„Radio muss intelligenter werden“
Christian Bollert studierte Journalistik an der Universität Leipzig und ist Gründer und Geschäftsführer von detektor.fm. Ein Gespräch über die digitale Zukunft des Radios.
„Heute ist unser Notstrom-Aggregat das erste Mal in acht Jahren zum Einsatz gekommen“, empfängt uns Christian Bollert an einem von Orkantief „Friederike“ verwehten Donnerstag im hippen Studio von detektor.fm in Plagwitz. 2009 gründete Bollert zusammen mit zwei Studienfreunden den Internet-Sender. Sie nahmen hohe Kredite auf, um Radio nach ihren eigenen Vorstellungen zu machen. Heute sendet detektor.fm zweimal täglich live, ist einer der führenden Podcast-Anbieter in Deutschland und hat zahlreiche Preise gewonnen, unter anderem den Deutschen Radiopreis in der Kategorie „Beste Innovation“ 2012. student!-Chefredakteurin Luise Mosig sprach mit Bollert über Risikobereitschaft, das Potential von Podcasts und die Zukunft des Radios.
student!: Podcasts haben bei euch einen hohen Stellenwert. Worin liegt deren Potential?
Bollert: Podcasts haben den großen Vorteil, dass sie sich thematisch sehr konkreten Themen widmen können, zum Beispiel haben wir einen Fahrrad-Podcast und einen Gaming-Podcast. Ähnlich wie in einem Magazin kann man Themen auswählen, die man im klassischen Radio in der Regelmäßigkeit und Tiefe meist nicht behandeln kann. Natürlich ist man so auch für Werbekunden interessant.
Das Erzählerische, Serielle ist eine zweite Stärke von Podcasts und macht meiner Meinung nach deren Reiz aus. Wenn ich einen Podcast starte, produziere ich ja nicht nur zwei oder drei Folgen, sondern versuche, möglichst viele Episoden zu bringen. Dadurch baut sich eine Verbindung zwischen Hörer und Moderator auf, die anders ist als im klassischen Radio.
Der Hörer bekommt auf einer emotionalen, zwischenmenschlichen Ebene viel mit. Wenn jemand 60 Minuten lang über ein Thema redet, dann kommt immer mehr als die reine Information. Man könnte es mit einer Kolumne vergleichen – sehr persönlich, individueller. Eine weitere Stärke ist, dass sich Podcasts inhaltlich aufeinander beziehen können und Hörer, die an der Thematik vielleicht stärker interessiert sind, sich die Episode von vor einem Jahr nochmal anhören können. Auch kann man Bonusmaterial in den Podcast einbauen, für das man in einer Sendung von sieben Minuten Länge einfach keinen Platz hat.
Podcasts werden auch immer wichtiger, weil sich das Mediennutzungsverhalten in den letzten Jahren stark verändert hat. Immer mehr Leute konsumieren audiovisuelle Medieninhalte über mobile Endgeräte, anstatt damit nur ihre E-Mails zu checken und WhatsApp zu nutzen.
Genau dieselbe Individualisierung und Segmentierung findet auch im Radio-Bereich statt, mobile Nutzung wird immer wichtiger. Ein Podcast ist ein sehr schönes, demokratisches Format – jeder, der will, kann einen Podcast veröffentlichen. Es ist sehr einfach, einen Podcast anzulegen, dafür muss man kein Technik-Spezialist sein. Man muss nur Spezialist sein für das Thema, über das man redet.
Ihr arbeitet laut eigener Aussage an der „Zukunft des Radios“. Wie sieht die für euch aus?
Ohne Podcasts wird es gar nicht mehr gehen. Nichtdestotrotz glaube ich weiterhin an die Live-Sendungen. Es ist immer noch cool, das Radio früh einzuschalten und jemanden sprechen zu hören, der auch die Musik für einen aussucht. Der Hörer muss sich nicht selbstständig eine Playlist zusammenstellen oder sich in die Hand eines Musik-Streaming-Dienstes begeben.
Radio muss sich in Zukunft auch anpassen und intelligenter, durchsuchbarer werden.
Die Geräte, die jetzt auf den Markt kommen – intelligente Lautsprecher wie Amazon Echo oder Google Home – sind eine neue Herausforderung für Radiomacher.
Plötzlich hält Bollert inne und richtet seinen Blick aufs Fensterbrett, das vor lauter Trophäen von Preisverleihungen kaum noch zu sehen ist. „Alexa, spiele detektor.fm!“ – Der intelligente Lautsprecher braucht nur wenige Sekunden, und schon klingt das Nachmittagsprogramm des Senders durch den Raum.
Bollert: Die Leute müssen natürlich erstmal auf die Idee kommen, zu sagen, „Spiele detektor.fm!“ und nicht „Spiele Radio Eins!“ oder „Spiele Deutschlandfunk!“.
Das sind alles Fragen, mit denen sich klassische Radiosender bisher kaum beschäftigt haben, so nach dem Motto: „Wir haben eine große Antenne und damit erreichen wir eh alle Leute, die wir erreichen wollen.“ Diese Zeiten sind meiner Meinung nach vorbei. Man muss mit digitalen Geschäftsmodellen arbeiten. Bisher war es so, dass man den Sender einschaltet, der einen am wenigsten nervt – beim Autofahren zum Beispiel. Im Netz ist es völlig anders: Da höre ich das Radio, was mir am besten gefällt. Unsere Aufgabe ist es, gefunden zu werden von Leuten, die uns bewusst hören wollen. Das funktioniert nur, wenn man glaubwürdiges, hochwertiges Programm macht.
Ihr versteht euch als deutschlandweites Medium. Was hat der Standort Leipzig für euch zu bedeuten? Ihr könntet ja genauso gut in Hamburg oder Berlin sitzen.
