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  • „Glaube als heilsame Selbstbeschränkung“

    Universitäten sind religionsneutrale Institutionen, sagt Alexander Deeg, Professor für Praktische Theologie an der Uni Leipzig. Nichtsdestotrotz darf Religion in der Wissenschaft eine Rolle spielen.

    Seit sieben Jahren ist Alexander Deeg Professor für Praktische Theologie an der Universität Leipzig. Mit student!-Redakteurin Franziska Roiderer hat der evangelische Theologe über positive Verflechtungen von Glaube und Wissenschaft, die Funktion des kürzlich eröffneten Paulinums und die ethischen Grenzen des menschlichen Handelns gesprochen.

    student!: Welche Rolle kann der Glaube heute noch in Forschung und Wissenschaft spielen?

    Deeg: Diese Frage ist nicht leicht zu behandeln, da sie in der Geschichte immer wieder zu riesigen Missverständnissen geführt hat. Man meinte viel zu oft, von Seiten des Glaubens aus die Freiheit der Wissenschaft einschränken zu müssen. Auf der anderen Seite meinte man, ein Glaube sei generell hinderlich und problematisch für die Wissenschaft. Das sind die beiden problematischen Extreme.

    Auf der positiven Seite glaube ich, dass der Glaube eine heilsame Selbstbeschränkung für alle Wissenschaft bedeuten kann. Dort wo Menschen agieren, besteht immer die Gefahr einer gewissen menschlichen Hybris, mit all den dramatischen Folgen und Konsequenzen, die daraus hervorgehen. Diese Übersteigerung des Eigenen hat zu Unmenschlichkeiten geführt, ich erwähne nur die rassistische Ideologie als einen Aspekt davon. Der Glaube konnte hier und kann in Zukunft die Chance bieten, ein kritisches Korrektiv einzuzeichnen: Es gibt Grenzen für das, was Menschen machen können, vielleicht auch tun dürfen, damit sie immer noch zum Wohl dieser Welt agieren. Das könnte sich dann auf die Wissenschaft als ein permanentes ethisches Korrektiv auswirken.

    Auf was beziehen Sie sich konkret?

    Zum Beispiel auf die Frage: Was ist Leben und wie gehen wir mit Leben um? So kann man ethisch hinterfragen, was geht, was wir wollen, und was sich für Probleme ergeben, wenn wir irgendwann nur noch perfektes Leben auf die Welt bringen wollen.

    Im theologischen Diskurs begegnet seit ein paar Jahren der Begriff der „öffentlichen Theologie“. Dabei geht man davon aus, dass die Sprache von Gläubigen öffentlich nicht immer gut vermittelbar ist, da sie nicht gemeinsam in der Gesellschaft geteilt wird ist. In einer religiösen Situation wie der im Osten Deutschlands kann zum Beispiel ein Gottesbezug nicht vorausgesetzt werden. Die große Aufgabe besteht darin, dass Argumente, die Menschen in ihrem Glaubenssystem für überzeugend halten, so kommuniziert werden, dass sie auch im öffentlichen Diskurs verstanden werden.

    An der Universität sind Theologen bei medizinethischen Fragen durchaus in ethischen Kommissionen beteiligt, und das ist auch eine Arbeit, die gestärkt werden soll. In vielen Punkten, zum Beispiel am Ende des Lebens, am Anfang des Lebens oder bei der Organtransplantation, kommen wir immer wieder in Bereiche, die wir gemeinsam diskutieren müssen. Dies gilt allerdings auch für aktuelle gesellschaftspolitische Fragen. In der Bibel steht beispielsweise: „Du sollst den Fremden nicht bedrängen, denke daran, er ist wie du“.  Das ist eine Perspektive, die in unsere Diskurse um Migration eingebracht werden kann.

    Dennoch wird die Kirche häufig als eher reaktionäre Kraft in solchen Fragen wahrgenommen.

    Man muss wirklich deutlich machen, dass die Kirche in Deutschland ein sehr pluraler Haufen ist. Wir können zwar gemeinsam Gottesdienste feiern, in gesellschaftspolitischen Fragen können wir jedoch sehr unterschiedlicher Meinung sein. Die Frage nach dem Umgang mit Homosexualität ist eine der Fragen, in denen wir uns uneinig sind. Ich bedaure dezidiert einige Aussagen und Haltungen, die von Kritikern homosexuellen Zusammenlebens in unserer Kirche getroffen worden sind. Aber das sind Diskursprozesse, die ihre Zeit brauchen. In manchen Fragen agiert die Kirche zeitversetzt und braucht länger als der gesamtgesellschaftliche Konsens, in anderen schreitet sie aber auch voran. Man denke an umweltethische Fragen, bei denen die Kirche stets vorne mit dabei ist.

    Wie reagieren Sie auf die Kritik am Komplex „Universitätskirche“?

