Auch mal die eigene Arbeit bewerten
Reflexion ist einer der am häufigsten vorkommenden Begriffe im Lehramtstudium. Auch auf der Tagung zur Eignung für den Lehrberuf sorgt der Begriff für Furore.
Alles überdenken. Alles hinterfragen. Niemals einfach so handeln. Befasst man sich etwas intensiver mit den Anforderungen, die an den Lehrberuf gestellt werden, dann stößt man auf eine Reihe von Verhaltensregeln, die in der Theorie sinnvoll klingen, in der Praxis aber kaum umsetzbar sind. Auf der diesjährigen Tagung zur Eignung für den Lehrberuf im Felix-Klein-Hörsaal kamen zahlreiche Experten verschiedener Universitäten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. Sie alle beschäftigen sich vor allem mit einer Frage: Was verstehen wir unter Reflexion und welchen Stellenwert nimmt sie im Lehrberuf ein? Professorin Corinne Wyss aus Zürich beschäftigt sich seit Jahren mit dem Reflexionsbegriff und erklärt in ihrem Vortrag, dass Reflexion kein starrer Begriff ist, sondern ein Konstrukt, das sich durch unterschiedliche Gegebenheiten und durch verschiedene Impulse stetig weiterentwickelt.
Angehende Lehrer sind einem Pluralismus an Definitionen dieses Begriffs ausgesetzt und müssen je nach Fachrichtung und Dozent verschieden reflektieren. Jeder Arbeitsschritt, jedes Wort und jedes Zeichen nonverbaler Kommunikation wird von Kommilitonen und Dozenten untersucht. Wer nicht ausreichend reflektiert fällt auf – und ihm wird im schlimmsten Fall unterstellt, sich selber und das eigene Handeln nicht ausreichend hinterfragen zu können. „Trotz tausender Artikel, Bücher und Studien in den letzten Jahren, wissen wir nicht, was Reflexion bedeutet. Die Wissenslücken sind enorm, einen Konsens über den Begriff wird es wohl nie geben“, sagt Wyss. Vielleicht liegt das an der langen Geschichte des Begriffs, vielleicht aber auch daran, dass man Reflexion an den falschen Stellen einsetzt. Die Experten sind sich einig, dass Reflexion die Fähigkeit sich selber kennenzulernen verbessert, die Eigenverantwortung stärkt und zu einer Änderung von eigenen Überzeugungen, Einstellungen und Verhaltensweisen führt. Im besten Fall können die Theorie aus Seminaren in der Universität mit Praxiserfahrungen in Schulen gekoppelt werden, der Lernprozess kann somit vorangetrieben werden.
„Um reflektieren zu können bedarf es der Beachtung verschiedener Faktoren. Wir müssen bedenken, wo und wie Reflexion stattfinden soll. Etwa in einer Ausbildung oder einer Institution? Selbstständig oder im Plenum?“, gibt Wyss zu bedenken. In Kompetenzmodellen taucht der Begriff zwar implizit auf, wird allerdings nie direkt von Bildungswissenschaftlern genannt. Jeder Mensch meint, sich anmaßen zu können, in diesen Themenfeldern mitreden zu können. Erziehung und Lehren werden als Fähigkeiten betrachtet, die jeder Mensch besitzt. Neben der Problematik der Begriffsdefinition ist vor allem bei jungen Lehramtstudenten zu beobachten, dass diese wenig dicht reflektieren und kaum multiperspektivisch denken. Dies sei vor allem bei Unterrichtshospitationen und der schließenden Besprechung und Untersuchung bestimmter Handlungsmuster oder Unterrichtsabläufe zu beobachten.
Ebenso erscheint es schwer bei eigenen Unterrichtsversuchen eine Fehleranalyse zu erstellen oder die eigene Lehrerrolle multiperspektivisch zu betrachten. In der anschließenden kurzen Diskussionsrunde kommt das Plenum zu dem Schluss, dass man aufpassen muss sich selber und andere nicht zu Tode zu reflektieren. In der Reflexion liegt eine gute Möglichkeit Menschen Rückmeldung für ihr Handeln zu geben und ein Wohlbefinden zu schaffen, man muss allerdings aufpassen, dadurch keinen Leidensdruck zu erzeugen, so Julia Moeller, Mitarbeiterin der Universität Leipzig. Eine Überprüfung von Reflexion muss stets unter den Gesichtspunkten des Auftrags, der Zielsetzung und des Kontextes durchgeführt werde, sind sich Maria Seip und Elke Döring-Seipel, beide Mitarbeiter der Universität Kassel, einig.
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