Aus dem Alltag einer Physik-Masterandin
Die student!-Sonntagskolumne. Diese Woche fühlt sich Kolumnistin Anne von den Zellen, die sie für ihre Masterarbeit verwendet in die Neunziger zurückversetzt.
Dass ich eine Nineties-Bitch bin, ist mir ja schon lange bewusst. Musik-Streaming ist völlig an mir vorbei gegangen. Ich bin immer noch CD- und Kassettenbesitzerin und ja, ich schmeiße die auch regelmäßig in meinen Walkman. Außerdem habe ich es verpasst, Choker und Scrunchie aus meinem Accessoire-Fundus zu verbannen. Zum Glück sind die jetzt wieder voll im Trend. Aber nun hat noch ein alter Bekannter zu mir zurück gefunden: das Tamagotchi.
Für meine Masterarbeit in Biophysik halte ich nämlich Zellen in Kultur. Und die Zellen erinnern tatsächlich ein bisschen an das beliebte japanische Elektronikspielzeug, welches Ende der Neunziger weltweit populär war. Die wollen regelmäßig mit Zucker und Proteinen „gefüttert“ werden. Man muss darauf achten, dass sie nicht zu dicht beieinander wachsen, sie können auch „krank“ werden, nämlich mit Bakterien infiziert, und wenn man nicht aufpasst, dann sterben sie. Und das will ja keiner. Deswegen kümmere ich mich jetzt fürsorglich um einen Zellhaufen, den ich nicht mal richtig sehen kann. Letzten Freitag meinte mein Betreuer dann, dass wir jetzt eine meiner Zellfläschchen „weghauen“, weil die zu dicht gewachsen sind und ich hätte ja noch die andere Flasche mit einer niedrigeren Zellkonzentration. Das würde locker für die nächsten Experimente reichen. Wow, kleiner Schockmoment. Da habe ich mich dabei ertappt, wie ich echt mindestens so enttäuscht war wie in dem Moment, als mein Tamagotchi aus Kindertagen „gestorben“ ist. Nur dass tote Zellen keinen reset-Knopf haben.
Jetzt sind Semesterferien. Ich muss zwar keine Prüfungen mehr absolvieren, aber eine Rucksackreise durch Südostasien ist trotzdem nicht drin, denn Montag stehe ich wieder auf der Matte (okay, im Labor) und gebe den Zellen Zucker.
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