Diskussionsgarant im Winterland
Tagebuch zur Leipziger Buchmesse am 16. März 2018: Die Leipziger Buchmesse bietet nicht nur Cosplay und Belletristik – auch für politische Inhalte ist gesorgt.
Im Vorfeld der Buchmesse hatte die Bundeszentrale für politische Bildung angekündigt, mit Hilfe von YouTube-Stars auch jüngere Leute für Politik begeistern zu wollen. Also mache ich mich auf den Weg, das Angebot an politischen Veranstaltungen zu erkunden und mich mit jungen Menschen über ihre Eindrücke zu unterhalten.
Der Regen rinnt die grauen Häuser herab – wunderbares Lesewetter. Als ich mich schließlich auf den
Weg zur Messe mache wird aus „wunderbarem“ Lesewetter ein „perfektes“ – Schneeregen. Am Eingang angekommen, mache ich mir Gedanken darüber, mit Essen, Laptop und Fotoapparat
nicht hineinkommen zu können. Doch ein paar Meter weiter, sehe ich, wie unbegründet meine Sorgen waren. Ein verkleidetes Mädchen hievt ein anderthalb Meter langes Ananasschwert über die Kontrolle.
In der Glashalle stellt Åsne Seierstad ihr Buch „Einer von uns“ vor, das von den Anschlägen in Oslo und der Insel Utoya handelt und mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung
ausgezeichnet wurde. Der Andrang ist sehr groß. Nur junge Leute kann ich kaum erblicken. Seierstad spricht von den Schwierigkeiten, ein solches Buch zu schreiben. „Wer soll die 77 Opfer exemplarisch vertreten?“, fragt sie. Es gehe darum, alle Seiten zu betrachten, um dem Thema gerecht zu werden. Dies bedeute auch, Briefe mit Breivik zu wechseln, so schwierig dies auch sei. Seierstad betont, nicht Breivik eine Plattform bieten zu wollen, sondern die Geschehnisse in allen Einzelheiten auseinanderzunehmen. „It can’t be swept under the carpet!“ Die anberaumten 30 Minuten reichen bei weitem nicht, die Komplexität des Themas ausreichend zu beleuchten, eine Erkenntnis die ich an diesem Tag mehrfach erfahre. Natürlich, die Gespräche sollen die Besucher vorrangig neugierig machen. Und wenn sie dann diskutierend zum nächsten Stand gehen, ist dieser Zweck ja auch erfüllt.
Es heißt, die junge Politikgemeinde würde heutzutage bei Poetryslams und dergleichen verweilen, weshalb ich mich entschließe, auch dorthin zu gehen. Ich komme verspätet. Die ersten Worte, die ich vernehme sind: „Je rostiger das Dach, desto feuchter der Keller“. Die kurzzeitige Freude über die vielen jungen Menschen im Publikum ist direkt
gemindert. Der Slammer entschuldigt sich zwar, es wäre nicht sein Spruch, sehr politisch geht es hier aber anscheinend doch nicht zu.
Auch der nächste Künstler hat nicht viel mehr zu bieten als „Nogger durfte man früher noch sagen!“, während er sich über Veränderungen im Speiseeismarktes auslässt. Neben mir stehen die 63-jährigen Angelika und Manfred. Für ihn ist klar: „Poetry Slam ist moderne
Lyrik!“ Die beiden bewegen sich zur Mangahalle.
Ich hingegen mache mich auf zu Peer Steinbrück, der den Abstieg der SPD kommentieren will. Alle Plätze sind restlos besetzt und die Menschen stehen auch außerhalb des Zuschauerbereichs. Deutlich mehr Interesse an der SPD, als es die letzten Wahlen zeigten. Mangels Bildschirmen und Außenlautsprechern, bekomme ich nur mit, wie ein Mann auf eine Frage Steinbrücks, die rhetorisch scheint mit dem Ruf „Direkte Demokratie!“ antwortet. Nachdem Ende der Veranstaltung fange ich die einzige Zuschauerin ab, die mir jünger als 35 erscheint. Die 24-jährige Anne erzählt, sie besuche die Messe vor allem, um politische Veranstaltungen zu besuchen, so Sarah Wagenknecht am Tag zuvor und Steinbrück heute. Bei der Autogrammstunde gibt sich der ehemalige Politiker volksnah und scherzt: „Wer hat noch keinen Fahrschein?“. Kennt man ja morgens aus der Bahn.
Die Veranstaltung „Gerechte Teilhabe an Einkommen, Reichtum und Macht“ zieht wiederum nur
wenige Personen an. Der Redner erklärt, wie durch eine Verminderung der Arbeitszeiten, die Arbeitslosigkeit aufgehoben werden kann. Zum ersten Mal blickt eine größere Anzahl junger
Gesichter interessiert auf die Bühne. Ich fühle mich etwas besser.
Auf dem Weg Richtung Ausgang komme ich am Stand der rechtspopulistischen Zeitschrift „compact“ vorbei, gegen deren Teilnahme an der Messe es im Vorfeld Demonstrationen gab. Vor dem Stand hat sich eine Traube vorwiegend junger Leute gebildet, die eindringlich und lebhaft mit einem Mitarbeiter diskutiert und ihm klarmachen will, dass ein Medium wie dieses hier nichts verloren hat. Nun weiß ich wo die jungen Leute geblieben sind und trete beruhigt zurück hinaus in den Schneeregen.
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