Reisereihe: Kolonialerbe und Separatismus
Unterwegs auf vier Rädern zwischen Ontario und Quebec
Mit einem Mietwagenupgrade auf einen SUV dank des freundlichen Mitarbeiters der Autovermietung ging es direkt gut los in den nächtlichen Verkehr durch den Ballungsraum Toronto. Fast 6 Millionen Menschen leben in der Metropolregion, die sich über 100 Kilometer entlang des Lake Ontario erstreckt. Gefühlt die Hälfte davon ist des Abends auf dem Gardiner Expressway Richtung Downtown Toronto unterwegs. Doch der Stop-and-go-Rhythmus bietet Gelegenheit, die beeindruckende, wenn auch zugebaute Skyline zu bestaunen, die sich auf beiden Seiten der Autobahn in die Höhe türmt.
Am nächsten Tag aber ab nach Toronto Island, einer vorgelagerten Sandbank, die zu einer Art Stadtpark gereift ist. Der Lake Ontario erscheint durch seine Größe plötzlich wie ein Ozean, bei Fast-Food-Verzehr sind aggressive Möwen inklusive. Auch für Unterhaltung ist mit einer ganztägigen Airshow von Kampfjets über der City gesorgt.
Weiter geht es in die einstige Hauptstadt Kingston, vorbei an wehenden Kanadaflaggen und für Europäer wenig nachvollziehbaren Beschilderungen, die lediglich Himmelsrichtung und Straßen- statt Ortsnamen angeben. Während der Fahrt auf dem teils zwölfspurigen Highway werden einige Dinge über die nordamerikanische Lebensrealität klar. Zum einen fährt es sich mit Automatik tatsächlich entspannter. Zum anderen ist die Verkehrsdisziplin von Brummis hier etwas ungewohnt, ihnen scheint die Straße zu gehören. Im Minutentakt überholen 40-Tonner kleine PKWs oder liefern sich gegenseitig Elefantenrennen. Und egal ob der Hinweis im Rückspiegel, dass Objekte näher erscheinen können als sie sind oder Schilder die anweisen, „nicht einmal daran zu denken“ hier zu parken, Kanada scheint außerdem eine ziemlich ausgeprägte Nanny- und Verbotskultur zu pflegen.
Die Stadt selbst fühlt sich dann sehr britisch an. Durch georgianische Häuser, Kalksteinbauwerke oder alte Festungen ist die koloniale Vergangenheit hier kein Geheimnis.
Weiter entlang des Sankt-Lorenz-Stromes dann zu den Thousand Islands. Eine Bootstour entlang der Inseln, auf denen oft nur ein Haus steht, lässt das Nachbarland sehr nahekommen. Denn mitten durch das Inselgewirr verläuft die Grenze zum Trump-Land, das sich die ganze Reise über aus sicherer Distanz wahrnehmen lässt. Besonderes Highlight: das romantische Boldt Castle. Da die Burg und die zugehörige Insel allerdings zu den USA gehören, wäre eine extra Einreise notwendig gewesen, daher blieb es bei einer Umrundung mit dem Schiff.
Nächstes Ziel: Montreal. Meine Französischkenntnisse sind mittlerweile eher eingerostet, doch ging ich auch in der Provinz Quebec von der überall im Land vorherrschenden Zweisprachigkeit aus. Umso überraschter war ich dann von der Intensität des dortigen Separatismus. Andere Verkehrsschilder, nur noch Beschilderung auf Französisch. Interessant ist auch, dass Autos in Quebec vorn kein Nummernschild haben. Bei Raserei wird von hinten geblitzt – klingt komisch, ist aber tatsächlich so. Vor allem die koloniale Altstadt Vieux-Montreal wirkt in Montreal dann aber sehr inspirierend. So richtig europäisch wird es hingegen in Quebec City, in deren Altstadt faktisch nichts mehr daran erinnert, dass man sich gerade in Nordamerika befindet.
Zurück in Ontario steht die Hauptstadt und Tech-City Ottawa auf dem Programm. Im ByWard Market, einem Stadtteil mit vielen Marktgebäuden, sind Hipster auf Longboards unterwegs, Einheimische kaufen Delikatessen in der Markthalle oder sitzen in einem der vielen irischen Pubs. Das am besten gesicherte Gebäude der Stadt scheint hier übrigens nicht das eigene Parlament, vor dem Leute Yoga machen oder Fußball spielen, sondern die US-Botschaft. Aufgrund des 150. Geburtstages des Landes gab es eine Lichtershow, die an das Parlamentsgebäude projiziert wird. Die beeindruckende und episch inszenierte Show schallte und leuchtete durch den Nachthimmel, hunderte Menschen hatten sich versammelt, um der zweisprachigen Präsentation zu lauschen, die durchzogen scheint von Patriotismus wie in „Canada is a proud and modern nation, populated by persons from all over the world“ und “I am a Canadian, a free Canadian, free to speak without fear“. Etwas wovon sich der Herr im Süden mal eine Scheibe abschneiden könnte. Dann wird es ganz still, die Maple Leaf erscheint auf der Fassade und es ertönt die Nationalhymne. Alle Menschen erheben sich und selbst als Nicht-Einheimischer gelingt es kaum, sich so viel Patriotismus zu entziehen.
Letzte Station: Niagara-Fälle. Insbesondere die kanadische Seite ist lächerlich zugebaut mit einer Skyline, die man in einem solch kleinen Ort nicht vermutet. So wirkt es beinahe wie Las Vegas: Überall Casinos, Touristen, billige Motels und alles auf Spektakel getrimmt. Nachts werden die Wasserfälle in red, white and blue angestrahlt – mehr Amerika geht nicht.
Zurück in Toronto noch schnell auf den 553 Meter hohen CN Tower. Durch den Glasboden sind sogar Selfies im Liegen möglich, sodass im Hintergrund dann beispielsweise ein Baseballspiel zu sehen ist. Beeindruckend und besonders – Kanada halt.
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