Könnten wir, genau. Vor der Gründung 2009 gab es die Überlegung, entweder in Berlin oder in Leipzig zu starten. Für Leipzig sprach damals, dass alle Gründer auch hier gelebt haben. Dann ist es so, dass Leipzig als Standort in Deutschland relativ gut angebunden ist. Mittlerweile bin ich mit dem ICE in drei Stunden in München und in einer Stunde in Berlin.
Wir fühlen uns alle sehr wohl in Leipzig und finden, dass es eine lebenswerte, lebendige Stadt ist, die sich natürlich immer weiterentwickelt und ihre Probleme hat – man muss ja nur mal aus dem Fenster gucken.
Beim Blick nach draußen sieht man die Weiße Elster. Gegenüber des Kanals ziehen riesige Baukräne schicke Apartementkomplexe in die Höhe. Die Gentrifizierung lässt grüßen.
Bollert: Wir sitzen hier am Wasser und haben ein ganz cooles Büro – ob das auf Dauer so sein wird, wissen wir nicht. Es entstehen immer neue Wohnungen, aber Leipzig bietet noch sehr viel Platz. Im Vergleich zu Berlin oder Hamburg ist das also Jammern auf niedrigem Niveau. Aus meiner persönlichen Perspektive hat Leipzig immer noch einen besonderen Charme.
Ich fahre auch oft und gern Fahrrad und schätze deshalb sehr, dass man schnell im Grünen ist. Man muss nicht stundenlang mit der S-Bahn zur Endstation fahren, sondern kann sich selbst aufs Rennrad schwingen und ist in einer Viertelstunde komplett raus aus der Stadt.
In eurem Redaktionskodex steht, dass „regelmäßige Kritik am eigenen publizistischen Produkt und Lernbereitschaft zum Selbstverständnis des Senders gehören.“ Wie äußert sich das, habt ihr da routinierte Abläufe?
Zum Kritiküben nutzen wir die Redaktionskonferenzen, die einmal im Quartal stattfinden. Dort besprechen wir auch, was vielleicht intern strukturell gerade nicht so gut läuft.
Im Redaktionsalltag praktizieren wir ein relativ klares Eins-Zu-Eins-Feedback. Mein nächster Termin heute ist tatsächlich, mir die Produktion für diesen Samstag anzuhören und meine Meinung dazu abzugeben.
Ein- bis zweimal jährlich treffen wir uns auch zu einer richtigen Klausurtagung, wo wir uns einen Tag Zeit nehmen und uns in einen Seminarraum – zum Beispiel am Cospudener See – einschließen. Dort stellen wir uns Fragen wie: Wo soll die Reise hingehen? Welche neuen Ideen für Podcasts gibt es? Feedback und Kritik an unseren Formaten spielen dann eine große Rolle.
Bleibt als Geschäftsführer neben der ganzen Buchführung und Finanzplanung eigentlich noch Zeit für wirkliche journalistische Arbeit?
Ich bin eigentlich ganz zufrieden, da ich noch oft selbst Podcasts produziere. Dafür blocke ich mir dann auch schonmal eine ganze Woche, in der ich nur inhaltlich arbeite. Hier und da moderiere ich auch noch eigene Sendungen, zum Beispiel, wenn mal jemand krank wird. Ich bin sehr präsent im Programm – wenn ich nicht unterwegs bin, bin ich jeden Morgen bei der Redaktionskonferenz dabei.
Aber natürlich sitze ich auch mal einen halben Tag an der Monatsabrechnung oder treffe mich mit der Bankberaterin oder dem Steuerberater. Glücklicherweise haben wir aber Leute, die für uns die Buchhaltung machen, sodass wir die wirklich sehr unangenehmen Sachen mittlerweile ausgelagert haben. Durch meine organisatorische Arbeit kann ich den anderen den Rücken freihalten und detektor.fm so weiterentwickeln.
Dass es uns nach acht Jahren überhaupt noch gibt und wir jeden Tag professioneller werden, ist wirklich cool. Aus einer anfangs spontanen Idee heraus ist ein Podcast-Label und On-line-Radio entstanden, das sich selbst trägt.
War es denn wirklich eine Art Schnapsidee?
Naja, Schnapsidee möchte ich es nicht nennen, aber wir wussten natürlich überhaupt nicht, ob das funktionieren wird. Wir sind anfangs volles Risiko eingegangen. Es hätte auch gut sein können, dass wir nach einem Jahr sagen: „Sorry, das geht gar nicht, wir verdienen nicht einen Cent, niemand hört uns und es gibt überhaupt keine Perspektive.“ Als privatwirtschaftliches Unternehmen stellen wir uns die Frage, ob wir weitermachen können und wollen, tatsächlich regelmäßig.
Um ein solches Risiko einzugehen, gehört sicher eine Portion Mut dazu. Hat sich dieser Mut gelohnt?
Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, zu gründen. Ich glaube, für die, die länger bei uns mitgemacht haben, war und ist detektor.fm eine echte berufliche Weiterentwicklung. Wir haben alle Dinge gemacht, die wir woanders noch lange nicht machen dürften und haben damit sehr viel erreicht. Und das meine ich wirklich ernst: Ich glaube, dass wir mittlerweile ein sehr professioneller Anbieter in diesem Bereich geworden sind und dass viele Leute auf uns gucken – so nach dem Motto: „Na, wie macht denn detektor.fm das?“. Dies zeigt einem schon, dass der Mut damals auf jeden Fall richtig war. Für mich persönlich war es die beste berufliche Entscheidung, die ich je getroffen habe.
Einblicke in die detektor.fm-Räume:
Fotos: Anne-Dorette Ziems
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