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  • „Wir wollten lieber untergehen, als uns zu verkaufen“

    Der ehemalige student!-Chefredakteur Kevin Grecksch erzählt von langen Endredaktionssitzungen, Differenzen mit dem StuRa und Übernahmeangeboten durch die Konkurrenz.

    Kevin Grecksch war von 2003 bis 2008 bei student! aktiv, als Leiter des Hochschulpolitik-Ressorts, langjähriger Vereinsvorsitzender und kurzzeitiger Chefredakteur. Zehn Jahre später lebt er in England und erforscht an der Oxford University die Bedeutung bestimmter Umweltveränderungen, wie dem Klimawandel, für Gesellschaften und Individuen. Für unsere Crowdfunding-Reihe „Neu interviewt Alt“ erinnert er sich an seine Zeit bei student! zurück und erklärt, warum journalistische Arbeit manchmal zu Ärger führt und was das Schönste an der Zeitung ist.

     

    student!: Wenn du dich heute an deine Zeit bei student! erinnerst, was fällt dir dann als Erstes ein?

    Kevin: Lange Endredaktionssitzungen (lacht). Ich weiß natürlich nicht, wie der Stand bei euch heutzutage ist, aber bei uns dauerten sie meistens bis vier oder fünf Uhr morgens. Erst das Korrekturlesen, dann fehlt eine Bildunterschrift oder sogar ein Bild oder man hat zwar eins, aber eben nicht in der richtigen Qualität – das kostet immer Zeit. Das ist auf jeden Fall im Gedächtnis geblieben. Und zudem all die neuen Leute, die man dort kennengelernt hat. Vor allem zum Wintersemester haben immer viele neue Leute anfangen und meistens ein paar der Alten aufgehört. Finanzielle Sorgen gab es auch immer, das war meist ein ganz schöner Krampf. Aber es war auf jeden Fall eine sehr schöne Zeit und es hat mir viel Spaß gemacht.

     

    Was war dein schönstes Erlebnis?

    Puh, schwierig. Ich glaube am schönsten fand ich, dass man wirklich jeden Monat etwas in der Hand hatte, auf das man stolz sein konnte und das man dann auch verteilen konnte. Ich weiß nicht, ob ihr das heute noch macht, aber damals sind wir jeden Monat zu allen Wohnheimen gegangen und haben dort in jeden Briefkasten eine Zeitung gesteckt. Wenn man da mal in den Wohnheimen in Grünau dabei war, da weiß man hinterher auf jeden Fall, was man getan hat. Und wenn ich ein bisschen nachdenke, fallen mir bestimmt auch viele Artikel und Geschichten ein, bei denen ich froh war, dass ich dabei sein durfte, darüber berichten konnte und auch manchmal über Dinge aufklären konnte. Nicht immer hat das zu positiven Reaktionen geführt, aber dann wusste man auch, dass man auf jeden Fall was richtig gemacht hat.

     

    Gab es damals auch mal richtig Ärger für dich oder die Redaktion?

    Ja, teilweise schon. Mein Verständnis für journalistische Arbeit war immer, dass man versuchen sollte, auch möglichst viele unterschiedliche Meinungen zu einer Sache zu berücksichtigen. Das war manchmal etwas schwierig, zum Beispiel bei Geschichten, bei denen auch der StuRa mit im Spiel war. Wir haben natürlich immer mit denen geredet, aber teilweise eben auch noch zusätzlich mit anderen Hochschulgruppen, zum Beispiel dem RCDS, dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten. Man hat sich mit ihnen zum Gespräch getroffen, gerne auch bei einem Kaffee, und das bekommen natürlich auch Leute mit. Und wenn man danach ins StuRa-Forum im Internet schaute, wurde dort geschrieben: „Wir wissen ja, mit wem ihr euch so trefft, das kann ja gar keine neutrale Berichterstattung sein!“. Der StuRa hat während meiner Zeit in der Redaktion zwei Mal mit einer Gegendarstellungsforderung ganz schön überzogen. Da kam dann sogar der Brief vom Anwalt, weil sie vermutlich einfach der Ansicht waren, dass wir als Studenten zusammenhalten und deshalb immer für den StuRa sein sollten. Aber wir haben sie dann darauf hingewiesen, dass wir unabhängig davon agieren und deswegen natürlich auch ihre Arbeit kritisch betrachten müssen. Und nur weil sie auf unsere Anfrage nicht reagieren, heißt das nicht, dass wir nicht über eine Sache berichten werden.

     

    Wart ihr mal vor Gericht wegen so einer Sache?

    Nein, so weit ist es nie gekommen. In so einer Situation bekommt man einen Brief vom Anwalt, den man sich genau durchlesen muss, und meistens ist irgendwo ein formaler Fehler drin, auf den man dann freundlich hinweist. Manche probieren es natürlich weiter, aber die meisten geben danach auf.

     

    Du hast eben schon die Unabhängigkeit angesprochen. Würdest du sagen, dass das auch der Kern von student! ist?

