Lost in Synchronisation
Das DOK-Festival am 4. November 2017
Ich gebe es zu. Normalerweise bin ich nicht so der Typ für schwere Filme. Wenn ich ins Kino gehe, will ich mich in die unvergleichlich gemütlichen Sitze kuscheln, unverblümt Popcorn mampfen und außergewöhnlich erheitert werden, vorzugsweise in Begleitung. Klingt beschränkt, trifft aber leider auf mein Kinoverhalten zu. Doch zum diesjährigen Jubiläum des Leipziger DOK-Filmfestivals sprang ich über meinen Schatten, ich ging zum ersten Mal allein ins Kino – ohne Aussicht auf Happy-End-Filme.
Schwarze Leinwand. Man hört ein Telefonat auf Französisch, Untertitel erscheinen auf Englisch. Hin- und hergerissen, welche Sprache ich denn nun besser beherrsche und auf welche ich mich konzentrieren soll, verpasse ich den halben Inhalt. Anfangs hat das Ganze dann etwas von einem Horrorfilm, man hört es knistern und knacken in der Leitung und jedes Atmen der Sprecherin ist zu hören. Cleaning Schaerbaek besteht allgemein komplett aus den Aufnahmen der Künstlerin Farah Kassem, die aus ihrer Brüsseler Wohnung die Geschehnisse auf der Straße kurz vor dem Terroranschlag 2016 einfängt. Immer wieder werden Telefonate mit dem örtlichen Rathaus eingespielt, in denen die aus dem Libanon stammende Farah ihre Angst über mögliche Verdächtige äußert. Oft wird die Leinwand dunkel, man hört nur Sirenen oder das Hinunterwürgen einer Tablette. Dieses schwere, angstvolle Atmen, das Unverständnis der Behörden für die Geflüchtete, alles wirkt bedrohlich echt. Kein Horrorfilm, aber alltäglicher Horror. Eigentlich noch schlimmer.
Doch es bleibt keine Zeit, das Gesehene zu verarbeiten, unmittelbar folgt Burka Songs 2.0. Das Thema ist ein anderes, aber nicht minder aktuell und nicht minder real. Die Schwedin Hanna Högstedt machte sich selbst zum Projekt auf dem Pariser Champs-Élysée. Trotz Frankreichs öffentlichem Verschleierungsverbot postuliert sie sich in Burka auf der Straße und brüllt lautstark die französische Nationalhymne in die Massen. Leider geht es bei dem Film aber weniger um das Bildmaterial selbst, sondern um die Aufarbeitung dessen. In 45 Minuten analysiert die Künstlerin in intimen Gesprächen mit Mitwirkenden das Erlebte. Auch hier wird mein Sprachzentrum herausgefordert, schwedische Sprache wird mit Englisch untertitelt. Das Thema an sich bleibt spannend, doch so recht zum Punkt scheint niemand kommen zu wollen, zu komplex sind die Gedanken um weißen Stolz und den persönlichen Umgang mit dem Fremden.
Im Nachhinein gibt es eine Fragerunde mit den beiden Filmemacherinnen. Ein Amerikaner steht auf, dankt für die wunderbaren Filme und äußert seine Überraschung, dass Europa immer noch so verfahrene Denkmuster hat, er hätte die Denkmuster hier so viel offener eingeschätzt. Zuerst möchte ich ihn und sein gerolltes Ami-Englisch nicht für voll nehmen, doch später wird mir klar, wie Recht er hat. Gerade durch die Kombination der beiden Filme wird bewusst, was Furcht aus den Menschen macht. Egal ob in Frankreich, Belgien oder Deutschland, das Thema der Abgrenzung ist derzeit so präsent wie vielleicht nie zuvor. Ich gehe aus dem Kinosaal und fast fühlt es sich doch an, als hätte ich gerade einen Horrorfilm gesehen.
Nach einem Kaffee gegen meine sprachliche Verwirrung geht es kurz darauf zu einem anderen Punkt auf dem Globus. Slaughter Youth House und Time To Read Poems stammen aus dem asiatischen Raum und behandeln völlig unterschiedliche Themen. Hier geht es nicht um das große Ganze, sondern um den Einzelnen und seine Gefühle. Während Wang Yang Peng im ersten Film auf verstörende Weise das Studentenleben von sechs chinesischen Brüdern darstellt, beschäftigt sich Soojung Lee danach mit ganz unterschiedlichen koreanischen Charakteren und deren Suche nach Identität. Alle sind sie gefangen im gesellschaftlichen Leben und dem Leistungsprinzip. In Korea erzählen die Befragten von ihrem persönlichen Hamsterrad, der Enttäuschung und der lang ersehnten Entschleunigung durch die Poesie. Von der Bildgestaltung könnten die Werke verschiedener nicht sein. Die Bilder aus dem chinesischen College sind schnell, düster und verwirrend, in Korea wirkt alles wie in Zeitlupe und aufpoliert. Soojung Lee steht nach dem Film ebenfalls für Fragen auf der Bühne und erklärt von ihrer Idee, dass Kunst den Menschen ankommen lässt. Im Film wurden immer wieder Gedichte rezitiert, die dem Zuschauer ebenfalls ein Gefühl der Ankunft vermittelten. Trotzdem die Künstlerin auf Englisch nicht immer gleich die Worte findet, strahlt sie selbst die gleiche Ruhe und Kraft aus. Wie ein Mantra scheint sie sagen zu wollen: Nehmt euch die Zeit, es ist euer Leben. Und ich war umso glücklicher, mir die Zeit und den Mut für das DOK-Festival genommen zu haben, wenn auch nur für einen Bruchteil des Programms. Tatsächlich konnten mich die Filme überzeugen, dass Kino auch mit schweren Themen faszinieren kann. Nur mit Untertiteln werde ich mich im Kino wohl nie so recht anfreunden können.
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