Recherche statt Randale
G20 Research Group überprüft die Einhaltung der Vereinbarungen
An der Sicherheitskontrolle wandern die Blicke immer wieder von meiner Bluse mit verspieltem Federmuster hinüber zu meinem Presseausweis. Die Frage, die sich jeder zu stellen scheint, wenn ich die Hamburger Messehallen betrete: Bist du hier richtig? Zugegeben senke ich den Altersdurchschnitt hier im internationalen Medienzentrum gewaltig, eine andere Hochschulzeitung scheint hier nicht vertreten. Allgemein geht es für unsere Generation ja auch eher um den Protest, ja den Versuch, der Wahrheit eine Stimme zu geben.
Doch dann stoße ich auf eine Gruppe jüngerer Menschen, ihre Arbeitsplätze ziert das Schild „G20 Research Group“. Es scheint also doch auch hier vor Ort Studenten zu geben, die sich mit den Inhalten der G7 und G20 Gipfel auseinandersetzen.
Allerdings arbeiten diese „Revolutionäre“ anstelle von Plakaten mit Zahlen. Die Initiative wurde 1987 von Professor John Kirton gegründet und hat ihren Sitz im kanadischen Toronto. Eine Gruppe aus 130 Studenten und Wissenschaftlern analysiert jährlich nach den Gipfeltreffen, inwiefern die Vereinbarungen von den einzelnen Ländern tatsächlich eingehalten wurden. Dabei werden jeweils die Schwerpunkte der Treffen identifiziert und anschließend nach einzelnen Gesichtspunkten mit einer komplexen Matrix analysiert. Je nach Erfüllung erhält das jeweilige Land Punkte. Bei Nichterfüllung -1, +1 für komplette Erfüllung. Dadurch soll einerseits die Transparenz des Gipfels gefördert und andererseits ein gewisser Druck auf die Mitgliedsstaaten ausgeübt werden. Für die generellen Vereinbarungen zum Thema „Verantwortung übernehmen“ lag der Durchschnittswert der G20-Länder bei 0,39. Das bedeutet, dass 70 Prozent der festgelegten Punkte zumindest im Ansatz erfült wurden.
„Wir wollen niemanden verärgern. Oft kann aber schon ein machtvoller Gastgeber wie dieses Jahr Deutschland einen bedeutenden Einfluss haben“, sagt Matthew McIntosh, einer der Forschenden. In Kanada absolviert der 21-jährige gerade seinen Bachelor in Politikwissenschaft, seine Mitarbeit bei der G20 Research Group weckte aber auch sein Interesses für den Journalismus. Jedes Jahr werden von der Forschungsgruppe einige Teilnehmer zu den Gipfeln entsandt, um den aktuellen Vereinbarungen auf den Zahn zu fühlen. Was passiert nach den glanzvollen Dinnerpartys und Gesprächen hinter verschlossenen Türen? Anhand genauster Recherche bei den Regierungen und Statistikorganisationen wird innerhalb eines Jahres ein exakter Katalog erstellt.
Die Ergebnisse nach den Verhandlungen im letzten Jahr zeigen beispielsweise, dass der Themenschwerpunkt Energie insgesamt die schlechteste Bilanz verzeichnet, kaum ein Mitglied der G20 konnte die Anforderungen auch nur annähernd erfüllen. Laut Matthew liegt das auch an der enormen Größe der Gruppe der Zwanzig. Bei G7 sei es demnach einfacher, Veränderungen tatsächlich umzusetzen. „Im Endeffekt muss man es als Kompromiss betrachten, der manchmal eben auch zu guten Ergebnissen führt.“
Diese Denkweise will die G20 Research Group mit ihren Publikationen auch der Zivilbevölkerung näher bringen. Leider würde den Gipfeltreffen im Allgemeinen noch viel zu wenig Aufmerksamkeit zuteil. Matthew erklärt, dass auch junge Menschen noch mehr in die Diskussion eintreten sollten, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. „Gerade wenn es um Themen wie Jugendarbeitslosigkeit geht, können wir Einfluss nehmen. Wir haben ein Recht, uns auszudrücken“.
International gesehen ist seine Organisation ein Einzelfall und damit die führende unabhängige Informationsquelle für die G7 und G20-Analyse. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum der Tisch der „G20 Research Group“ immer besetzt ist, wenn ich vorbeikomme. Zu jeder Tageszeit tippen diese jungen Leute wild auf ihre Tastaturen ein und arbeiten höchst konzentriert daran, den schwammigen Erklärungen der Politik ein Gerüst aus Fakten zu verleihen. Ich für meinen Teil finde es schön, hier mal eine andere Art des Infragestellens kennenzulernen. Bleibt nur zu hoffen, dass dieser Stimme tatsächlich Gehör geschenkt wird.
Foto: nt
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