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  • Den Weg nicht alleine gehen

    Zu Besuch im Kinderhospiz "Bärenherz" in Markkleeberg

    Die Sonne schimmert durch die Blätter der hochgewachsenen Bäume, Vögel zwitschern leise Melodien. Mitten in dieser Idylle des Kees’schen Parks in Markkleeberg im Süden Leipzigs liegt das Kinderhospiz „Bärenherz“. Es ist ein Ort der Ruhe und Erholung, aber auch der Trauer für unheilbar kranke Kinder und ihre Familien.
    Am großen Tisch im Speiseraum sitzen Michaela und Ralph S. Wer sich mit den beiden unterhält, erkennt zwei freundliche, offenherzige Men­schen, die schützend links und rechts neben ihrer jüngsten Tochter Fritzi Platz genommen haben. Die Dreijährige ist schwerstbehindert. Sie weist in beinahe allen Bereichen der Entwicklung sehr starke Beeinträchtigungen auf. Ent­sprech­end sitzt sie in einem eigens für sie angepassten Stuhl, während Michaela ihr Joghurt über eine Magensonde verabreicht. Im Hintergrund brummt ein Sauerstoffkonzentrator, der Fritzi über ihre Kanüle Sauerstoff zuführt. „Sie ist so intensiv pflegebedürftig, dass sie medizinisch rund um die Uhr betreut werden muss“, erklärt Michaela. Zu jeder Zeit befindet sich ein Pflegedienst bei der Familie zu Hause, der die medizinische Versorgung über­nimmt.
    Niemand weiß genau, was mit Fritzi vor ihrer Geburt passiert ist. Als Michaela vor drei Jahren schwanger war, schien anfangs noch alles normal. „Doch zwei Monate vor errechnetem Geburtstermin wurden in einer Routineuntersuchung Auffälligkeiten festgestellt“, erklärt sie. Die Herzschlagtöne von Fritzi waren zu schnell. Auf einmal ging alles Schlag auf Schlag: Michaela kam noch am selben Tag ins Krankenhaus. Die Ärzte entschieden, Fritzi mittels Notkaiserschnitt zu entbinden. Das Mädchen war von Beginn an sehr kraftlos – per Ausschlussdiagnostik wurde nach der Ursache gesucht. „Wir wissen es bis heute nicht. Im Endeffekt ist es ein Schick­salsschlag“, fügt Michaela hinzu. Die Ärzte vermuten eine Unterversorgung im Mutterleib, Hirnzellen starben ab und hinterließen Fritzi mit einem Hirnschaden.

    Bärenherz 1

    Das „Bärenherz“ ist ein Ort der Erholung Foto: BH

    Auszeit im „Bärenherz“
    In Deutschland gibt es 16 Kinderhospize. Das Erste wurde 1998 eröffnet. Anders als bei einem Erwachsenenhospiz werden im 2002 gegründeten Kinderhospiz „Bärenherz“ ganze Familien aufgenommen. Dazu stehen zehn Kinderzimmer und fünf Elternwohnungen zur Verfügung.
    Auch die Art des Aufenthalts ist eine Besonderheit, die Kinder- und Erwachsenenhospize voneinan­der unterscheidet: Anders als erwartet, kommen die Familien nicht nur für den letzten Abschnitt des Lebensweges ihres Kindes hierher, sondern auch, um wieder Kräfte und Energie für den anstrengenden und belastenden Alltag sammeln zu können. Denn das Leben der Familien von Kindern mit einer lebensverkürzenden Erkrankung wird  auf vielen Ebenen vollständig umgeworfen.
    Eigentlich lebt Familie S. in Bonn – vor zwölf Jahren sind sie von Leipzig weg in die nordrhein-westfälische Stadt gezogen. Doch die Vertrautheit zu Leipzig und die Nähe zu den Verwandten bringt sie immer wieder zum Kinderhospiz „Bärenherz“ nach Markkleeberg. „Wir sind zum vierten Mal hier“, sagt Michaela: „Ich wusste vorher gar nicht, was ein Kinderhospiz ist.“ Der Aufenthalt im „Bärenherz“ ist für die Familie eine Möglichkeit, sich eine Auszeit zu nehmen und gemeinsam Urlaub zu machen, betont sie: „Eine Zeit der ‚Sorglosigkeit‘ ist es aber nicht, die Sorgen haben wir natürlich trotzdem.“ Eine Krankenpflegerin kommt in den Raum, Begrüßungen werden aus­ge­tauscht.
    „Beim Bärenherz ist der Name wirklich Programm“, sagt Michaela und lächelt. Auch wenn der Anfang schwer war: Weit weg vom schützenden Zuhause sei der Familie sehr nachdrücklich bewusst geworden, in welcher Lage sie sich eigentlich befindet. „Aber die Atmosphäre hier ist so positiv und herzlich.“ Dadurch werde die ganze Situation erleichtert. In diesem Moment muss das Gespräch unterbrochen werden: Der Überwachungsmotor schlägt Alarm, Fritzi muss Sekret aus der Lunge abgesaugt werden. Die Krankenpflegerin kommt sofort und erledigt die Arbeit mit schnellen, sicheren Handgriffen.
    Organisatorisch, finanziell und emotional stehen die Angehörigen häufig vor schwer zu bewältigenden Herausforderungen. Ulrike Herkner, die Geschäftsführerin des Förder­vereins Bärenherz erklärt: „Auf all diesen Ebenen möchten wir für die Kinder und Familien da sein. Vom Zeitpunkt der Diagnose bis hin zum Tod des Kindes und darüber hinaus.“

