Sich ein Herz fassen
Mit 21 Jahren benötigte Babett plötzlich ein Spenderherz. Monatelanges Warten blieb ihr wie durch ein Wunder erspart. Viele andere haben nicht so großes Glück, denn Spenderorgane sind Mangelware.
Man könnte Babett als junge Frau beschreiben, die vom Schicksal herausgefordert wurde, als sie mit 21 Jahren plötzlich ein neues Herz brauchte. Oder sagen, dass ihr bezauberndes Lächeln jeden umwirft und sie eine inspirierende Stärke ausstrahlt. Natürlich ist sie all das, aber noch viel mehr. Man kann diese junge Frau nicht nur auf ihre Krankheit reduzieren, auf das Schicksal, dass sie vor acht Jahren getroffen hat und gezwungen hat, zu kämpfen. Babett ist ein Mensch wie du und ich. Jeden kann es treffen. Jeder kann krank werden und irgendwann auf eine Organspende angewiesen sein.
Mit nur 21 Jahren hat Babett auf ihr Herz gewartet. Wahrscheinlich ist das Herz, mit dem sie geboren wurde, durch eine lange Erkältung immer schwächer geworden. Irgendwann hatte es nur noch eine Leistung von acht Prozent. Babett war gerade mit ihrer Ausbildung zur Informatikerin fertig und wollte alles sein – jung, unabhängig, frei – eigentlich alles, außer krank. Aus einer verschleppten Erkältung wurde eine Krankheit des Herzens. Nachdem sie in der Leipziger Uniklinik aufgenommen wurde und einen kurzen Aufenthalt in der Charité in Berlin hatte, wurde klarer: sie braucht irgendwann ein neues Herz. Aus dem „irgendwann“ wurde schnell ein „jetzt“. Entgegen aller Statistiken bekam Babett schon nach drei Monaten ein gespendetes Herz. Monatelanges Warten blieb ihr erspart. Trotzdem waren dies keine leichten Monate, sondern eine Zeit des Wartens und Bangens. Zu sehen, wie die Herzleistung ihrer noch so jungen Tochter vom einen auf den anderen Tag rapide sank, ihr Leben an Maschinen hing und die Ohnmacht gegenüber der Krankheit immer stärker wurde – all das war für ihre Eltern schwer zu verkraften. Doch Babett erzählt, dass diese Zeit sie noch enger zusammengebracht hat.
Nach der Herztransplantation war zwar das Schlimmste überstanden, aber es folgte ein mehrwöchiger Krankenhausaufenthalt und darauf eine Rehabilitation. Doch auch nach den drei Wochen Rehabilitation bleibt die Transplantation ein alltägliches Thema. Es folgen Jahre voller regelmäßiger Arztbesuche und Medikamente. Auch heute, acht Jahre nach der Transplantation, muss Babett noch 15 Tabletten am Tag einnehmen.
Entscheidend ist die Entscheidung
Laut einer Statistik des Universitätsklinikums Würzburg liegt die durchschnittliche Wartezeit für Herz-, Lungen- und Lebertransplantationen in Deutschland zwischen sechs und 36 Monaten. Diese Zahlen variieren allerdings je nach Blutgruppe des Empfängers und Dringlichkeit der Spende. Am Ende des letzten Jahres standen in Deutschland 724 Menschen auf der Warteliste für ein Herz, im Jahr zuvor wurden allerdings nur 286 Herzen transplantiert. Es wäre leicht, das alles auf den Organspendeskandal in Deutschland von 2013 zu beziehen. Damals wurde aufgedeckt, dass an mehreren Krankenhäusern medizinische Werte der Patienten verändert wurden, damit diese schneller ein Organ zugeteilt bekommen. Jedoch gab es bereits drei Jahre zuvor erste Rückgänge in den Zahlen. Im Schnitt rettet ein Organspender in Deutschland mit den Organen, die ihm entnommen werden, drei Menschenleben. Monatlich werden durch Todspenden so etwa 350 Leben gerettet – ein drastischer Rückgang verglichen mit den letzten Jahren.
„Natürlich ist der Vertrauensverlust durch den Organspendeskandal ein Problem, aber wenn man die Bevölkerung dazu befragt, dann sind 80% für die Organtransplantation und damit konsequenterweise auch für die Organspende“, erklärt Prof. Dr. Daniel Seehofer. Er ist Chirurg und arbeitet seit 2016 am Universitätsklinikum Leipzig als Leiter des Transplantationszentrums.
