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  • „Völlig freie Bildung als gesellschaftliches Anrecht ist eine linke These“

    FDP-Bundesvorsitzender Christian Lindner im Interview

     

    FDP-Bundesvorsitzender Christian Lindner besuchte letzte Woche die Handelshochschule Leipzig. Im „Hörsaalchat“, organisiert von der liberalen Hochschulgruppe „Freier Campus“ und den Jungen Liberalen, teilte der zweifache Start-Up-Gründer („einmal erfolgreich, einmal lehrreich“) erst seine Erfahrungen und Gedanken zur Start-Up-Gründung mit den Anwesenden und beantwortete anschließend Fragen aus dem Publikum. Mit student!-Redakteurin Franziska Roiderer sprach Lindner über Liberalismus, die momentane Situation auf dem Arbeitsmarkt und Studienfinanzierung.

    student!: Herr Lindner, Sie sind Liberaler. Die Zeit hat neulich einen Artikel veröffentlicht, in dem stand: „Der Liberalismus in den westlichen Gesellschaften schrumpft auf eine Besitzstandsideologie. Das liberale Projekt erscheint als innere Angelegenheit einer vorrangig mit sich selbst beschäftigten Elite.“ Für viele Menschen scheint insofern Ihr Entwurf des Liberalismus, Digitalisierung als höchstes Gut, Start-Up-Gründung als das neue Heilsversprechen, kaum zugänglich. Wie antworten Sie darauf?

    Lindner: Diese Denunziation des Liberalismus, diese Feullietondebatte, hat Leuten wie Trump überhaupt erst den Weg bereitet. Weil da nämlich versucht wird, gesellschaftliche und wirtschaftliche Freiheit gegeneinander auszuspielen und am Ende verliert man dann beides. Wie man im Fall Trump gesehen hat mit dieser Verrohung der Sitten, der mangelnden Akzeptanz der Gewaltenteilung und auch dieser Kommandowirtschaft, die er erstrebt. Das Anliegen des Liberalismus ist, den einzelnen Menschen stark zu machen und dafür zu sorgen, dass er im Hier und Jetzt glücklich werden kann auf die Art, wie er das will, und deshalb muss man für Bildung sorgen, die wichtigste gesellschaftliche Herausforderung, man muss den Menschen bürokratische Fesseln nehmen, und ihnen Sicherheit geben wo sie sie brauchen, damit sich die Menschen an den Staat nicht anpassen müssen, sondern der Staat an die Menschen.

    Würden Sie also Probleme wie die prekäre Beschäftigung, der gerade auch viele ehemalige Studenten nun ins Auge blicken, nicht als Problem sehen? Also quasi den Ausschluss vieler Menschen aus dem Wirtschaftssystem, bei aller Freiheit des Individuums?

    IMG_8750Wir haben in Deutschland in der Tat am Arbeitsmarkt Probleme in einer insgesamt hervorragenden Situation. Das Problem, das mich beschwert, ist die Langzeitarbeitslosigkeit, wo Menschen dauerhaft abgeschnitten sind. Denen müssen wir die Sprossen der Leiter des sozialen Aufstiegs enger machen.

    Also auch auf einem niedrigen Niveau, beispielsweise mit prekärer Beschäftigung?

    Schritt für Schritt in den Arbeitsmarkt zurückkommen. Wir haben ja einen Mindestlohn. Das heißt unter das Niveau kann ja sowieso niemand fallen, aber trotzdem Schritt für Schritt nach oben kommen weil irgendjemand muss den Lohn bezahlen sonst schaffen die Leute es nicht. Bei der befristeten Beschäftigung haben wir das Problem, dass die Studierenden, oder die jungen Berufstätigen, die heute nur einen befristeten Vertrag bekommen vor 15 Jahren im Studium noch im Bereich des Vordiploms waren. Dadurch dass alles sehr viel schneller geworden ist, durch Abi nach zwölf Jahren, Wegfall der Wehrpflicht und konsekutiven Studiengängen muss man die ersten Schritte im Berufsleben als Teil der Ausbildung begreifen. Da wird oft dann nur ein befristeter Vertrag abgeschlossen.

    „Nachgelagerte Studiengebühren“, wie sie die FDP vorschlägt: das klingt doch sehr nach dem aktuellen Studienfinanzierungsmodell in den Vereinigten Staaten, in welchem man nach seinem Studium mit einem Schuldenberg dasitzt, den man Jahr für Jahr abbezahlen muss.

    Der Vergleich mit den Vereinigten Staaten ist falsch und an den Haaren herbeigezogen. Ein Akademiker, der nicht glaubt, dass er mit seinem Beruf einige Jahre später ein Darlehen von 5000 Euro tilgen kann, das vorher sein Studium qualitativ besser gemacht hat, der muss prüfen ob er die richtige Disziplin studiert.

    Das bedeutet, dass ein Studium um des Studiums willens, eine Beschäftigung mit Themen, die nicht die größten Erträge in der Zukunft gewährleisten, in Ihrem Modell nicht vorkommt?

    Bildung ist ein öffentliches Gut. Aber irgendjemand bezahlt die Hochschulausbildung und es gibt für mich eine Verpflichtung des Individuums auf das Gemeinwohl. Menschen sind nicht die Endverbraucher ihrer Lebenschancen. Es ist eine linke These, völlig freie Bildung sei ein gesellschaftliches Anrecht: das stimmt, aber nur wenn man selber auch Verantwortung dafür übernimmt. Wenn zum Beispiel die pharmazeutisch-technische Assistentin, die ihre Ausbildung zahlt und Steuern zahlt, das Studium ihres Chefs und Akademikers voll finanziert, dann hat dieser Apotheker die Pflicht, schnell sein Studium zu absolvieren und mit der öffentlichen Ressource vernünftig umzugehen. Also diesen gesinnungsethischen Egoismus der daraus spricht zu sagen „Wir machen alles gebührenfrei“ und „wir haben keine Anforderungen an Arbeitsmarktwert“ teile ich nicht.

    Das heißt, auf Dauer werden Studienfächer wie Geschichte und Philosophie verschwinden?

    Überhaupt nicht. Das ist überhaupt nicht so. Ihr Bild der Wirtschaft hat nichts mit der Realität zu tun. Glauben Sie denn, dass in der Wissensgesellschaft heute nur Ingenieure mit Scheuklappen eine Chance haben?

    Es gibt bestimmte wissenschaftliche Forschungsfelder, die sich nicht besonders gut vermarkten lassen.

    Das sagen Sie. Das glaube ich nicht. Aber tatsächlich ist es so: Wenn man zum Beispiel Ägyptologie studiert, geht man das individuelle Risiko ein, nicht eine Professorenstelle, nicht eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu bekommen und nicht in einem Museum eine Anstellung zu finden. Und dieses Risiko geht man ein, übernimmt Verantwortung dafür oder nicht. Man kann die Gesellschaft nicht dafür verantwortlich machen. Wer Freiheit von Verantwortung loskoppeln will, wer sozusagen nur die Früchte der Freiheit genießen will ohne selbst dafür gerade zu stehen ist ein Egoist und kein Liberaler. Es gibt auch linke Egoisten, merken Sie meiner Antwort an.

    Würden Sie sich als Feministen bezeichnen?

    Ja.

    Vielen Dank für das Gespräch.

    Gerne.

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