    Garten Bärenherz

    Blick in den Garten des Kinderhospizes Foto: BH

    Ehrenamt
    Der Förderverein besteht seit November 2003 und ist für die Finanzierung des Kinderhospizes verantwortlich. Auch wenn die Kranken- und Pflegekassen bereits erkannt haben, dass eine psychosoziale Hilfe der Angehörigen zusätzlich unterstützenswert wäre, werden bisher nur etwa ein Drittel bis die Hälfte der Kosten durch die Kassen getragen. Alles, was darüber hinausgeht, wird über den Förderverein finanziert. Deswegen engagieren sich hier neben den vier fest angestellten Mitarbeitern zusätzlich noch 150 ehrenamtlich Helfende. So können neben der medizinischen und pflegerischen  Betreuung der erkrankten Kinder auch Angebote für die Angehörigen geschaffen werden. Zusätzlich zur Trauerbegleitung wird den Geschwistern der Pflegefälle ein pädagogisches Angebot zur Verfügung gestellt und für die Eltern wird eine Beratung in sozialrechtlichen Bereichen angeboten.
    Auch Fritzis Familie versucht, vom vielfältigen Therapieangebot im Kinderhospiz „Bärenherz“ möglichst viel mit­zunehm­en. Fritzi brauche viel Input von außen, erklärt Michaela, nachdem die Pflegerin wieder verschwunden ist: „Musiktherapie ist zum Beispiel unwahrscheinlich schön, das ist für die Kinder große Klasse.“
    Zu den Mahlzeiten tauschen sich die Eltern der Kinder zuweilen aus. „Manchmal treffen wir bekannte Gesichter im „Bärenherz“ wieder – das macht das Ankommen etwas leichter“, sagt Ralph. Natürlich drücken Sterbefälle die Stim­mung im Kinderhospiz. „Man trifft andere Eltern, die ähnliche Schicksale haben, und stellt fest, dass man eben doch nicht allein ist“, ergänzt seine Frau. Auch werden Formalitäten wie Behördengänge und der Umgang mit den Krankenkassen thematisiert und Erfahrungen ausgetauscht.

    Vorurteilsfrei
    Ebenso genießen die Geschwister von Fritzi, Ella (7) und Frieda (5) ihre  Zeit im Kinderhospiz. Denn viele Angebote stehen auch den beiden größeren Mädchen zur Verfügung: Es gibt Spielzimmer und einen sogenannten „Snoezelen-Raum“, wo die beiden gemeinsam auf dem Wasser­bett entspannen können, wie Michaela erzählt. Häufig wünschen sich Ralph und Michaela, dass alle Menschen mit Fritzi so umgehen würden, wie es ihre Schwestern tun. „Kleine Kinder sind noch völlig vorurteilsfrei“, sagt Ralph. Entsprechend liebevoll und unge­zwungen würden die Beiden mit ihrer kleineren Schwester umgehen.

    Abschied
    Die etwa 180 Familien, die jedes Jahr ins Bärenherz kommen, werden von 41 Mit­arbeitern betreut. Neben den Pflege­kräften und pädagogischen Fach­kräften gehören auch ein Sozialdienst, Hauswirtschaftler und die Leitung dazu. Hinzu kommen drei externe Ärzte, die dauerhaft telefonisch erreichbar und einmal wöchentlich zur Visite vor Ort sind. Sie arbeiten hauptberuflich in der Uniklinik oder dem Herzzentrum und engagieren sich zusätzlich ehrenamtlich im „Bärenherz“. Auch für das Team spielt die Trauerbewältigung eine wichtige Rolle, denn oft entsteht eine persönliche Bindung zwischen den Mitarbeitern und den Kindern. Deshalb finden zusätzlich zur psychologischen Betreuung der Mitarbeiter Zeremonien für alle verstorbenen Kinder statt, an denen die Familien und das gesamte Personal teilnehmen können, um Abschied zu nehmen.
    Die Krankenkassen bewilligen pro Familie  einen Aufenthalt von ungefähr vier Wochen im Jahr. Gerade genug Zeit für eine Ruhepause. Darüber hinaus wird das „Bärenherz“ aber auch zu dem Ort, an dem die erkrankten Kinder und ihre Angehörigen auf dem letzten Stück Lebensweg Begleitung finden. „Es geht darum, diesen Weg nicht alleine gehen zu müssen“, erklärt Geschäftsführerin Herkner  in mitfühlendem Tonfall.
    „Einige Menschen können ihr Schicksal nicht richtig verarbeiten, für die wäre so eine Einrichtung wie das ‚Bärenherz‘ mit Sicherheit Ballast, aber für uns ist es immer wieder großartig“, resümiert Michaela. „Das kann gar nicht hoch genug angerechnet werden“, fügt ihr Mann hinzu: „Wir genießen das hier und hoffen natürlich am meisten, dass es für Fritzi etwas bringt.“
    Carolina Neubert und Juliane Siegert

    Artikelfoto: privat

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