    Ja, ich denke schon. Wir hatten damals auch mal Übernahmeangebote von einer Schülerzeitung aus Dresden, die recht gut aufgestellt war, vor allem finanziell. Die lagen damals überall bei McDonald’s aus. Sie wollten ihre Zielgruppe erweitern und student! als Beilage haben. Aber sie haben viele Advertorials gemacht, also Artikel, die auf den ersten Blick wie ein anständiger Artikel aussehen, aber tatsächlich im Auftrag irgendwelcher Unternehmen geschrieben wurden. Da haben wir dann beschlossen, dass das nichts für uns ist. Wir wollten damals lieber untergehen, als uns so zu verkaufen.

     

    Kam es während deiner Zeit jemals so weit, dass eine Ausgabe nicht in den Druck gegangen ist, weil das Geld nicht gereicht hat?

    Nein, so weit ist es zum Glück nie gekommen. Es war zwar immer knapp, aber irgendwie haben wir es geschafft. Geholfen hat auch, dass wir damals schon sehr lange bei einer Druckerei in Erfurt waren, die wir notfalls auch mal anrufen konnten und die uns dann erlaubt hat, die Zahlung um einen Monat zu schieben. Vielleicht konnten wir mal weniger Seiten drucken, aber die Ausgabe gab es immer.

     

    „Irgendwie haben wir es immer geschafft“ (Foto: Stuart Cox)

    „Irgendwie haben wir es immer geschafft“ (Foto: Stuart Cox)

    War das Hochschulpolitik-Ressort, welches du innehattest, auch dein Lieblingsressort? Oder hattest du ein geheimes anderes?

    Ein geheimes anderes Ressort? (lacht) Vielleicht Klatsch und Tratsch… Nein, Hochschulpolitik war immer ganz klar mein Lieblingsressort, ich habe ja auch Politik studiert. Mittlerweile wäre es vielleicht das Umweltressort, weil ich jetzt in dieser Richtung tätig bin. Das gab es ganz am Anfang noch, aber wir haben es leider irgendwann abgeschafft. Ich habe oft die Glosse auf der ersten Seite und andere politische Sachen geschrieben. Und die Kleinanzeigen manchmal, wenn wir nicht genug bekommen hatten. Dann mussten wir noch ein paar erfinden.

     

    Ist bei dir mal etwas richtig schiefgelaufen bei einem Artikel?

    Es gab natürlich immer wieder peinliche Rechtschreibfehler. Manchmal haben wir uns auch Externe zur Blattkritik eingeladen, also auch mal einen von der Leipziger Volkszeitung oder Leute, die in der Journalistik gelehrt haben . Das ist dann schon hart, wenn jemand deine Zeitung so Zeile für Zeile auseinander nimmt. Aber sonst kann ich mich jetzt nicht daran erinnern, dass mal so richtig was schiefgelaufen ist. Vielleicht habe ich mal den falschen Namen unter ein Foto gesetzt, aber nie was Dramatisches.

     

    Wendest du heute noch Sachen an, die du damals bei student! gelernt hast?

    Ja, manchmal schon. Ich hatte auch lange vor, in die journalistische Richtung zu gehen, habe mich jedoch umentschieden, weil ich irgendwann gemerkt habe, dass ich lieber wissenschaftlich arbeiten und forschen möchte. Trotzdem habe ich vieles von student! mitgenommen, das ich bei meiner Arbeit jetzt gut gebrauchen kann. Beispielsweise veröffentliche ich immer wieder Forschungsergebnisse und dabei ist es natürlich praktisch zu wissen, wie man eine Pressemitteilung so formuliert, dass sie bei Journalisten Aufmerksamkeit weckt. Ich habe einfach eher das Verständnis dafür, was die Leute bei einer Veröffentlichung interessant finden und auf was ich achten muss, als ich es sonst gehabt hätte. Zudem hat mir die Zeit bei student! auch beim Schreiben geholfen. Im Journalismus lernt man, sich möglichst verständlich, präzise und manchmal auch kurz auszudrücken. Das hilft natürlich bei wissenschaftlichen Arbeiten, da hier die Gefahr besteht, dass man Dinge zu kompliziert und dadurch unverständlich formuliert.

     

    Ist dein Studium wegen deiner Arbeit bei student! zu kurz gekommen?

    Während des Grundstudiums vielleicht teilweise schon. Später, nachdem ich mich spezialisiert hatte, hatte ich dann in manchen Semestern nur drei Veranstaltungen in der Woche, da macht das natürlich nichts aus. Aber während des Grundstudiums war das schon mehr und wenn man dann am Tag nach der Endredaktion morgens um 7 Uhr schon ein Seminar hat, geht man dann eben auch mal nicht hin. Ich habe es aber nie absichtlich schleifen lassen. Und alles in allem würde ich auch sagen, dass student! mein Studium positiv beeinflusst hat. Manchmal wurde ich auch von Dozenten auf Artikel oder Ausgaben angesprochen, die lesen das ja auch alle. Das war dann natürlich ein schönes Feedback.

     

    Liest du student! heute manchmal noch?

    Eher selten. Ich könnte mir natürlich das PDF runterladen, aber daran denke ich meistens einfach nicht. Vielleicht würde das besser klappen, wenn ihr einen Newsletter hättet, dann würde ich regelmäßig daran erinnert werden.

     

    Titelfoto: Jonathan Kirkpatrick

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