Etwas zu wissen ist gut, aber alles zu wissen ist besser
Filmrezension : „The Circle“
Google + Facebook + Apple + Twitter = The Circle. So könnte die Kurzformel für die Vision einer idealen Gesellschaft lauten, die Dave Eggers in seinem 2013 erschienenen Roman entwirft und James Ponsoldt vier Jahre später verfilmt.
Der Circle vereinigt sämtliche Netzwerkdienste und schafft eine einzige Online-Identität für jeden seiner User. Er sammelt und speichert Daten, auf die jeder Registrierte später Zugriff hat. So erhält man nicht nur Auskunft über den eigenen Cholesterinspiegel, sondern auch über die aktuelle Luftqualität. Mit Hilfe von tischtennisballgroßen Webcams, die an sämtlichen Orten auf der ganzen Welt platziert sind, kann jeder User das örtliche Geschehen seines Wunschzieles live mitverfolgen. Ziel des Ganzen: Eine Welt, in der jeder Einzelne durch ständige Überwachung zu mehr Aufrichtigkeit angehalten wird. Keine Straftaten, keine politischen Lügen, der gemeinsame Kampf gegen Krankheiten und den Welthunger.
Als Mae Holland (Emma Watson) dank ihrer Freundin Anni (Karen Gillan) von ihrer 2x2m großen Büronische einer no-name-Firma zum Circle wechseln darf, ist sie überglücklich. Der Circle bietet ihr nicht nur eine bessere Bezahlung und Aufstiegsmöglichkeiten, sondern mit firmeninternen Angeboten wie Partys, Friseur, Yoga und extra Wohnungen für Mitarbeitende auch eine neue, extravagante Lebensweise. Hegt sie am Anfang noch Zweifel, was das Konzept des Circles und ihre ständig erzwungene Social-Media-Präsenz angeht, ändert sich dies im Verlauf des Films. Als Mae mit einem gestohlenen Kajak nachts zu ertrinken droht und die Notärzte es nur aufgrund der vom Circle installierten Kameras rechtzeitig zu Mae schaffen, beginnt sie für die Ideen des Circles einzustehen. Bestärkt durch ihren charismatischen Chef Eamon Bailey (Tom Hanks) erklärt sie sich dazu bereit, komplett transparent zu werden, ihre Kamera also 24 Stunden angeschaltet mit sich zu tragen. Dies hat fatale Folgen für ihr Privatleben. Als sie den hochrangigen Mitarbeiter Ty (John Boyega) kennenlernt, der der Entwicklung des Circles kritisch gegenübersteht und der Führungsspitze misstraut, spitzt sich Maes innerer Konflikt zwischen Loyalität und ihren eigenen Werten immer weiter zu.
Dieser Film greift ein spannendes und aktuelles Thema auf, das zum Weiterdenken und Diskutieren verpflichtet. Nicht nur die Ähnlichkeit der Circle-Zentrale mit dem Apple-Hauptsitz in Cupertino schafft eine Parallele zur Realität. Auch die Versiertheit des Konzerns auf das Wohlergehen seiner Mitarbeiter gehört in weltmarktführenden Firmen bereits zur Norm. Dies wirft die Frage auf, wie weit entfernt wir wirklich noch von einer „Circle-Zukunft“ sind.
Emma Watson verkörpert das anfangs von der Firma noch unbeschriebene Blatt in einer Weise, dass sich der Zuschauer von Beginn an mit ihr identifizieren kann. Im Verlauf des Films wird jedoch auch die Anti-Internet-Position von Maes altem Freund Mercer (Ellar Coltrane) immer nachvollziehbarer, sodass sich der Zuschauer die ganze Zeit im Konflikt zwischen beiden Positionen befindet und der Frage ausgesetzt ist: Auf welcher Seite stehe ich eigentlich?
Letztlich unterstützt die visuelle und musikalische Ausgestaltung das Thema geschickt. Während immer wieder aufkommende Popups Kommentare von Usern aus aller Welt zeigen, sticht die Hintergrundmusik zeitweise durch ihre auffallend modernen Klänge hervor.
Der größte Makel des Filmes zeigt sich jedoch am Ende, denn nach dem Abspann bleibt vor allem Eines: inhaltliche Unklarheiten. Wie konnte sich Ty trotz ständiger Überwachung zu einem Gegner vom Circle entwickeln? Wie war es ihm möglich Mae trotz ihrer 24 Stunden Transparenz heimlich zu treffen? Was sind die angeblichen Geheimnisse der Firmenchefs, die er aufdecken will? An dieser Stelle fehlen Erklärungen, es mangelt an genau dem, wofür sich der Film so klar ausspricht: Transparenz.
Enttäuschend fällt auch die Ausgestaltung der Rolle von Ty aus, der als typischer Gegner des Systems mehr Spannungs- und Entwicklungspotenzial in sich trägt als tatsächlich genutzt wird. Man bekommt ihn nur selten zu sehen und noch seltener zu hören. Sein Hintergrund und seine Handlungsmotivationen werden nicht völlig ausgeleuchtet.
Schließlich fällt auch das Ende des Filmes enttäuschend aus, da trotz des Chaos, das die völlige Transparenz angerichtet hat, kein Umdenken zu erwarten ist. Die Motivation für Maes Entscheidung am Ende bleibt dem Zuschauer vorenthalten.
Fazit: Unbedingt mit Freunden anschauen, um sich später über die Umsetzung, aber vor allem über das Thema auszulassen!
In den Kinos ab: 7. September 2017
Fotos: Copyright Universum Film
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