Nicht nichts
Die November-Kolumne
Die Mensa ist ein magischer Ort. Nicht nur, weil man hier von Nudeln bis Auberginenpaste so ziemlich jede Lebensmittelkombi auf diesem Planeten erstehen kann. Gefühlt versammelt sich in der Mensa am Park auch die halbe Welt. Mittlerweile treffe ich hier sogar Menschen, die ich nicht aus Leipzig kenne. So knuffte mich neulich beim Tablett-Rugby zur Stoßzeit unerwartet eine Freundin aus Abi-Zeiten in die Seite. Es war logischerweise viel zu eng, daher blieb nur Zeit für ein sporadisches „Was machst du jetzt eigentlich?“ und ihre schnelle Antwort, die mich völlig aus der Bahn warf: Nichts.
Als ich einige Sekunden später einen Platz ergattert hatte, realisierte ich das Gehörte. Und ich wurde neidisch. Denn ich bin nicht so ein Mensch. Ich plane alles, jeden Tag und jede Stunde, das Wort „nichts“ hat in meinem Terminkalender schlichtweg nichts verloren. Das kann praktisch sein, wenn es um Deadlines geht. Das kann einem aber auch den studentischen Zauber rauben. Eigentlich ist ja alles ganz locker, die Woche beginnt erst Montagmittag und spätestens Donnerstagabend ist man durch mit den Verpflichtungen.
Doch genau das ist mein Problem. Freiheit ist für mich ein wahres Dilemma. Klar liebe ich meine langen Wochenenden und natürlich bin ich in der Lage, mich selbst zu organisieren. Wenn es dann aber darum geht, mir Zeit für ein bisschen Nichts freizuschaufeln, scheitere ich. Selbst wenn ich für Wochenendausflüge vorarbeite, packt mich spätestens Samstag das schlechte Gewissen. Lücken im Terminkalender? Hört sich für mich an wie Lücke im Lebenslauf. Womit meine alte Freundin auch keine Probleme zu haben scheint. Dafür hat sie einerseits meine vollste Bewunderung, aber seit diesem Tag auch meine Dankbarkeit. Denn durch ihr zufriedenes, aufgeregtes Grinsen wurde mir endlich bewusst, dass „Nichts“ etwas Schönes ist.
Ich kenne ja diesen Satz „Mach dich doch mal locker“ und die Zitate über die besten Momente, die eben nur ungeplant geschehen. Aber scheinbar brauchte ich genau dieses verschmitzte Grinsen, um zu verstehen, dass ich durch Loslassen nicht gleich zur Rebellin werde. Es bedeutet nur, am Rande der schweren Entscheidungen des Lebens auch mal völlig bewusst in den Wolken zu schweben. Das beweist mir schon der nächste Nachmittag, an dem ich mir nach der Uni spontan noch einen Smoothie aus dem Gedränge schnappe und mich mit einem Buch in die Sonne setze. Ich sag ja, die Mensa ist magisch.
Foto: Nathalie Trappe
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