Sinfonie gegen den Prüfungsblues
Leipziger Universitätsorchester beeindruckt mit gelungenem Semesterabschlusskonzert im Gewandhaus zu Leipzig und schafft es so, ein wenig Klassik in unsere sonst eher moderne Hochschulzeit zu bringen.
Es gibt da diese Playlist auf Spotify – „Instrumental Study“. Tatsächlich finde ich es ungemein entspannend, mich beim Lernen von klassischer Musik umspielen zu lassen. Vergangene Woche wurde diese Playlist am Hauptcampus dann Realität. Das Universitätsorchester spielte meist um die Mittagszeit kleine Kostproben ihres Repertoires, um das bevorstehende Semesterabschlusskonzert anzukündigen. Am Sonntag konnte ich dann beim Betreten des Großen Saals im Gewandhaus Zeugin davon werden, dass ihre Werbung erfolgreich war. Befürchtete man zum eigentlichen Beginn um 18 Uhr noch spärlich besetzte Reihen, wurden die Sitze nach Vergehen des akademischen Viertels dann plötzlich alle gefüllt. Tatsächlich besteht das Publikum an diesem Abend auch überwiegend aus Studierenden, ein eher ungewöhnliches aber erfrischendes Bild im Gewandhaus.
Dann betreten die Musiker die Bühne, platzieren sich in Anzügen und anmutig wirkenden schwarzen Kleidern und warten auf ihren Dirigenten, Frédéric Tschumi. Es folgt eine kurze Stille, eine Kunstpause bevor dieser den Raum über die Seitentür betritt, durch welche er im Laufe des Abends einige Male ein- und ausschreiten soll. Im ersten Teil gibt es das „1. Konzert für Violine und Orchester“ von Sergej Prokofjew zu hören. Den doch eher freizeitmäßigen Klassikfans wie mir sagt dieser 1891 geborene Komponist vielleicht nicht viel, dem Programm ist sogar zu entnehmen, dass dieses eines seiner eher unbekannten Stücke ist. Nichtsdestotrotz bin ich beeindruckt. Beeindruckt nicht nur vom Stück, sondern besonders vom Solo. In türkisblau glänzender Robe schreitet Dorothea Stepp auf die Bühne. Die Studentin der Musikhochschule „Hanns Eisler“ Berlin spielt eine Violine aus dem Jahr 1727 und das auf unglaublich filigrane Art. Das ganze Stück über wird man getragen von einem Wechselspiel mit dem Orchester und von einzelnen Abschnitten, in denen man sich auf dem sanften Solospiel treiben lassen kann. Dabei ist nicht nur der harmonische Klang der Streicher ein wunderbares Spektakel für die Sinne, sondern auch die Bewegung auf der Bühne. Man mag denken, Klassikkonzerte wären fürs Ohr und nicht fürs Auge gemacht.
Doch dem Uniorchester merkt man an diesem Abend an, dass sie eins sind, dass ihre Gruppe zusammengehört und nicht nur irgendein starres System darstellt. Immer wieder ist mein Blick gefangen in den fließenden Wellen, in denen die Musiker ihre Köpfe zur Musik gleiten lassen und in der interessanten Mimik, die dabei auf jedem einzelnen Gesicht auftaucht. Es fühlt sich beinahe an, als wären alle in diesem Saal kurz abgetaucht in eine andere Welt.
Nach der Pause geht es dann ohne die Solistin mit der „Sinfonie Nr. 5“ von Dmitri Schostakowitsch weiter. Dieses Werk wurde von seinem sowjetischen Komponisten einst als Spiegel der Geschichte verfasst. Gegliedert in vier Sätze soll es das Durchleben der schwierigen Zeiten in der Sowjetunion vertonen. Im Vergleich zum ersten Teil des Konzerts erklingen jetzt härtere Melodien. Nun kommen auch die Musiker in den hinteren Reihen um Einsatz, Paukenschläge und das Klingen der Triangel werden vermehrt zum Motiv, der Pianist spielt rhythmische Teile ein. Dieses Mal fühlt es sich vielmehr an wie eine musikalische Reise als nach einer klanglichen Umarmung, wie ich sie vor der Pause noch wahrnahm. Tatsächlich merke ich dass hier eine Geschichte erzählt werden soll, immer wieder werde ich überrascht von neuen Einsätzen oder schlagartigen Stimmungswechseln. An manchen Stellen kann ich dann kaum noch nachvollziehen, wie der Dirigent das Orchester mit so einem Tempo im Zaum halten kann. Auch der Zuschauer wird hineingezogen in diese tosende Erzählung aus Tönen und wünscht sich beinahe, der Abend möge nie vorbeigehen. Da aber nun mal alle schönen Dinge irgendwann enden, ertönt irgendwann der fulminante Abschluss. In mehreren Aufgängen ist es nun das Publikum, das tosende Klänge erzeugt. Immer und immer wieder verschwindet Tschumi durch seine Seitentür, immer wieder erhebt sich das Orchester dankbar und immer wieder erhalten sie ebenso dankbaren Applaus. Ein derart atemberaubendes Aufgebot an Klassik wird den meisten Studierenden nur selten zu Teil.
Daher gilt zumindest meine Dankbarkeit auch den Mitgliedern des Uniorchesters, die allesamt ehrenamtlich jedes Semester ein Stück einstudieren und damit ein bisschen Klassik in unsere moderne Zeit zurückbringen. Ich habe das Gefühl, von der Musik an diesem Abend ein wenig eingehüllt worden zu sein, fast wie in einen klanglichen Wattebausch der Ruhe. Der Weg ins Gewandhaus war an diesem Abend ein perfekter Gegenpol zur Zerrissenheit und Angespanntheit der Prüfungszeit, sicher nicht nur für mich. Hier wurde man beruhigt, besänftigt und bekräftigt – und das völlig ohne Worte.
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