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    Filmrezension: Victoria & Abdul

    Wir befinden uns im ausklingenden 19. Jahrhundert. Queen Victoria ist alt, mürrisch und hat viel ihrer glorreichen Stärke als Monarchin beziehungsweise Frau verloren. Um dieses Bild der von Zeremonien gemarterten Queen zu revidieren, schafft Stephen Frears mit Victoria & Abdul einen Film, der alles ins Wanken bringt.

    Die Autorin Shrabani Basu rückt in ihrem Roman eine mysteriöse Figur ins Licht. Ein einfacher indischer Mann wird zum Munschi, ein Lehrer des Koran und der indischen Sprache, steigt in dem Machtgefüge innerhalb des englischen Königshauses die Karriereleiter hoch und lehrt die Queen auch, was eine Mango ist. Frears hat nun das Geschriebene in ein visuelles Werk der Eitelkeiten und Empire-Fanatiker umgesetzt.

    Victoria and Abdul

    Abdul Karim (Ali Fazal) kommt nach England, um der Kaiserin von Indien ein Geschenk zu überreichen. Plötzlich befreit er mit seiner lockeren und lebensfrohen Art die Queen und gleichzeitige Kaiserin Indiens, Victoria (Judi Dench), aus dem Alltagstrott einer Monarchin. Schnell steigt die Gunst der Queen gegenüber ihrem von ihr ernannten Munschi Abdul. Doch Macht geht immer einher mit Eifersucht und leider ist er ja nur ein Inder – kein Weißer, kein Engländer, kein Akademiker.

    Der Film zeigt dem Zuschauer das, was hinter den schweren Samtvorhängen eines Palastes passiert. Zwischen einem verbohrten Lord, der die Etikette zentimetergenau zu kennen weiß, und zickigen Baronessen betritt der Kinobesucher eine Welt, die beklemmend und todlangweilig ist. Kein Wunder also, dass Victoria selbst zwischen Hauptgang und Dessert am Banketttisch ein Nickerchen macht. Abdul ist wie eine Mango in einem Korb voller Äpfel. Sein Charakter besticht mit einer unkonventionellen Art, die mit der steifen und tradierten Gesellschaft kämpft. Der Zuschauer spürt das Unbehagen, das aufgrund der häufigen rassistischen Bemerkungen aufkommt.

    Victoria And Abdul

    Frears scheint ein Abbild unserer Gesellschaft in den Landsitzen Englands zu katapultieren. Die Aberkennung jeglichen Respekts gegenüber einem Menschen und der Stolz der Herkunft verhindern Abdul und vielen anderen Menschen die Anerkennung. Im Film ist es allein Victoria, die aus ihrem engen Korsett flieht und endlich etwas lernt, über ein Land, das sie zwar regiert, aber noch nie gesehen hat. Die anderen Mitglieder des königlichen Haushalts krallen sich skrupellos an ihren Vorurteilen fest. Wie das alles auf der Leinwand endet, ist vorauszusehen. Mit Victorias Tod würde auch die kulturelle Verständigung sterben. Manchmal ist der Drang fast nicht mehr auszuhalten, die Leinwand anzuschreien: “Abdul ist ein Mensch, wie ihr auch!”

    Dabei spielen amouröse Verbindungen keine Rolle. Liebe ist gänzlich außen vorgelassen in diesem Film. Anfangs hat der Zuschauer noch ein Schmunzeln im Gesicht, das aber jäh verschwindet, wenn sich das Drama der Peripetie nähert. Man ahnt das herannahende Böse und weiß um die Katastrophe.

    Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit, die aber vergessen werden sollte. Umso erfreulicher ist es doch, dass der Film nun ein neues Kapitel der Geschichte zu schrieben beginnt. Frears zeichnet somit ein anderes Bild der Grandmother of Europe und ihrer Entourage, ein Bild, dass unserer Zeit gar nicht so unähnlich zu sein scheint.

    In den Kinos ab: 28. September 2017

    Fotos: Copyright Focus Features / Peter Mountain

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