Auf die Zukunft bedacht
HTWK-Forschungsgruppe entwickelt historisches Zollingerdach weiter
Die Zementherstellung verursacht weltweit dreimal so viel CO2 wie der gesamte Flugverkehr. 60 Prozent des Abfalls in Deutschland entstehen durch die Bauindustrie“, erklärt Alexander Stahr, Professor für Tragwerkslehre an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK). In seinem Vortrag auf der Leipziger „denkmal“-Messe für Denkmalplflege, Restaurierung und Altbausanierung stellt der Ingenieur sein aktuelles Projekt vor, das dabei helfen soll, den Bau von Dächern ökologisch nachhaltiger zu gestalten.
Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern versucht Stahr, eine historische Dachkonstruktion wiederzubeleben und sie dem heutigen technischen Stand anzupassen. Auf der Messe präsentieren sie einen fünf Meter langen Nachbau des Zollingerdaches, das der Merseburger Stadtbaurat Friedrich Zollinger in den 1920er Jahren entwickelte. Dieses besteht aus einer Vielzahl von lamellenartigen Holzstücken, die in einem rautenförmigen Muster miteinander verbunden sind und einen gekrümmten Dachbogen bilden.
Vor etwa zwei Jahren hat Stahr zusammen mit einer 14-köpfigen Studentengruppe aus den HTWK-Studiengängen Bauingenieurwesen und Architektur begonnen, das Zollingerdach zu erforschen. „Wir haben uns mit der Geschichte des Zollingerdaches beschäftigt und nachvollzogen, wie seine Geometrie funktioniert. In Berlin-Wannsee haben wir uns außerdem ein Bestandshaus angesehen, in dem ein originales Zollinger-Dach verbaut ist“, sagt Lukas Franke, ein Teilnehmer der Arbeitsgruppe.
Darüber hinaus versuchen die Ingenieure, das historische Dach mithilfe moderner Technik weiterzuentwickeln. Um die Tragfähigkeit des Daches nachzuweisen, seien sehr komplexe Berechnungen nötig, die erst mit modernen Rechenmodellen am Computer durchgeführt werden könnten, erläutert Stahr. Außerdem erlaube es heutzutage die höhere Präzision beim Holzzuschnitt, die Dachteile nicht mithilfe von Bolzen zu verbinden, sondern durch Versatz. Dabei werden in die Lamellen Kerben geschnitten, in die dann die schräg darauf stehenden Bretter geschoben werden können. Stahr zufolge benötige das verbesserte Zollingerdach nach aktuellen Schätzungen etwa 30 Prozent weniger Material als herkömmliche Hallendächer. Dennoch sei das Dach aufgrund seiner gekrümmten Gestalt stabil. „In der Natur sind überall gekrümmte Formen zu finden. Das Zollingerdach gibt uns die Möglichkeit, so effektiv zu bauen, wie es uns die Natur vorgibt“, so der Professor.
Derzeit arbeiten Stahr und seine Mitarbeiter vor allem daran, die Kräfte und Verformungen in den Verbindungspunkten der Dachlamellen zu messen und ihre Modelle zu verbessern.
Ihre Arbeit wird seit Mai für zwei Jahre vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützt. Im Januar soll ein weiteres, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Projekt starten, in dem die Wissenschaftler das Dach in vorfertigbare Elemente aufteilen. Dadurch soll die Montagezeit der Konstruktion reduziert werden, welche bislang die von herkömmlichen Dächern noch deutlich übersteigt. Dass die Konstruktion damit ihrer praktischen Anwendung im Bausektor immer näher rückt, beobachtet auch Manuel Pietzsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt. „Wir bekommen bereits Anfragen von Bauherren, die sich für den Einsatz unseres Daches interessieren. Das spornt unsere Forschungsarbeit zusätzlich an.“
Fotos: privat
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