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  • Die Kunst des Aufschiebens

    Die Sonntagskolumne

    Eigentlich müsste ich ja lernen. Andererseits fallen mir aber auch ein Dutzend Dinge ein, die ich lieber tun würde. Und der Abwasch ist auch wieder überfällig…

    So beginnt bei mir fast jeder Abend, den ich mir fürs Lernen eingeräumt habe. Zuerst beantwortet man die Mails (wegen Moodle war ich sowieso schon online und es dauert nur zehn Minuten), dann wird spontan beschlossen, die Küche zu putzen und wenn ich schonmal dabei bin, kann auch gleich gekocht werden. Mit leerem Magen lernt es sich schließlich schlecht. Und dann ist es plötzlich zehn Uhr abends. Da lohnt es sich ja gar nicht mehr, mit dem Lernen anzufangen. Aber morgen… ja, wie ich mich kenne, eher doch nicht. Trotzdem ist das wahrscheinlich der Satz, den ich mir in der Vorexamenszeit am häufigsten selbst vorlüge. Dicht gefolgt von „Mach’ ich gleich“ und „Es reicht auch, wenn ich das nächste Woche anfange.“ Leider braucht man diese Phrasen, um seine Selbstvorwürfe („Warum hast du es wieder nicht gemacht?“) irgendwie im Zaum zu halten.

    Da ist es nur ein schwacher Trost, wenn es anderen ebenso ergeht. In irgendwelchen nebenbei belauschten Gesprächen kann man zur Zeit oft die Frage hören: „Und, hast du schon mit dem Lernen angefangen?“, darauf die Standardantwort „Nein, noch nicht, und du?” – „Ich auch noch nicht”. Es folgt ein von Selbsthass erfülltes Schweigen und meist ein sofortiger Themenwechsel.

    Dieses auch als Prokrastination bezeichnetes Aufschieben lässt sich aber nicht mit Faulheit gleichsetzen. Es ist eher der Versuch, eine unangenehme Aufgabe vor sich herzuschieben, indem man auf andere Weise produktiv wird. Das ärgerliche daran ist, dass man merkt, wie man sich selbst im Weg steht, aber nicht wirklich etwas dagegen tun kann. So sucht man im Internet lieber nach „Zehn Wegen, sich selbst zu motivieren“, weil es einem zumindest das Gefühl gibt, etwas gegen das Problem zu unternehmen. Natürlich gibt es auch Menschen, die in der Lage sind, Aufgaben dann zu erledigen, wenn sie es sich vorgenommen haben. Ich gehöre jedenfalls nicht dazu. Bei mir ist immer die alt bekannte „Torschlusspanik“ notwendig, um ordentlich in die Gänge zu kommen. Oder man findet einen anderen Weg, die Aufschieberitis zu behandeln. Zum Beispiel könnte man sich mit jemandem zum Lernen treffen, von dem man weiß, dass die Person nicht an derselben Krankheit leidet. Andere zu enttäuschen fällt oft schwerer, als sich selbst.

    Das Belohnungsprinzip mag einigen auch helfen, aber ich neige dann immer sehr zum „so, jetzt habe ich zehn Minuten Vokabeln gepaukt, dann kann ich jetzt auch ein wenig zocken.“ Und dann wird „ein wenig“ zu „Jetzt lohnt es sich auch nicht mehr, nochmal anzufangen…“

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