Liebe jenseits von Geschlechtern
Filmrezension: Eine fantastische Frau
Sie jung, er alt. Kennt man. Sie Mann, er auch. Das eher weniger. Marina (Daniele Vega) und Orlando (Francisco Reyes) sind trotz der 20 Jahre Altersunterschied, die sie trennen, ein glückliches Paar. Mit einer weiteren Besonderheit: Marina ist eine transgender Frau. Sie fühlt sich wie eine Frau, kleidet und verhält sich dementsprechend, ist aber biologisch gesehen ein Mann. Für Orlando stellt dies kein Problem dar. Um mit Marina zusammen sein zu können, hat er sogar seine Familie verlassen. Doch am Abend von Marinas Geburtstag verändert sich alles. Orlando ist plötzlich nicht mehr ansprechbar, kann sich nicht mehr auf den Beinen halten und stürzt eine Treppe hinunter. Als Marina ihn ins Krankenhaus bringt, können die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen. Aufgrund von Orlandos Verletzungen wird Marina verdächtigt, seinen Tod verursacht zu haben. Orlandos Familie begegnet ihr mit Ablehnung und Misstrauen, wirft sie aus der Wohnung und verwehrt ihr den Zugang zur Beerdigung. Der Konflikt spitzt sich immer weiter zu, bis Marina nicht nur beleidigt, sondern auch körperlich angegriffen wird. Sie ist zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt, dabei will sie doch nur Eines: um ihren Geliebten trauern.
Eine fantastische Frau überrascht den Zuschauer. Denn was an Marina so fantastisch sein soll, ist am Anfang alles andere als offensichtlich. Dass sie eine Trans-Frau ist, stellt sich erst später heraus. Auf diese Weise bezieht der Film klar Stellung. Dass Marinas biologisches Geschlecht nicht von Anfang an bekannt ist verdeutlicht, dass sie sich selbst lebt und nicht ihr Geschlecht. Dies wird auch in einer Szene klar, in der sie komplett nackt auf dem Bett liegt und vor ihr Geschlechtsteil einen Spiegel hält, in dem man ihr Gesicht sieht. Den Menschen mehr ins Gesicht zu schauen als zwischen die Beine, dazu ruft der Film auf.
Dadurch, dass Marina häufig in den Fokus der Kamera gerät, wird der Zuschauer zum Nachdenken gebracht. Man bemerkt immer wieder ihr kantiges Gesicht, ihre besondere Gangart und ihre muskulösen Waden, doch bewundert gleichzeitig auch die Weiblichkeit, die sie ausstrahlt. Durch diese Gegensätzlichkeit fühlt man sich hin- und hergerissen, will sie am liebsten einem Geschlecht zuordnen und merkt dabei, wie festgefahren man in seinen eigenen Denkstrukturen ist.
Während der Zuschauer als ständiger Begleiter Marinas die agressiven Anfeindungen zu sehen bekommt, beginnt er sich in ihre doch so fremde Gefühlslage hineinversetzen zu können. Er teilt mit ihr das Unverständnis, die Wut, die Verzweiflung und die Trauer um Orlando, die sie erst am Ende des Filmes endlich ausleben darf.
Bewegend schildert der Film Marinas Schicksal und zeichnet mit ihr einen starken Charakter. Trotz der großen Mehrheit gegen sie, kämpft sie für ihre Rechte und lässt sich nicht entmutigen. Dabei kann sie auf ihre Schwester zählen, die Marina ganz selbstverständlich „mi hermana“ (meine Schwester) nennt.
Ein Film, der zum Horizonterweitern einlädt und „gut zum Zeitgeist passt“, wie der Regisseur Sebastián Lelio selbst sagt.
In den Kinos ab: 7. September 2017
Fotos: © Piffl Medien GmbH 2017
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.