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  • Denken für Anfänger

    Arm oder reich, Mann oder Frau, dumm oder schlau – wir neigen dazu, andere Menschen in Schubladen zu stecken. Manchmal hilft es, seine Gedanken einfach vorbeiziehen zu lassen.

    Manchmal denkt man sich Sachen hinzu, die gar nicht da sind. Das geht blitzschnell! Da ist eine Situation, die wir analysieren und dann bewerten. Da sind tausend Schubladen in unserem Kopf, die geöffnet werden und in welche, die einzelnen aus unserer Umgebung aufgenommenen Informationen einsortiert werden. Die Rädchen rattern und dann ist es da: Das Urteil! Wir beurteilen nach gut oder schlecht, lecker oder ungenießbar, dumm oder schlau, links oder rechts, Freund oder Feind.

    Eine bekannte Geschichte habe ich folgendermaßen interpretiert: Eva aß vom Baum der Erkenntnis und in Folge dessen wurden Adam und Eva aus dem Paradies verbannt, denn sie hatten erkannt, dass sie Mann und Frau waren. Vorher waren sie nur Mensch. Die erste Kategorie war entstanden, nämlich die Einteilung in Mann und Frau. Damit begann das ganze Schlamassel. Seitdem erkennen wir, analysieren und beurteilen wir, geben Situationen einen Namen und entwickeln zahlreiche Schubladen. Seitdem gibt es  Vergleiche, Minderwertigkeitskomplexe und Arroganz. Es gibt das Gute und das Schlechte. Ohne dieses Erkennen ginge es lediglich um das „Sein“. Situationen wären einfach nur das, was sie auch tatsächlich sind, und nicht das, was sich in unserer Gedankenwelt dazu abspielt.

    Sicher kennt ihr solche Momente, in denen wir nicht so reagieren, wie wir es uns im Nachhinein gewünscht hätten. Einen dieser Momente erlebte ich vor zwei Jahren in Frankfurt. Meine Mutter und ich gingen gerade von einer Demonstration für fairen Freihandel zu unserem Auto, als wir an einer Gruppe von Männern mit Migrationshintergrund vorbeikamen. Einer davon rief uns hinterher, warum wir demonstrieren. Wir gingen, ohne zu antworten.

    Kolumnistin Alisa Öfner

    Kolumnistin Alisa Öfner

    Als Außenstehender gibt es sehr viele Möglichkeiten, diese Situation zu bewerten. Eine ist, wir sind Rassisten, die mit Männern mit Migrationshintergrund nicht reden. Eine andere Möglichkeit ist, ich war so überrascht von der Frage und von der Situation, sodass ich nicht wusste, wie ich antworten sollte.  Im Nachhinein habe ich mich oft geärgert, warum ich nicht geantwortet habe. In meinen Gedanken habe ich dem Mann erklärt, warum mich das Thema der Demonstration interessiert hat und warum ich es wichtig finde, zu demonstrieren. Im gleichen Moment hatte ich Angst, denn es gab in diesem Jahr auch Demonstration gegen Flüchtlinge und ich dachte, dass er mich vielleicht für eine von diesen Demonstranten hielt . Zudem hatte ich seine Frage als Beleidigung aufgefasst.  „Warum soll demonstrieren etwas Schlechtes sein?“, dachte ich. Ich hatte mich mit dem Thema umfassend auseinandergesetzt und fand, dass ich dagegen demonstrieren müsste. In jenen Sekunden zog eine Reihe von Gründen durch meinen Kopf. Am Ende ging ich schmollend ohne ein Wort an den Männern vorbei. Tatsache ist, dass dieser Mann nicht gesagt hat, dass Demonstrieren etwas Schlechtes ist. Vielleicht war er einfach nur neugierig und ich fühlte mich umsonst angegriffen .

    Fehlinterpretationen und Fehlurteile passieren nicht selten, wahrscheinlich sogar jeden Tag. Es macht keinen Sinn, mir selbst Vorwürfe zu machen. Mittlerweile kann ich darüber und über meine Unsicherheit schmunzeln. Ziemlich menschlich, oder nicht?

     

    Fotos: privat

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