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  • Der zweite Tag auf der Buchmesse

    Tagebuch zur Buchmesse (2) - Freitag, 24. März

    Es ist viel zu früh, stickig und laut. Ich suche den Salon Europa, und mir fällt zum ersten Mal das wunderschöne glänzende Grammophon in der Ecke auf. Eine Referenz zu den literarischen Salons back in the days also. Es sieht irgendwie einsam aus.

    Eine Ecke weiter findet die Veranstaltung „Schreiben im Fall“ statt: Es ist eine ganz kleine Runde, zwei Autor*innen, zwei Moderierende, vier Zuhörende. Gemütlich, fast schon zu intim. Es wird abwechselnd aus zwei Texten gelesen und darüber gesprochen. Da ich die Texte nicht kenne und ich ein bisschen spät bin, setze ich mich ganz hinten hin. Immer noch sehr nah. Der erste Text ist von Necati Öziri, Dramaturg*in am Maxim Gorki Theater und Autor*in von Kurzgeschichten. Öziri liest einen Text aus seinem Sprechtheater „get deutsch, die tryin‘“. Arda, Bojan, Danny und Sarvas verbringen ihren letzten Sommer zusammen, doch wissen sie nichts davon. Abgeschoben oder an ein ungewolltes Kind gekettet werden sie bald auseinandergerissen. Diesen letzten gemeinsamen Sommer der Jugendlichen schildert Öziri in einem bestimmten Rhythmus. Es ist ein treibender, schneller Rhythmus, der vom Hip-Hop inspiriert ist. Öziri mag keine linearen Erzählstrukturen, will erzählen, wie Musik es tut, hat dadurch Texte an Versmaß oder Stimmung bestimmter Songs angepasst. Die andere Seite der Geschichte erzählt die ältere Generation. Ihre Geschichte ist Jazz, Blues, langsamer. Necati Öziri hofft, dass die Zuschauenden bei der Uraufführung im Mai jeden einzelnen Song erkennen, allein am Rhythmus seines Textes.

    Der zweite Text von Sivan Ben Yishai handelt von einer Kindheit in Israel, in der die Gewalt des palästinensisch-israelischen Konflikts auch von Kindern nicht ignoriert werden kann. Beißend witzig und ironisch erzählt der Text von anti-palästinensischen Eltern, die vieles falsch gemacht haben, aber trotzdem geliebt werden. Die Familie flieht, weil sie das Tränengas nicht mehr schönreden können, die Katze wird zurückgelassen. Herauswerfen will sie jedoch niemand. Die Mutter verstreut im ganzen Haus Tonnen von schwarze Pfeffer, damit die Katze freiwillig geht.

    Andre WilkensGleich Nebenan, im Café gibt es eine Lesung mit Andre Wilkens und dem Buch „Europa wieder lieben lernen“. Wilkens beschreibt auf den ersten Seiten, wie EU, eine gutaussehende Frau in den besten Jahren, bei Siegmund Freud auf der Couch liegt. Sie hat ein gestörtes Elternhaus, einen Ödipuskomplex, hat dem Vater viel zu verdanken, ist aber doch nicht Vaterland. Europa hat eine Identitätskrise, eine Midlifecrisis. „Europa ist eine gute Sache, das muss man ja wohl mal sagen dürfen heutzutage“. Wilkens kritisiert, dass immer nur kritisiert wird. In der DDR aufgewachsen, begrüßt Wilkens die Freiheiten und den Frieden, den Europa gebracht hat.
    Für mich wiegt sich all das allerdings nicht auf mit den unzähligen Menschenleben, die an Europas Grenzen gestorben sind, sterben, sterben werden.

    Ich schließe den Tag mit einem Besuch auf der Manga-Comic-Con ab. Gleich am Eingang steht etwas, das aussieht wie ein Polizeiwagen. Beim Näherkommen erkenne ich das Logo „Bafmw – Bundesamt für magische Wesen“. Dem Flyer entnehme ich, dass zu den Aufgaben des Amtes Bioblut für Ökovampire, Haltungsfragen magischer Tiere und gendergerechte Außenpolitik gehören. Ein großes Schild markiert „Frauenparkplätz*innen“. Habe ich es mit einem Ableger der Partei die Partei zu tun? Sind diese Leute liebenswerte Spinner mit schlechtem Humor und einer Vorliebe für Comics und Zauberwesen? Oder vielleicht doch eher diese Art von Menschen, die mir „scheiss Gutbürger!“ und „Fuck political correctness“ ins Gesicht spucken möchten?

    PeruckenIch mache ein Foto von einer riesigen, regenbogenfarbenen Wand, die komplett aus Perücken besteht, kaufe schnell noch ein Geburtstagsgeschenk und mache mich davon.

     

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    Fotos: mz

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