    Der Raum ist bewusst als Hybridraum geschaffen worden. Er ist einerseits Aula der Universität, andererseits ist er räumlich komplett eine Kirche. Und drittens ist er eine Art Konzertraum der Universität. Die Herausforderung wird nun in der Nutzung des Raumes liegen. Ich bin als Christ gerne bereit, Veranstaltungen, die sich mit Religion kritisch auseinandersetzen, darin ebenso zu tolerieren, wie ich umgekehrt erwarte, dass andere tolerieren, dass dieser Raum eben auch eine Kirche ist und als solche genutzt wird. Man muss bedenken, dass wir aufgrund der Geschichte der Universitätskirche in Leipzig eine besondere Konstellation haben. Ich denke, auch konfessionslose Studierende erkennen das Unrecht der Sprengung der ehemaligen Universitätskirche. .

    Die Popularität, die der Raum momentan genießt, die übervollen Gottesdienste, dies alles zeigt, dass die Entscheidung, eine Kirche wieder aufzubauen, absolut richtig und für Stadt und Universität wichtig war.

    „Fundamentalismus belastet den Religionsdiskurs“

    „Fundamentalismus belastet den Religionsdiskurs“

    Der christlichen Religion wird an der Universität trotz steigender religiöser Diversität ein überproportional großer Raum gegeben.

    Ohne die Geschichte der gesprengten Kirche wären wir bei der Gestaltung eines religiösen Raumes definitiv zu anderen Ergebnissen gekommen. Die jetzige Gestaltung als Hybridraum ist genuin mit unserer Leipziger Geschichte verbunden. Ich wäre der Letzte, der sich der Diskussion um andere Räume beispielsweise für Muslime verweigern würde, wenn diese denn gefordert würden.

    Die positive Religionsfreiheit gebietet, dass Menschen an den Orten, an denen sie sich befinden, ihren Glauben leben können. Auch in der Universität, die insgesamt dennoch eine absolut religionsneutrale Einrichtung ist. Selbstverständlich darf und muss auch das Phänomen Religion in der Wissenschaft eine Rolle spielen und kritisch untersucht werden.

    Dennoch treten Missverständnisse auf, wenn sich vor allem Naturwissenschaft und Theologie vermengen.

    Die skurrilsten Verkehrungen treten dort auf, wo die Bibel als Buch gesehen wird, das uns die Naturwissenschaft erklären könnte. Da meinen manche, die Welt sei tatsächlich in sechs Tagen geschaffen. Durch solchen Fundamentalismus wird der Diskurs über Religion belastet. Viele der besten Naturwissenschaftler sind sehr fromme Menschen. Als Theologen haben wir die Aufgabe, gegen diese Missverständnisse zu arbeiten.

    Gerade Naturwissenschaftler erkennen jedoch die Grenzen der eigenen Welterklärungsversuche.

    Verschieben sich aber nicht die Grenzen des Erklärbaren regelmäßig?

    Ich glaube nicht, dass Gott der Lückenbüßer für noch nicht erkannte wissenschaftliche Bereiche ist. Für mich liegt die Gottesfrage auf einer kategorial anderen Ebene. Ich kann mit vollem Bewusstsein und gerne bekennen, dass Gott der Schöpfer dieser Welt ist, und genauso gerne sagen: Die Evolutionstheorie erklärt uns natürlich, wie die Entstehung des Menschen genau gelaufen ist. Die Idee von historischer und naturwissenschaftlicher Wahrheit kam mit der Neuzeit tatsächlich erst auf. Daher ist religiöser Fundamentalismus auch ein neuzeitliches Phänomen. Auf einmal werden diese beiden Bereiche auf problematische Weise übereinander gelegt. Das ist für den Autor des biblischen Schöpfunglobs überhaupt nicht die Perspektive gewesen. Wenn die Bibel von dieser Welt berichtet, will sie innerhalb des Denkrahmens ihrer Zeit auf Gott als den Urgrund hinaus. Die Bibel wollte niemals mit wissenschaftlicher Exaktheit die Entstehung der Welt erklären, sondern lobt mit ihren Schöpfungserzählungen Gott als den Urgrund und die Zukunft. Diese kategorial andere Ebene beeinflusst aber wiederum alles weitere Denken.

    Für die Wissenschaft bedeutet das: der Glaube setzt ethische Grenzen, aber keine kognitiven?

    Genau. Im Gegenteil, der Glaube freut sich daran, wenn Menschen ihre kognitiven Fähigkeiten, die religiöse Menschen als von Gott gegeben erkennen, in Freiheit nutzen – freilich immer, sodass sie zum Wohl der Menschen eingesetzt werden. Manchmal kann und muss man daher fragen, ob alles was man erforschen könnte, auch erforscht werden muss. Aber das würden auch nichtgläubige Menschen an ähnlichen Punkten ganz genauso hinterfragen.

     

    Fotos: Universität Leipzig

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