Fast wie selbst gemolken
Zwei von acht geplanten Frischmilchautomaten in Leipzig aufgestellt
Jeden Morgen um 5 Uhr laufen mehr als 400 schwarz-weiß gefleckte Milchkühe mit vollen Eutern in den Melkstand der landwirtschaftlichen Genossenschaft Agrarprodukte Kitzen, 20 Kilometer vom Augustusplatz entfernt. 50 Meter weiter zapfen gerade zwei Studenten der Uni Leipzig je einen Liter dieser Milch in große Glasflaschen: „Für Panirkäse, den ich selbst herstellen möchte“, sagt Felix Pridöhl, einer von ihnen. Wegen einer Unterrichtsveranstaltung der Veterinärmedizinischen Fakultät hat er die Gelegenheit bekommen, an der Milchtankstelle in Kitzen die frische Milch zu kaufen. In seiner vegetarisch-veganen WG versucht er normalerweise weitestgehend auf das tierische Produkt zu verzichten, aber „ich weiß nun, wie die Kühe hier gehalten werden und ich finde es wichtig, dass das Geld direkt beim Bauern landet und nicht bei den Zwischenhändlern“, sagt er. Bald wird er dafür nicht mehr aus Leipzig herausfahren müssen.
Seit zwei Jahren gibt es vor dem Kitzener Milchviehstall einen Rohmilchautomaten. Dieser steht in einem bunt bemalten Häuschen an der Einfahrt des Betriebsgeländes in Sichtweite zum Stall, „damit die Menschen sehen, wo ihre Milch herkommt“, sagt Stephan Viehweg, Leiter der Anlage. Damals war der Milchautomat der erste im Landkreis. Für einen Euro plus 50 Cent für eine wiederverwendbare Glasflasche gibt es einen Liter Milch. Teurer als im Supermarkt, dafür aber frisch vom Hof und noch komplett unbearbeitet: „Schmeckt einfach besser“, meint Viehweg. Der Nachteil: Vor dem Verzehr muss die Milch daheim abgekocht werden und ist nur drei Tage haltbar. Das Konzept, mit dem sich die Agrargenossenschaft ein Stück weit unabhängiger vom schwankenden und niedrigen Milchpreis machen wollte, der aktuell bei etwa 37 Cent pro Liter liegt, ging dennoch auf: Täglich werden hier bis zu 60 Liter Milch gezapft, weitere 350 Liter Milch kommen aus dem etwas neueren Automaten vor dem Stall in Großzschocher hinzu. Milchtankstellen sind keine Seltenheit mehr: 41 solcher Selbstzapfanlagen gibt es laut sächsischem Landesbauernverband derzeit im Freistaat, stets jedoch nur für Rohmilch direkt am Hof.
Die Kitzener gehen nun einen Schritt weiter und bringen ihre Milch zu den Menschen in die Stadtteile: Am letzten Oktoberwochenende eröffneten sie den ersten Frischmilchautomaten Leipzigs und gleichzeitig ganz Sachsens. Ebenfalls in Großzschocher, aber statt vor dem Stall vor dem Kaufland in der Anton-Zickmantel-Straße 42. Mittlerweile ist ein weiterer Automat am Kaufland in Gohlis hinzugekommen. Bis Jahresende sollen sechs weitere folgen, unter anderem auf dem Marktplatz in Schkeuditz und vor weiteren Kauflandmärkten. Maximal zwölf Stunden vergehen, bis die Milch nach dem Melken im Automaten landet, sagt Viehweg, der findet: „Das Selbstzapfen ist das besondere Erlebnis, was beim Kauf abgepackter Milch nicht gegeben ist.“
Damit das in Automaten abseits vom Hof erlaubt ist, muss aus der Rohmilch Frischmilch werden, die Emulsion also 30 Sekunden lang auf 73 Grad erhitzt werden. Eine so pasteurisierte Milch ist gekühlt mindestens fünf Tage haltbar – und kann ohne erneutes Abkochen direkt aus dem Automaten getrunken werden.
Für die Pasteurisierung bauten die Kitzener eine eigene kleine Molkerei auf dem Hof. Hinzu kamen unter anderem die Kosten für Transportbehälter und Automaten. Finanziert wurde das 700 000 Euro teure Projekt zum Teil durch Leipziger Bürger selbst, die Anleihen kauften und nun für 1,40 Euro pro Liter im Stadtgebiet Kitzener Milch zapfen können. Zum Küheschauen bleibt ihnen der Weg aufs Land dennoch nicht erspart.
Fotos: Agrarprodukte Kitzen e.G. / Sophia Neukirchner
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