Laufe des Films immer mehr. Bizarre Bilder, patriotische Russlandlieder und paradoxe Aussagen machen die Dokumentation definitiv sehenswert.

    Zu guter Letzt begleitet der Zuschauer einen jungen Mann und sein YAMAHA-Keyboard durch eine russische Kleinstadt. Inna Olmelchenko zeigt die Enge und Ausweglosigkeit in ihrem Film Yamaha (Russland, 38 min), die mit Musik versucht wird zu bekämpfen. Auch hier schwingt ein Hauch Ironie mit und Schmunzeln lässt sich nicht vermeiden.

    Ein Szenenwechsel begann nach dem Abendessen. Die DOK-Reise führt nach Irland zu Colm Quinns „Mattress Men“ (Irland, 82 min). Er gehört zu meinen absoluten Highlights auf dieser DOK. Es ist einfach die perfekte Mischung zwischen ernsten Themen, großen Gefühlen und lustigen Szenen. Quinn, der persöimage (3)nlich anwesend war, hat 3 Jahre lang Paul Ketty begleitet, der ohne richtigen Vertrag zeitweise bei Mattress Mick arbeitet. Mick hat durch Pul die Macht der Social Media entdeckt und beide produzieren ein Musikvideo, in dem Mick über seinen Beruf als Matratzenverkäufer rappt. Neben witzigen Einlagen, steht immer das vermaledeite Leben Pauls im Fokus, der in der Wirtschaftskrise vergeblich auf eine Festanstellung bei Mick wartet. Der Wizards of Beds und Paul teilen ein Schicksal und bringen sicherlich jeden Zuschauer zum lachen und weinen.

    Der letzte Film kam aus Finnland und taucht ein in die Welt des Cheerleading. Christy Garland filmte bei dem schlechtesten finnischen Cheerleadingteam (Finnland, 82 min). „Cheer Up“ ist wieder ein schicksalhafter Film, in dem gebündelt verschiedene Lebensläufe thematisiert werden. Der Wunsch nach Anerkennung und Erfolg ist bei allen vorhanden und ist der rote Faden der Dokumentation. Am Ende des Tages ist das finnische Team nur noch das zweitschlechteste und ich freue mich auf den letzten Tag des diesjährigen DOKs; insbesondere auf die Gewinner des offiziellen Wettbewerbs.

    Tag fünf auf dem DOK-Festival

    Tag sieben auf dem DOK-Festival

    Bilder: DOK

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