Endspurt vor großem Publikum
Debatte der Leipziger Bundestagskandidaten
Der Wahlkampf für die Bundestagswahl am 24. September hat schon vor Monaten begonnen. Wohin man sich dreht und wendet, welches Medium auch immer man zu Rate zieht, die Spitzenkandidaten auf Bundesebene sind schon da. Für diejenigen, die auch lokalpolitisch interessiert sind, hat der Radiosender Mephisto 97.6 eine Debattenrunde mit Leipziger Bundestagskandidaten der großen Parteien organisiert. Diese konnten am Montagabend im Zeitgeschichtlichen Forum für regen Zulauf sorgen. So rege sogar, dass einige Besucher wegen Platzmangel wieder nach Hause mussten. Die Weggeschickten verpassten eine Debatte, die sich in vielen Belangen spannender gestaltete als das TV-Duell zwischen Merkel und Schulz.
Bereits beim ersten Diskussionsthema „Wohnen“ gingen die Meinungen deutlich auseinander. Während die Kandidatin der Linkspartei, Franziska Riekewald, vor allem die Notwendigkeit des sozialen Wohnungsbaus hervorgehoben hat, bemängelten CDU-Bundestagsabgeordneter Thomas Feist und FDP-Kandidat Friedrich Vosberg vor allem staatliche Regulierungen der Wohnungssanierung. Einig waren sich die Kandidaten, dass die existierende Mietpreisbremse erfolglos war.
Siegfried Droese von der AfD erntete spöttisches Gelächter, als er meinte, gegen „echte, richtige Flüchtlinge“ sperre sich seine Partei nicht. Diese seien aber nur ein Bruchteil der tatsächlich in Deutschland Lebenden. Der souverän auftretende Moderator Alexander Moritz äußerte an dieser These Zweifel, konnte Droese aber nicht davon abhalten, seine Meinung zum Thema „Wohnen“ kundzutun: die Tatsache, dass in Grünau kaum noch Menschen leben, die „Müller, Meier und Schulz“ heißen, hätte dafür gesorgt, dass der Wohnraum für Leipziger verknappt würde. Ein paar Publikumsmitglieder hielten diese Aussage wohl für so überzeugend, dass sie bei dieser und auch jeder folgenden Aussage Droeses in Applaus ausbrachen.
Deutlich stärker waren allerdings die Zustimmungsbekundungen, als Riekewald den 12-Euro-Mindestlohn-Vorschlag der Linken gegen Anschuldigungen von Feist verteidigte, dieser sei „unseriös“: nur bei diesem Stundenlohn bezöge man nach vierzig Jahren Arbeit nicht nur die Grundsicherungsrente.
Auch der Verkehr in Leipzig war ein Thema, bei dem sich Unterschiede zeigten. Der Kandidat der Grünen, Volker Holzendorf, plädierte für den Ausbau von Fahrradwegen und Bustrassen. Das Auto solle nur noch in den wirklich wichtigen Fällen genutzt werden und nicht „zum Zigarettenholen um die Ecke“. Mit dieser Idee war Jens Katzek von der SPD nicht einverstanden. Er bezeichnete diese Herangehensweise als typisch für grüne „Verbotspolitik“ und schlug stattdessen sein Konzept des „Electro Valley“ vor. Dies soll Leipzig in einen Industriestandort der Elektroautomobilindustrie verwandeln. Damit tausche er allerdings, so Holzendorf, nur einen Motor mit dem anderen und löse nicht das eigentliche Problem – dass Leipzigs Straßen zu voll sind.
Gestritten wurde auch über die Kinderbetreuung. CDU-Mann Feist schlug vor, dem Kitamangel durch Förderung von Betreuungsangebote durch Tageseltern zu begegnen. Katzek forderte mehr Mittel aus dem Bund. Dafür wolle er kämpfen, in Berlin. Von links wollen Riekewald und ihre Partei das Kindergeld erhöhen, und FDP-Kandidat Vosberg möchte Steuern senken. Zudem soll die junge Elternschaft wieder positiv angesehen werden: dass man kritisiert wird, wenn man mit 20 ein Kind bekommt, ist „absurd“, so Vosberg.
Sehr hitzig wurde die Diskussion allerdings erst, als es darum ging, wie die Parteien Fluchtursachen in Herkunftsländern bekämpfen möchten: Riekewald plädierte für „partnerschaftliche Abkommen“ mit afrikanischen Staaten, die allerdings Freihandelsabkommen ausschließen müssten. Dies erschien Vosberg nicht plausibel und er erhob mit stark erhobener Stimme Einspruch. Freihandelsabkommen wie TTIP seien auch mit Afrika notwendig. Als Feist zunächst äußerte, es sei überheblich, von „Afrika“ zu sprechen, nur um nächsten Satz festzustellen „Afrika“ habe ein großes Problem mit chinesischen Handlungspartnern, löste sich die Spannung allerdings in allgemeinem Gelächter von Seiten des Publikums auf.
Für Verwunderung sorgte der parteilose Kandidat Ralf Detlef Kohl, der zwar nicht zur Diskussion eingeladen war, aber dennoch erschien und die neunzig Minuten stumm auf der Bühne sitzend verharrte. Gegen Ende warf er den Kandidaten vor, Parteisoldaten zu sein und nicht im Sinne der Wähler zu handeln. Dies wies Jens Katzek vehement zurück: natürlich müsse man sich, wenn man im Bundestag Ziele erreichen möchte, auf die Stimmen der anderen verlassen, dies mache einen aber noch lange nicht zum reinen Parteigänger.
Die Frage einer jungen Dame aus dem Publikum, wie Herr Droese dazu käme, in Sicherheitsbelangen für junge Damen zu sprechen, wurde von einer weniger jungen Dame mit „so ein Quatsch“ quittiert. Ein Großteil der altersmäßig sehr gemischten Zuschauer jedoch bestätigte den implizierten Vorwurf mit Applaus.
Auch wenn sich bei der Debatte keine grundlegend überraschenden Positionen offenbarten, wurden dem Leipziger Wahlvolk doch Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Kandidaten und ihrer Parteien anschaulich verdeutlicht und vielleicht einigen die Entscheidung am 24. September erleichtert.
Foto: Peter Komarowski
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