Lou Reed oder warum der Sonntag heilig ist
Die Sonntagskolumne
Es sind seltene, magische Momente, in denen ich den richtigen Zeitpunkt gekommen fühle, Sunday Morning von Velvet Underground aufzulegen. Wenn ich zum Beispiel an einem Sonntag, nach kräftig durchzechter Nacht, mit schwerem Schädel und leichtem Blues aus meinem Zimmer geschlichen komme, um mit meiner WG, die für mich ein wenig geworden ist wie eine kleine Familie, zu frühstücken. Wenn wir dann beisammensitzen und nicht sprechen, oder über Unzulänglichkeiten, dann ahne ich, dass jetzt ein solcher Augenblick gekommen ist.
„Sunday Morning brings the dawn in / it’s just a restless feeling on my mind“ wabert Lou Reeds gehauchte Stimme über den Frühstückstisch und zum Küchenfenster hinaus in die frische Morgenluft. In diesen Moment weiß ich, dass es gut ist, dass es Friede ist, und dass ich heute mit Sicherheit gar nichts mehr tun werde.
Sonntage sind für mich heilig. Nicht aus religiösen Gründen, zumindest nicht aus den klassischen, sondern beinah schon aus Protest. Immer mehr habe ich das Gefühl, dass wir das Nichtstun verlernen. Das Bedürfnis fühlen – ob unbewusst oder bewusst – uns abzulenken mit Fernsehgucken, Lesen, Essen, Arbeiten. Aus der Reizüberflutung unserer heutigen Gesellschaft zu entkommen wird schwieriger und schwieriger. Werbebanner prangen, wo man geht und steht, unsere Leistungsmoral fordert zu mehr auf und immer mehr und wohin man blickt eine neue Versprechung, ein neues Verlangen.
Da halte ich es für gesund, sich von Zeit zu Zeit ganz entschieden dem Müßiggang zu widmen. Nicht zu schaffen, nichts zu tun. Nichts zu brauchen, nicht zu sein. Hätte ich mir nicht strikt den Sonntag dafür auserkoren, fiele mir das manchmal sehr schwer. Aber deshalb passiert an meinem Sonntag nichts, aber auch rein gar nichts. Und wüsste ich, dass montags die Welt unterginge, ich würde doch am Sonntag kein Abfallbäumchen mehr pflanzen.
Viel lieber schließe ich die Augen. Das eifrige Klappern der dreckigen Müslischalen erfüllt heute nicht wie sonst sofort die Ruhe meiner Küche, auch mein Tisch will heute unaufgeräumt bleiben; die Möbel seufzen. Nur Lou Reeds letzter Vers zieht in leisen Schwaden noch immer durch die entschwindenden Räume meines Bewusstseins…“there’s always someone who will call / it’s nothing at all“.
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