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  • Ende gut, alles gut?

    Der letze Tag auf dem DOK führt in den New Yorker Untergrund

    Den letzten Tag des Filmfestivals ließ ich langsam beginnen. Es war der perfekte Sonntagnachmittag für einen Film und so verschlug es mich plus meine Begleitung in den DOK Buster.

    Der Film, den ich zusehen bekam, stand erst weniger als 24 Stunden vorher fest. Ich ging mit hohen Erwartungen, den wohl höchsten dieser Woche, ins Cinestar und wollte mich gänzlich in einer Dokumentation über 21 Menschen umgeben vom New Yorker Stadtbild verführen lassen. Doch es kam alles ganz anders. Der polnische Cinematograph Piotr Stasik verfolgte im Jahr 2016 Einwohner der Stadt New Yorker durch die Schächte der Subway. Das Ergebnis „21 x New York“ (Polen, 70 min) ist verstörend und anmutend zugleich. Der Film beginnt mit den auftauchenden A-Train. Mit einer Anspielung auf Duke Ellingtons „Take the A-Train“ schaffte  der Film so quasi einen fließenden Übergang zu dem vorher gezeigten Kurzfilm.

    Der Kurzfilm „Oscar“ (Kanada, 12 min) von Marie-Josée Saint-Pierre ist eine Hommage an den Jazzpianisten Oscar Peterson. Peterson war eine Legende. Genau das ist es, was Saint-Pierre neben kreativen Animationen und historischen Interviews vermitteln möchte. Der Zuschauer durchlebt die Tiefen und Höhen des Musikerlebens. Mich erinnerten die Zeichnungen sehr an die Karambolage-Serien auf Arte und somit gewann der Kurzfilm zunächst meine Sympathie. Im Nachhinein bleibt er doch als eine etwas zu kitschig geratene Biographie über einen Pianisten im Gedächtnis, der auch einen Film von drei Stunden Länge hätte füllen können. Nichtsdestotrotz ist es der Jazzmusiker, der durch seine Dialoge Weisheiten und Reflexionen den Filmbesucher einfühlsam durch sein Leben führt.

    Im anschließenden New Yorker Film dreht sich alles um das Leben ungleicher Großstädter. Die Hoffnung New Yorker Straßen, Monumente und Plätze zu sehen, stirbt schnell. Der größere Teil des Films spielt untertage in der Subway. Die Subway wird zum potentiellen Ort für Treffen von einsamen Wölfen und Liebesbedürftigen. Dennoch erscheinen die Menschen in Stasiks Film einsam und verloren. Durch eingespielte Stimmen von jeweils einem der 21 New Yorker werden die verschiedenen Lebensgeschichten vorgestellt. Schnell wird dem Zuschauer klar, es dreht sich alles um Einsamkeit und Zweisamkeit – die hoffnungsvolle Suche nach Liebe. Ein häufig auftauchendes Gesicht gehört Sebastian. Der Chinese ist depressiv und verbringt einen Großteil seiner Zeit in der U-Bahn; immer dabei ist sein iPhone, mit dem er mit einer unglaublichen Genauigkeit und Ruhe vorbeifahrende Züge, Haltestellen und Lampen filmt. Er produziert ein Film im Film. Seine Kommentare können nicht verbergen, dass er ein einsamer Wolf ist und er in einer Stadt mit acht Millionen Einwohnern die Einsamkeit vorzieht. Teilweise erscheint Sebastian verwirrt und gruselig. Der Film an sich scheint sich manchmal in einen Gruselfilm zu verwandeln und oft hatte ich ein beklemmendes Gefühl in der Bauchgegend, wenn die Kamera leere Plätze oder verwackelte Bilder von New Yorker Hinterhäusern verfolgt. Das alles wird verstärkt von einer phänomenalen musikalischen Unterlegung. Jeder Befragte hat seine eigene Musik und die perfekt gedrehten Zwischensequenzen erhalten ihre Atmosphäre von eben diesen Melodien.