80 Prozent der Deutschen befürworten Organtransplantationen. 68 Prozent sind nach eigener Aussage bereit, nach ihrem Tod zu spenden. 28 Prozent der Deutschen haben einen Organspendeausweis. Zahlen, die nicht zusammenpassen. Schließlich zwingt der Besitz eines Organspendeausweises nicht zur Spende, sondern fordert nur eine Stellungnahme. Seehofer stimmt zu: „Auch ‚Nein‘ ankreuzen ist eine absolut legitime Meinungsäußerung. Das Wichtige ist, dass man sich entscheidet.“ Und dies festhält. Sollte irgendwann der Ernstfall eintreten, müssen sonst Verwandte in einer schon emotional belasteten Situation entscheiden, ob die Organe verwendet werden dürfen oder nicht. Viele Angehörige denken noch Jahre über ihre Entscheidung nach. Hätten sie nicht doch durch das Spenden der Organe einer Person wie Babett das Leben retten können?
Das Problem liegt in den Kliniken
Der Rückgang der Organspenden begründet sich aber nicht allein durch die geringe Anzahl an Personen mit Organspendeausweisen. „Das Problem liegt in den Kliniken, es werden uns weniger potenzielle Spender gemeldet“, erklärt Axel Rahmel aus dem Vorstand der Deutschen Stiftung Organspende (DSO).
Seit 2012 hat jedes deutsche Krankenhaus einen gesetzlich vorgeschriebenen Organspendebeauftragten. Dieser ist dafür verantwortlich, dass genug Informationen über Organtransplantation für Ärzte und Patienten verfügbar sind, dass nach Regeln der DSO gehandelt wird und Angehörige informiert und im Entscheidungsprozess unterstützt werden. Seehofer erklärt, dass es trotzdem „Schwierigkeiten bei der Spenderidentifizierung“ gibt. Sieben Prozent der Kliniken in Deutschland haben in den letzten neun Jahren kein einziges Organ gemeldet. Probleme bei der Bereitstellung und Erkennung von Spenderorganen haben viele Ursachen. Seehofer zufolge werden viele Organspender von den Organspendebeauftragten gar nicht identifiziert und können so ein lebensrettendes Organ gar nicht spenden. Dadurch gehen viele Spender auch aus organisatorischen Gründen verloren. Je kleiner die Klinik, desto seltener kommen die Organspendebeauftragten auch in Kontakt mit Organspende und die alltägliche Relevanz ist nicht mehr vorhanden.
Während das Verpflanzen der Organe in den Körper eines Spenders in Deutschland durchaus lukrativ ist, ist das Entnehmen häufig ein Minusgeschäft, das vor allem für kleine Kliniken schwer zu tragen ist. Für jede Operation bekommen Krankenhäuser eine Behandlungspauschale von der jeweiligen Krankenkasse gezahlt. Für Organentnahmen liegt diese laut Seehofer bei 4.000 bis 5.000 Euro. Hierbei werde nicht genug beachtet, was für ein aufwändiger Prozess die Behandlung sei und dass jede Klinik während des Prozesses natürlich das Bett nicht belegen könne. Personal sei beschäftigt, ein OP-Raum müsse freigehalten werden. Es sei kostenintensiv und die Gesamtkosten sind wahrscheinlich, wenn man es rein betriebswirtschaftlich betrachtet, durch die Organspendepauschale nicht abgedeckt. Sollte der Prozess der Organspende abgebrochen werden müssen, bekommen die Krankenhäuser manchmal auch nur 500 Euro, die „wahrscheinlich den finanziellen Ausfall, den ein Krankenhaus hat, wenn es einen Organspender von Anfang bis Ende auf der Intensivstation betreut, nicht ausgleichen.“
Ein Leben schenken
Die Angst vor dem Tod ist allgegenwärtig. Sie ist nicht Teil des Alltags, aber manchmal kommt sie auch in jungen Jahren ganz unerwartet. Der Tod ist ein Teil des Lebens. Kaum eine Wissenschaft ist so sicher wie die Medizin. Wenn man tot ist, dann ist man tot. Man kann den Begriff Hirntod anzweifeln und hinterfragen, ob man Organe spenden möchte. Entscheidend ist die Entscheidung. Auf meinem Organspendeausweis steht schon seit langem ein Kreuz bei „Ja“. Wenn ich nur noch durch Maschinen lebe, und sterbe, wenn diese abgestellt sind, warum soll ich dann nicht noch etwas Sinnvolles tun? Die letzten Minuten meines Lebens einen Akt der Nächstenliebe vollziehen. Einer anderen Person das Leben schenken, das mir nicht mehr möglich ist. Mein Herz schlägt weiter und gibt einem anderen Menschen die Chance weiterzuleben. Einem Menschen wie Babett, die heute sagen kann: „Letztendlich habe ich das Herz bekommen, damit ich weiterlebe!“
Den Organspendeausweis zum Ausdrucken oder Bestellen gibt es zum Beispiel unter www.organspende-info.de oder bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Titelfoto: privat
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