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  • „Wir sind auf einem guten Weg“

    Georg Teichert, Gleichstellungsbeauftragter der Universität Leipzig, über Inklusion an der Hochschule

    Georg Teichert, Gleichstellungsbeauftragter der Universität Leipzig, hat zusammen mit einem Expertenteam den „Hochschulaktionsplan Inklusion“ erarbeitet, der die Uni barrierefreier machen soll. Mit student!-Redakteurin Luise Mosig hat er über Ziele und Grenzen auf dem Weg zur inklusiven Hochschule gesprochen.

    student!: Sie sind seit 2010 Gleichstellungsbeauftragter der Universität Leipzig. Was hat sich seitdem im Bereich Inklusion getan?

    Georg Teichert: Bereits im Jahr 2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Rückblickend kann man sagen, dass davon wahrscheinlich nur ein paar Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wussten. Große Veränderungen haben wir damals nicht vorgenommen.
    Im Zuge der Koalitionsverhandlungen 2014 für die jetzige sächsische Staatsregierung wurden das Thema Diversität und die UN-Behindertenrechtskonvention auf einmal wieder wichtig. Plötzlich waren die Hochschulen verpflichtet, die Konvention umzusetzen – was eigentlich schon seit 2009 hätte passieren sollen. Der Freistaat Sachsen hat dazu für alle Hochschulen 2 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt. Die Gelder kamen im ersten Jahr allerdings viel zu spät und konnten so nicht sinnvoll ausgegeben werden. Die Hochschulen waren überfordert mit der Situation und forderten das Geld teilweise gar nicht ein. Wirkliche Ideen und Konzepte gab es nicht.
    Dann hat der Sächsische Landtag auf dem Weg zur inklusiven Hochschule eine Studie in Auftrag gegeben, welche jeder Hochschule empfahl, sich ihren eigenen sogenannten „Hochschulaktionsplan Inklusion“ zu erarbeiten. Seit zwei Monaten sitzen wir in einem kleinen Expertengremium jetzt an diesem Plan, der am 03. Juli hochschulöffentlich vorgestellt wird.
    Parallel dazu wurde die Psychosoziale Beratung des Studentenwerks ausgebaut und der Blinden- und Sehbehindertenpool im Seminargebäude eingerichtet. Gerade wird am Campus Augustusplatz ein taktiles Leitsystem gebaut.

    Wird die Website der Uni Leipzig nach ihrem Relaunch im nächsten Jahr barrierefrei sein?

    Eine universitäre Homepage muss so barrierearm wie möglich sein, komplette Barrierefreiheit ist fast unmöglich. Tatsächlich ist die geplante Homepage schon ziemlich gut, bei den Dokumentvorlagen gibt es allerdings noch Optimierungspotenzial. Times New Roman ist nicht unbedingt barrierefrei. Auch die Bereitstellung beispielsweise von Erklärvideos stellt noch eine Herausforderung dar.

    Wird Inklusion Ihrer Meinung nach an der Universität Leipzig gelebt?

    Inklusion ist bei weitem noch nicht in allen Prozessen verankert, zum Beispiel wird bei vielen Renovierungsarbeiten leider noch immer nicht an Barrierefreiheit gedacht.
    Viele Studierende wissen gar nicht, was barrierefreie Lehre ist oder warum man eine PowerPoint-Präsentation im Vorfeld zur Verfügung stellen sollte. Da gibt es noch große Widerstände, doch wir sind auf einem guten Weg.
    Ich muss aber ehrlich sein: Wir werden niemals eine Hochschule sein, die jeden Studiengang für jede Behinderung studierbar macht. Das ist einfach unrealistisch. Eine blinde Person wird kein Chirurg oder Chirurgin werden. Wir können aber – und das ist unser Ziel – im Vorfeld individuell beraten. Die blinde Person wäre vielleicht hervorragend in bestimmten Bereichen der Forschung oder in der Therapie einsetzbar.

    Was wird für Studenten mit psychischen Beeinträchtigungen getan?

    Die psychosoziale Beratung des Studentenwerks wurde in den letzten Jahren deutlich ausgebaut, da die Nachfrage exorbitant angestiegen ist. Wir vom Gleichstellungsbüro haben mit der Senatsbeauftragten Frau Ammer-Wies eine Psychologin, die sowohl Studierende berät als auch Prüfungsausschüsse, zum Beispiel zu Nachteilsausgleichen. Es ist ganz wichtig, dass man die Beratungsangebote für Dozentinnen und Dozenten verbessert. Denn oft herrscht unter ihnen schlicht Unsicherheit, wann man einen Nachteilsausgleich gewähren soll und kann. Wir stehen auch in Kooperation mit dem Universitätsklinikum, um die Beratung von Studierenden mit psychischen Beeinträchtigungen zu stärken.

    Warum werden an der Uni Leipzig Lehrveranstaltungen nicht audiovisuell aufgezeichnet und dann online für Studenten zur Verfügung gestellt?

    Zum einen wären dafür personelle Ressourcen notwendig, die die Universität nicht hat. Zum anderen wollen viele Dozentinnen und Dozenten nicht, dass ihre Lehrveranstaltung aufgezeichnet wird. Zur Veröffentlichung aber bräuchte man deren persönliche Zustimmung.
    Ich persönlich denke, es sollte nicht darum gehen, einen Zwang zu generieren, sondern die Dozentinnen und Dozenten anhand von Positivbeispielen zu motivieren. Viele lehnen eine Aufzeichnung schon aus dem Grund ab, weil dann angeblich keine Studierenden mehr die Veranstaltung besuchen würden. Die Auffassung, dass eine gute Lehrveranstaltung nicht zwangsweise an hoher Anwesenheit festgemacht werden kann, sondern nur an guter Pädagogik und Didaktik, muss sich erst noch durchsetzen.

    Haben Sie ein persönliches Ziel für die Inklusionsbelange der Uni Leipzig?

    Ich hoffe natürlich, dass der Hochschulaktionsplan Inklusion im Senat verabschiedet wird und dann ans Ministerium geht. Vor allem wünsche ich mir, dass er nicht einer dieser Fälle wird, in denen man ein Konzept erarbeitet, was dann irgendwo auf einer Homepage steht, aber nicht umgesetzt wird. Der Aktionsplan soll gelebt werden. Erst wenn uns das gelingt, wird die Universität in den nächsten Jahren gewaltige Fortschritte in Richtung UN-Behindertenrechtskonvention und Inklusion machen. Von diesem Miteinander könnten sowohl Menschen mit Behinderung als auch ohne Behinderung profitieren. Das funktioniert natürlich nur, wenn sich möglichst viele für Inklusion einsetzen.

     

    Foto: Swen Reichhold

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