„Mehr Autonomie erhalten hat nicht funktioniert“
Erasmus-Studenten verfolgen die katalanische Unabhängigkeit
Nach dem Unabhängigkeitsreferendum Kataloniens steht eine klare Loslösung von Spanien noch aus. Der katalanische Ministerpräsident Puigdemont wurde von der spanischen Regierung aufgefordert, bis zum Donnerstag (19. Oktober) die Unabhängigkeit zu widerrufen. Währenddessen wurden am Dienstag (17. Oktober) zwei führende Unabhängigkeitsbefürworter von der spanischen Justiz festgenommen.
Um die verschiedenen Interessen und die politischen Prozesse hinter der Unabhängigkeitsbewegung Kataloniens besser zu verstehen, hat eine Gruppe von Erasmus-Studenten in Barcelona den Blog La Vinya ins Leben gerufen. Mit zwei von Ihnen, Enrique und Kilian, habe ich über ihr Projekt gesprochen. Kilian studiert Sozialwissenschaften an der HU Berlin, Enrique Philosophie an der Uni Leipzig, gleich zu Beginn ihres Auslandssemesters in Barcelona begannen die Proteste für ein unabhängiges Katalonien. Um die Sicht von Studentinnen und Studenten vor Ort in Katalonien darzustellen, wird student! in der nächsten Zeit einige Gastbeiträge der Autoren von La Vinya veröffentlichen.
student!: Was war eure hauptsächliche Motivation diesen Blog ins Leben zu rufen?
Kilian: Eigentlich hatten wir unser Erasmus-Jahr ja so geplant, dass wir am Strand unter Palmen an der Sonne liegen und schön entspannt baden gehen können. Dann haben sich aber so ein paar hunderttausend Menschen gedacht, dass sie jetzt eine Unabhängigkeitsbewegung ins Leben rufen wollen. Wir wurden von Freunden und Bekannten gefragt: Wie ist es gerade in Barcelona? Was sind denn die Hintergründe? Und dann haben wir uns gedacht, wir sollten einfach mal etwas darüber schreiben.
student!: Was bedeutet der Name La Vinya?
Kilian: Als der einzige Muttersprachler in der Gruppe den Namen La Vinya vorgeschlagen hat, waren natürlich alle überfordert. Als er dann meinte, dass es grapewine (=Weinrebe/Weinstock; Anm. d. Red.) bedeutet, hatte noch immer niemand einen Plan. Es musste erst der Song von Marvin Gaye abgespielt werden bis der Rest begriff, dass es im Englischen die Redewendung „i heard it through the grapewine“ (Zu Deutsch etwa: Es ist mir zu Ohren gekommen; Anm. d. Red.) gibt. Wir wollen etwas anderes machen: Statt es „through the grapewine“ zu hören, wollen wir direkt mit den Leuten sprechen und vor Ort Informationen sammeln.
student!: Würdet ihr sagen, dass die Mainstream-Medien, die über die Unabhängigkeitsbewegung berichten, eine zu einseitige Perspektive einnehmen?
Kilian: Das ist natürlich eine sehr böse formulierte Frage. Die spanischen Medien stellen den Konflikt häufig so dar, dass auf der einen Seite Spanien die Verfassung verteidigt und damit die Demokratie hochhält gegenüber einer nationalistischen Bewegung in Katalonien. Diese Darstellung findet man natürlich auch in Deutschland, obwohl es auch andere Perspektiven gibt.
student!: War die starke Polizeigewalt am Tag des Referendums eine Zäsur im Unabhängigkeitskampf?
Enrique: Die Zäsur gab es schon früher, als katalonische Parlamentarier von der Polizei verhaftet und als Wahlunterlagen beschlagnahmt wurden. Aber auf jeden Fall ist die Diskussion nach der massiven Polizeigewalt sehr viel emotionaler geworden.
student!: War das Referendum überhaupt legal?
Kilian: Ich bin jetzt kein Experte im spanischen Verfassungsrecht, aber das war wohl illegal.
student!: Denkt ihr, dass die katalanische Regierung dann trotzdem richtig gehandelt hat, als sie das Referendum angesetzt hat?
Kilian: 2014 gab es das erste Referendum und schon damals war klar, dass es illegal war und dass es weiterhin illegal sein wird. Aber die jetzige Regionalregierung in Katalonien ist 2015 mit dem Anspruch gewählt worden, die Unabhängigkeit auszurufen. Insofern steht die Regierung natürlich unter dem Druck, dass sie glaubwürdig dieses Ziel verfolgen muss.
student!: Würde der katalanischen Regierung ein Zugeständnis von mehr Autonomie reichen, oder will sie nun eine komplette Abspaltung von Spanien?
Kilian: In den letzten Jahren hat es in den Meinungsumfragen einen Wechsel gegeben von Autonomie zur Unabhängigkeit und einer eigenen katalanischen Nation. Das liegt wahrscheinlich daran, dass viele Leute gemerkt haben, dass die Versuche, mehr Autonomie von der spanischen Regierung zu erhalten, nicht wirklich funktionieren.
student!: Wie relevant ist die Geschichte Spaniens und Kataloniens während des spanischen Bürgerkrieges für das Verständnis des jetzigen Konfliktes?
Kilian: Wenn man mit Leuten spricht, auch mit jüngeren Leuten in unserem Alter, dann kommt man ziemlich schnell auf die Franco-Zeit zu sprechen. Hinzu kommt, dass die jetzige spanische Verfassung ein Kompromiss mit den ehemaligen faschistischen Eliten der Franco-Zeit war. Damals stand die Verfassung unter dem Credo, dass man noch einmal darüber spricht, aber heute wird sie als gesetzt angesehen.
Enrique: Was auch öfter mal auftaucht sind Bemerkungen, dass die Guardia Civil, die Polizei, die zu Franco-Zeiten sehr viele Verbrechen begangen hat, heutzutage als Institution fortbesteht. Das sind nicht dieselben Personalien, aber es hat schon eine beträchtliche Symbolkraft, wenn es die Guardia Civil ist, die am Tag des Referendums Wahllokale räumt und Stimmzettel beschlagnahmt.
student!: Vielen Dank für Eure Einschätzungen. Könnt ihr mir noch sagen, was ihr für euren Blog La Vinya demnächst geplant habt?
Kilian: Kurzfristiges Ziel ist es, eine stabile Internetverbindung zu diesem Blog einzurichten. Langfristig wollen wir auch mehr diejenigen zu Wort kommen lassen, die gegen die Unabhängigkeit sind, weil wir bis jetzt größtenteils nur mit Unabhängigkeitsbefürwortern gesprochen haben.
Enrique: Ein weiterer Themenschwerpunkt der sich gewünscht wurde, ist der Begriff Nationalismus im Kontext der Unabhängigkeitsbewegung. Wie kann man Nationalismus hier verstehen? Dazu kommen noch O-Töne und kleine Videoschnipsel der allgemeinen Stimmung hier, obwohl das natürlich kein allgemeines Bild sein kann.
Bilder: La Vinya
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