Schöne neue Dorfgemeinschaft
Buchrezension: „Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“
Samstagmittag auf der Leipziger Buchmesse. Zeit für ein wenig Zuversichtlichkeit in diesen düsteren Zeiten. „Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“ heißt das neue Werk von Andreas Stichmann, dass auf der 3Sat-Bühne besprochen werden soll.
Und auch die Lokalität ist passend zum Buch gewählt. Direkt unter dem von Frühlingssonne durchfluteten Glasdaches der Messe, entfaltet sich schon vor dem anregenden Gespräch ein positives Gefühl.
Für den in Bonn geborenen Autor ist es ein Heimspiel: Stichmann studierte in Leipzig am Deutschen Literarischen Institut bevor er, nach Aufenthalten im Iran und Südafrika, 2012 seinen ersten Roman „Das große Leuchten“ veröffentlichte. In Südafrika arbeitete er in einer Dorfgemeinschaft mit geistig Behinderten. Die Erfahrungen aus dieser Zeit verarbeitete er in seinem aktuellen Roman, verlegte jedoch das Geschehen auf ein Gut, den fiktiven „Sonnenhof“ in Hamburg.
Vormals war der „Sonnenhof“ ein alternatives Refugium für Hippies. Die Überlebenden der wilden 70iger Jahre führen diesen nun als betreutes Wohnen. Die alten Träume und Illusionen sind gestorben. Heute müssen sich die ehemaligen Blumenkinder mit Anträgen für Fördergelder herumschlagen anstatt mit der Weltrevolution. Apathie und der Pleitegeier beherrschen den Hof, bis ein Mann auftritt, der alles verändern will – Sydney Seapunk. Seapunk ist mit dem Sohn der Chefin des verwilderten Paradieses befreundet und will raus aus dem Hamsterrad des Kapitalismus, um die Welt zu verbessern.
Dieser Sydney Seapunk ist ein Populist wie er im Buche steht – und ein Gutmensch, sozusagen ein linker Donald Trump. Er nervt die alten Bewohner mit seinen naiven Parolen und Phrasen, um sie aus ihrer Lethargie zu reißen. Doch die müssen reale Probleme bekämpfen, die sich nicht mit schönen Sprüchen lösen lassen. Um tatsächlich an Geld zu kommen, beschließen sie, Seapunk im Schein entführen zu lassen, um seinen reichen Bruder zu erpressen.
Stichmanns Bücher handeln von der Sehnsucht nach einer stabilen Familie, die der Protagonist schließlich in alternativen Kollektiven findet. Doch dieses Glück wird durch den Egoismus der Mitglieder bedroht. Selbst der altruistischste Mensch, verfolgt seine eigenen Interessen.
Lässig liest der Jeans- und Bartträger Stichmann aus seinem Roman vor. Die Sprache ist so entspannt wie sein Autor, der zugibt dass er beim Schreiben hoffte, „dass die Figuren von alleine Leben und ihre eigenen Entscheidungen treffen.“
Die Sonne scheint am Ende der Lesung noch immer, auch wenn man den Eindruck gewonnen hat, dass jeder Optimismus einmal von der Realität eingeholt wird. Aber der Autor ermuntert: Nach ihm könne bereits das Streben nach einer besseren Welt die Dinge um einiges besser machen. Na dann.
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