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    Filmrezension: Jahrhundertfrauen

    „Jahrhundertfrauen“ verspricht alles zu haben, was die Herzen von Indiefilm-Liebhabern höherschlagen lässt. Für Buch und Regie ist Mike Mills verantwortlich, der bisher die schön schrägen Filme „Thumbsucker“ und „Beginners“ gemacht hat. Im neusten Werk spielen Arthouse-Liebling Greta Gerwig, Elle Fanning und Annette Bening mit. Und dann noch die Story! Drei Frauen aus verschiedenen Generationen versuchen, einen Teenager-Jungen zu erziehen. Das riecht nach Feminismus und klugen Einsichten über das Leben. Leider wird aus vielen guten Zutaten kein guter Film.

    Visuell versteht Mike Mills sein Handwerk. „Jahrhundertfrauen“ erzeugt vom ersten Moment an eine sehr anziehende und authentische Atmosphäre. Man fühlt sich, als wäre man selbst im schwülen Kalifornien der späten 1970er-Jahre und würde sich auf pubertäre Identitätssuche mit der Hauptperson Jamie (Lucas Jade Zumann) begeben.

    Foto1Der 15-Jährige lebt mit seiner alleinerziehenden Mutter Dorothea (Annette Bening) und den zwei Untermietern Abbie und William in einem alten viktorianischen Haus. Abbie (Greta Gerwig) ist eine feministische und hedonistische Fotografin, William (Billy Crudup) ein alternder Hippie, der das heruntergekommene Haus renoviert. Die dritte Frau des 20. Jahrhunderts verkörpert Jamies beste Freundin Julie (Elle Fanning): zwei Jahre älter, sexuell sehr aktiv, aber bindungsgestört (Stichwort Therapeutenmutter). Fast jede Nacht übernachtet sie bei Jamie, will seine mehr als freundschaftlichen Gefühle aber nicht erwidern. Der Plot ist nun folgender: Dorothea fühlt sich mit der Erziehung ihres Sohnes zu einem richtigen Mann überfordert und bittet Julie und Abbie, positiv auf ihn einzuwirken. William aber nicht, den mag er nicht so. Und ab da passiert nicht mehr viel.

    „Jahrhundertfrauen“ ist schlichtweg nicht gut geschrieben. Unerklärlich, warum das luftig-dünne Drehbuch für einen Oscar nominiert war! Die Story holt einen von vornherein nicht ab, denn es ist völlig unklar, wo Dorotheas Problem liegt. Okay, sie hat Jamie relativ spät geboren, macht sich Vorwürfe wegen der Scheidung und kann mit seiner Punkmusik nicht viel anfangen. Aber trifft ein gewisses Unverständnis für das Pubertier nicht auf alle Eltern zu? Jamie jedenfalls ist ein absolut gutherziger Junge, der zu keinem Zeitpunkt rebelliert oder Besorgnis erregt.

    Zweites Manko ist die fehlende Handlung. Volle zwei Stunden passiert im Grunde nichts, keiner der schwelenden Konflikte wird aufgelöst. Ab und zu gelingen „Jahrhundertfrauen“ ein paar süße und komische Momente, zum Beispiel als William und Dorothea ungelenk versuchen, zu Punkmusik zu tanzen. Auf der anderen Seite gibt es diese unsäglichen Klischeeszenen, beispielsweise wenn Abbie alle Gäste am Tisch zwingt, laut „Menstruation“ zu sagen, um die Scheu vor dem Wort zu verlieren. Wow, wie edgy und fortschrittlich. Gähn.

    Filmisch hat Mills jedoch viele gute Einfälle. So schneidet er Original-Fotos des Jahrzehnts zwischen die Szenen und verwendet die Musik sehr passend, um die verschiedenen Generationen zu charakterisieren. Auch ein paar sehr kluge und poetische Zitate feministischer Literatur lässt er auf der Leinwand erscheinen. Am ungewöhnlichsten ist, dass die Charaktere selbst aus dem Off ihre Geschichte erzählen und zum Schluss als eine Art „Ich“ aus der Zukunft berichten, was aus ihnen geworden ist. Ein ziemlich cooler Kniff.

    Man kann sich bei „Jahrhundertfrauen“ eine Weile wohlfühlen in diesem nostalgischen Zeitgeist, aber nur solange, bis man merkt, dass die langatmige Story nirgendwo hinführt. Ein Film wie eine flüchtige Sommerbrise – kurzzeitig warm, aber schnell wieder weg und vergessen.

     

    In den Kinos ab: 18. Mai 2017

    Fotos: Splendid Film GmbH

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