Zwischen Schreibblockade und Motivationstief
Die Graphic Novel „Studierst du noch oder lebst du schon?“ holt übermotivierte Erstis und träumende Dauerstudierende auf den Boden der Tatsachen zurück.
Eigentlich wollte Tiphaine Rivière nach ihrem Studium ihre Doktorarbeit in Literatur schreiben. Doch anstatt zu promovieren, fing die 33-jährige Pariserin an zu bloggen und veröffentlichte kurze Zeit später ihre erste Graphic Novel „Studierst du noch oder lebst du schon?“, die in Frankreich mit Begeisterung gelesen wird. Darin greift Rivière den (Alb)traum Doktorarbeit auf und lässt die Protagonistin Jeanne am ganzen Leib spüren, was es heißt, wissenschaftlich zu arbeiten. Dazu braucht es nämlich vor allem Eines: Selbstdisziplin!
Jeanne ist eigentlich eine ganz normale junge Pariserin. Sie unterrichtet Kunst für Achtklässler, geht gern mit Freunden ins Kino oder trifft sich auf einen Kaffee. Quirlig und lebensfroh geht sie ihrem Alltag nach. Doch dann wird sie an der Uni als Doktorandin zugelassen, und ihr Leben gerät aus den Fugen.
Voller Euphorie und Selbstbewusstsein stürzt sie sich in die Doktorarbeit, doch ihre Arbeitswut ist nur von kurzer Dauer. „Keine Sorge, ich ziehe das in drei Jahren durch“, verspricht sie ihrem Freund, der von Anfang an skeptisch ist. Schnell stellt sich heraus, dass seine Bedenken nicht unbegründet sind: Jeanne hat bald mit Geldsorgen zu kämpfen und das Vorbereiten ihrer Unterrichtsstunden an der Uni scheint ihr jegliche Zeit zu rauben, die sie für die Doktorarbeit gut gebrauchen könnte.
Der einstige Traum von der Promotion entwickelt sich zum Albtraum. Jeanne verliert nicht nur ihren Freund, den Kontakt zu ihrer Familie und letztlich ihr komplettes soziales Umfeld, sondern auch den Bezug zur Realität. Sie fängt an, ihren vollkommen desinteressierten Doktorvater regelrecht anzuhimmeln und gerät langsam aber sicher in die wissenschaftspublizistische Hölle, in der Schreibblockade und Prokrastination ihr Unheil treiben.
Als Leser kann man sich hervorragend in die naive Jeanne hineinversetzen und ihr im wahrsten Sinne des Wortes dabei zusehen, wie sie in den Strudel der niemals enden wollenden Doktorarbeit gerät. Die Graphic Novel lebt von den vielen, unglaublich authentischen Alltagssituationen, in denen sich wohl jeder Studierende schmunzelnd wiederfindet. Dabei sind autobiografische Züge nicht von der Hand zu weisen und lassen nicht nur einen Blick in Rivières ganz persönliche Promotionserfahrungen zu, sondern steuern auch zur Originalität der Geschichte bei.
Besonders reizvoll sind die illustrativen Metaphern, die sich wie ein roter Faden durch die Graphic Novel ziehen: Der Hörsaal voller Studenten verwandelt sich vor Jeanne in eine Schar fauchender Tiger, ihr Kolloquiumsvortrag wird für sie zur atemraubenden Schwimmprüfung und die Arbeit an ihrer Doktorarbeit führt sie in eine verworrene Fantasiestadt, die aus lauter Treppen und Falltüren besteht.
Die großen Zeitsprünge (Jeannes Doktorarbeit ist, wie erwartet, nicht nach drei Jahren abgeschlossen) wirken allerdings teilweise irritierend auf den Leser, man hat das Gefühl, der Geschichte zeitlich nicht richtig folgen zu können.
Trotzdem ist die Graphic Novel sehr flüssig zu lesen und aufgrund ihrer Kurzweiligkeit vor allem etwas für „Zwischendurchleser“, sei es in der Straßenbahn oder im Wartezimmer beim Arzt. Optisch ist das Buch ein Augenschmaus: Rivière bringt ihre Charaktere und Szenen in angenehmen Farben liebevoll aufs Papier. Ihr Zeichenstil verliert sich nicht in Details und nimmt sogar karikative Züge an, was die teils komischen Situationen, in die Jeanne gerät, herrlich untermalt.
Wer im Begriff ist, seine Doktorarbeit anzumelden oder gar schon promoviert, dem ist dieses Buch wärmstens zu empfehlen. Sei es als Vorwarnung, zur Selbstreflexion oder als Hilfestellung, um ein eventuelles Schreibtief zu überwinden. Oder einfach, um einen Grund zu haben, das Schreiben des Einleitungstextes malwieder auf morgen zu verschieben. Es ist ja noch sooo viel Zeit…
„Studierst du noch oder lebst du schon?“ von Tiphaine Rivière ist in Deutschland für 19,99€ im Knaus Verlag erschienen.
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