Das Ende vom 60. DOK-Kinoerlebnis
Das DOK-Festival am 5. November 2017
Der letzte Tag des DOKs birgt große Überraschungen, obwohl alle Entscheidungen über Preisträger, Zuschauerlieblinge und das beste Popcorn der Stadt getroffen sind.
Manchmal scheinen die Animationsfilme beim DOK etwas zu kurz zu kommen, obgleich es ein Festival für Dokumentar- und Animationsfilme ist. Deswegen ist es eine wahre Freude, sich nach der Angst vor endgültiger Überschattung durch Dokumentationen die viertteilige Serie Nach der Angst von animierten Kurzfilmen anzusehen. Ich habe zwei Teile der Reihe gesehen und man kommt sich vor, als würde man eine dieser Überraschungstüten öffnen, aber der Inhalt ist tausendmal hochwertiger. Die nette Kuratorin der Filmreihe erklärte mit angenehmen Wienerischen Akzent alle Titel und deren Regisseure. So angefüttert konnte man bei Nach der Angst 2 eine Mischung aus Dystopie und Utopie ansehen. Dabei entsteht eine bunte Stunde aus abstrakten und figürlichen Filmchen. Am unterhaltsamsten war wohl Atomi im Gespräch mit Doktor Schmidt (Keine Angst vorm Atom, Jon Frickey) und die Welt von Logorama (David Alaux), eine Stadt komplett geschaffen aus Logos.
An diesem Sonntag ging es dann bei Nach der Angst 4 um das Kernproblem: die Angst selbst. Jan Ŝvankmajers Down the Cellar ist verstörend, weil die Ängste aus der Kindheit wieder aufkochen. Ein Mädchen muss in den Keller. Der erschütternde Film von Maryam Kashkoolinia zeigt einen Mann, der für sein Abendessen einen Tunnel graben muss und fast stirbt vor Todesangst. Es bleibt nicht nur bei Fiktion, sondern es war die Realität vieler Menschen aus dem Gaza zur Zeit der Blockade. Und zu guter Letzt eine Analogie zum Holocaust? Kleine Frauen aus Bindfäden, die in einem Waggon eingesperrt sind, werden sukzessive aufgewickelt und verschwinden (Body Memory von Ülo Pikkov) – ruhig, präzise und so angsteinflößend.
Ein gelungener Abschluss am Wochenende fand für mich im kleinen, alternativen Kino der Nato, Cinémathéque, statt. Dort empfängt kein Popcorngeruch sondern Metal den Zuschauer. Abgesehen davon erwartet ihn ein Kurz- und ein Langfilm aus dem Internationalen Wettbewerb. Der Kurzfilm All I Imagine spielt in Portugal. Er zeigt die Menschen dort, die manchmal zwischen Hotelressorts und Strandliege untergehen. Mit einem starren analytischen Blick verfolgt Leonor Noivo 30 Minuten lang zwei Teenager. Eine ist aus Afrika und muslimisch. Der andere ist Portugiese und ein echter Lebemann. Sie verlieben sich, können es sich aber nicht sagen. Es klingt kitschig, ist aber ein mitreißender Film, der viel Spielraum zur Interpretation offen lässt.
Konrad ist Pole und sieht seinen Lebenssinn darin, etwas Besonderes zu machen, in den Erinnerungen anderer einen Platz zu finden und hervorzustechen aus der Gesellschaft. Call me Tony von Klaudiusz Chrostowski ist ein dokumentarisches Meisterwerk. Mit schnellen Schnitten, die unerwartet sind und oft auch Komik erzeugen, ist es eine Bühne für Konrad, seiner Darstellungssucht gerecht zu werden und gleichzeitig wird der Film zum Dokument der Rückschläge und der Enttäuschungen. Konrad spricht nicht einmal zur Kamera und der Regisseur wird zum stillen Beobachter, der einfängt, was Konrad will und nicht will. Schauspieler, und Bodybuilder – das will Konrad sein. Wahrgenommen als Sieger gefällt er sich am besten. Doch eventuell spielt er selbst der Kamera etwas vor. Seinen Vorbildern Robert de Niro oder Tony Montana eifert er stets nach und weiß, welche Bilder den Zuschauer packen.
Somit endet die letzte Filmvorführung in der Cinémathéque. Das Beste kommt eben immer zum Schluss. Deswegen ist es auch die beste Stelle, um sich den diesjährigen Preisträgern zu widmen. Die Goldene Taube gewinnt die Dokumentation Licu, A Romanian Story von Ana Dimutrescu. Eine Biographie über den 92-jährigen Licu, der seine Erinnerungen des vergangenen Jahrhunderts teilt. Der beste Kurzfilm im internationalen Wettbewerb heißt Megatrick (von Anne Isensee). Jetzt ist es leider wirklich vorbei und die Kinos kehren zur Normalität zurück.
Titelfoto: Aus „Megatrick“ von Anne Isensee (Wenn man versucht, sich auf seine Ziele im Leben zu konzentrieren und gerade darauf zuzusteuern.)
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.