    Die Waggons der Subway füllen und leeren sich. Stasik hält den Kreislauf des New Yorker Lebens in der Subway fest. Dort trifft der Zuschauer auch die 21 Charaktere. Sie alle haben ihre Geschichte von Liebe und Leid. Neben dem glücklichen Pärchen gibt es auch den ewig der Liebe hinterjagenden Mann. Bilder notgeiler Frauen und Männer gehören ebenso zu diesem Durcheinander wie geschäftige Menschen, die nicht nach links oder rechts blicken.

    In den raren Szenen oberhalb der Straßendecke dringt der Film auch in die Schwulenszene des Big Apples vor. Auch hier ranken sich Legenden um Liebe und Verderben. Stasik stellt sich und uns die Frage, wie man allein sein kann in einer Stadt, die niemals schläft, mit Menschen vieler Religionen und Weltanschauungen. Und doch, Schnappschüsse von Menschen in ihren Wohnzimmern, auf der Straße und eben in der U-Bahn generieren ein Gefühl der Einsamkeit und der Melancholie. Wer also eine unterhaltsame Dokumentation über New Yorker Menschen sehen will und sich dabei freudig amüsieren möchte, sollte nicht Stasiks Werk wählen. Trotz allem ist es ein gelungener und empfehlenswerter Film. Er besticht durch seine filmischen Gestaltungsmittel und der Musik. Die Bilder brennen sich in den Kopf und der Film wird zur Kunst stilisiert. Das ist es, was am Ende auch mich tief bewegt hat. Der Film ist ein Kunstwerk, das sich nur bruchstückhaft offenbart und zusammensetzt.

    Um Kunst ging es generell immer auf dem DOK, präziser um die Kür der besten Dokumentar- und Animationsfilme, die am Samstag ausgewählt worden waren. Die Preisträger von diesem Jahr sind so international, wie man es sich von einem internationalen Festival nur wünschen kann. Der wohl wichtigstes Preis, die Goldene Taube, die mit 10.000 € dotiert ist, gewinnt eine Dokumentation, deren Thema schon sehr ausgeschlachtet zu sein scheint. Sergei Loznitsas Dokumentation „Austerlitz“ (Deutschland, 94 min) präsentiert Konzentrationslager wie Auschwitz, Dachau und Sachsenhausen in einem durchaus noch nicht bekannten Licht. Die Absurdität der extra angereisten Touristen ist der Kern der filmischen Untersuchung. Was wird aus einem Ort wie Auschwitz, wenn tausende Menschen mit Selfiesticks in der Hand einen Rundgang durch eben dieses Lager zelebrieren, wenn Gänsehaut provozierende Sprüche wie Arbeit macht frei als fotografisches Motiv missbraucht werden. Zu Recht hat die Dokumentation für viel Gesprächsstoff gesorgt und einen Preis gewonnen.

    Die Silberne Taube geht an den Film „Cahier Africain“ (Schweiz/ Deutschland, 119 min). Heidi Specognas Dokumentation ist nichts für schwache Nerven. Sie begleitet drei Frauen aus Zentralafrika auf der Reise in ein sicheres Leben nach Plünderung und Rebellion und lässt sie nicht allein, als sie nochmals fliehen müssen und die neue Sicherheit zurücklasse. Der Film erhielt überdies den Preis der Interreligiösen Jury.

    Der Gewinner des Internationalen Kurzfilmwettbewerbs gewinnt der polnische Film „Close Ties“ (Polen, 18 min) über ein altes Ehepaar mit viel Klärungsbedarf. Die Goldenen Taube für den besten kurzen Animationsfilm erhält Elin Grimstads „Eternal Hunting Grounds“ (Norwegen, 19 min).

    Eine Dokumentation, die besonders viele kleinere Preise und viel Aufmerksamkeit bekam, ist der deutsche Film „To Be a Teacher – Zwischen den Stühlen“ (Deutschland, 100 min).

    Damit endet leider das DOK auch schon wieder. Aber die Zeit vergeht zum Glück im 21. Jahrhundert schnell und bald ist es wieder soweit, die Popcorntüten auszupacken, die Sitzkissen zu bügeln und ins Kino zu gehen.

    Der sechste Tag des DOK-Festivals

    Foto: DOK

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